Das verwüstete Büro
In diesem verwüsteten Büro hat nie ein Mensch gearbeitet, die Lampe hat nie Licht gegeben und auf dem Stuhl hat nie jemand gesessen. Bei genauerer Betrachtung fällt auf: Die Papiere sind alle ohne Schrift. Was ist passiert?
Thomas Demand hat dieses Foto gemacht. Zuvor schuf er dieses Büro aus Pappe und Papier in Originalgröße, bis ins kleinste Detail. Jeden Gegenstand hat der Künstler nachgebaut. Das Licht, die Schatten, die Details – alles wirkt täuschend echt. Nachdem der Künstler das Foto gemacht hat, zerstörte er das gebastelte Büro.
Obwohl das Foto eine Inszenierung aus Papier ist, gibt es Betrachter:innen, die überzeugt sind, genau diesen Raum schon einmal gesehen zu haben. Nachdem 1989 die Mauer gefallen war, stürmten die Menschen die Gebäude der Stasi Zentralen, um die Vernichtung der Akten zu verhindern. Das war Anfang 1990 und das Bild ging um die Welt.
Dieses Pressefoto, das in allen Nachrichten und Zeitungen zu sehen war, stand am Anfang von Demands Arbeit. Es zeigte das, von wütenden und aufgebrachten DDR-Bürgern gestürmte und verwüstete, Hauptquartier der Staatssicherheit in Berlin.
Zwischen Modell und Wirklichkeit: Die Fotografien von Thomas Demand
Der Arbeitsprozess von Thomas Demand beginnt mit einem realen Foto, das ihm als Inspiration dient. Demand ist eigentlich Bildhauer, doch bekannt wurde er durch seine Fotos nachgebauter Räume. Mit akribischer Präzision und einem Auge fürs Detail konstruiert er Modelle ausschließlich aus Papier und Karton. Sobald das Modell fertiggestellt ist, fotografiert er es. Das Ergebnis sind täuschend echte Konstruktionen, die erst bei genauer Betrachtung ihren Modellcharakter offenbaren. Es gibt keine Menschen, keine echten Texturen, nur die Illusion einer realen Szene. Diese Szenen sind immer im Maßstab 1:1 gestaltet und werden durch die Fotografie quasi zur Wirklichkeit erhoben. Pressefotos werden oft als objektive Abbilder der Realität wahrgenommen, doch Demand spielt mit dieser Vorstellung. Er hinterfragt die Zuverlässigkeit unserer Wahrnehmung und zweifelt an der vermeintlichen Realität der Fotografie.
Zwischen Kunst und Wahrheit: Demand zeigt die Katastrophe
Wie kann man die verheerende Katastrophe von Fukushima angemessen in Kunst darstellen? Diese Frage stellt sich beim Anblick des Kontrollraums, einer Nachbildung des entsprechenden Raumes im havarierten Atomkraftwerk in Fukushima. Die Lichtblenden hängen wirr von der Decke, die Schaltknöpfe und Drehschalter sind alle in identischer Position. Es wirkt, als wäre die Technik hastig abgeschaltet worden.
Die wirr herabhängenden Deckenverkleidungen halten den Beginn der Katastrophe fest: Das Erdbeben. Wir wissen aus der Geschichte, dass ein Tsunami folgte, mit anschließender Überhitzung des Reaktors, was schließlich zum Super-GAU führte. Die Kunstinstallation von Demand fängt den Moment nach dem Beben ein, als alles scheinbar noch normal aussah, abgesehen von der ramponierten Plastikdecke. Doch bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass die Anzeigetafeln tot sind. Die Überwachenden konnten damals nicht mehr erkennen, was vor sich ging.
Die Grundlage für dieses Werk sind zwei Handyfotos, die von Arbeitern im Kontrollraum aufgenommen wurden. Als der betreibende Tepco-Konzern diese Bilder später veröffentlichte, fehlte die herabhängende Decke – sie war wegretuschiert worden. Dies lässt darauf schließen, dass der Konzern das wahre Ausmaß der Katastrophe verschleiern wollte.
Kunst und Kontext: Historische Momente in Thomas Demands Fotos
Demand nutzte weitere Pressebilder von Orten, an denen Schreckliches passierte. Sicherlich erinnern sich noch viele unter uns an das Titelbild vom Magazin Stern, auf dem der Politiker Uwe Barschel tot in der Badewanne eines Genfer Hotelzimmers liegt.
Demands Foto zeigt genau die gleiche Perspektive auf die Badewanne mit dem Vorhang, wie das umstrittene Pressefoto seinerzeit. Allerdings ist hier kein Mensch abgebildet. Wer die Vorlage nicht kennt, fragt sich was diese Abbildung darstellen soll. Selbst der Titel Badezimmer weist nicht auf den damaligen Polit-Skandal hin. Für alle, die sich an den Vorfall erinnern, verschmelzen Demands Abbildung und die eigenen Erinnerungen.
Der Kontext des Kunstwerkes ist entscheidend. Kunst reflektiert nicht nur eine Epoche, sondern interpretiert mit vielfältigen Mitteln die Welt, aus der sie hervorgeht. Sie ist ein Echo ihrer Umgebung und entsteht nicht im Vakuum: Ob Politik, Wissenschaft, Kultur oder aktuelle Ereignisse – alles zählt. Externe Faktoren prägen die Kunst, wobei sowohl historische Umstände als auch regionale und internationale Einwirkungen von Bedeutung sind.
So hat Demand unter anderem auch folgende Ereignisse oder Orte nachgebildet und fotografiert:
- der Tunnel, in dem Prinzessin Diana verunglückte (1997)
- die Küche im Versteck von Saddam Hussein (2003)
- das Oval Office im Weißen Haus
Die Tapete, die aussieht wie ein Vorhang
Die Wände des Metzler-Saals im Frankfurter Städel-Museum sorgen für Verwirrung. Ist das ein Vorhang? Nein, Thomas Demand spielt mit unseren Augen. Sein Werk trägt den einfachen Namen Saal. Der vermeintliche Vorhang entpuppt sich als Abbild seiner selbst. Im Metzler-Saal wird der Vorhang selbst zum Kunstwerk. Ein typisches Werk von Demand.
Das Trompe-l’oeil fesselt das Auge. Wir tauchen schnell in die Kunstgeschichte ein und denken an die alten Meister und die Mühe, die sie auf die Darstellung des Faltenwurfs verwandten: Ihre Kunst sollte real erscheinen. Manchmal wirkten ihre Darstellungen sogar authentischer als die Wirklichkeit selbst.
Fazit
Demands Kunst entführt uns in eine Welt, in der nichts so ist, wie es scheint. Seine Werke sind nicht nur technisch beeindruckend, sondern auch konzeptuell tiefgründig. Sie kommentieren die Unzuverlässigkeit von Fotografien und die Manipulation der Wahrnehmung. In einer Zeit, in der digitale Bilder leicht verändert werden können, stellt Demand die Frage: Was ist wirklich echt?
Mein Credo ist: ‚Wer mehr weiß, sieht mehr.‘ Bei Thomas Demands Werk spiegelt sich diese Erkenntnis perfekt wider – ohne den historischen Kontext (bei Demand sind es besonders häufig Ereignisse der deutschen Geschichte) sind seine Bilder nicht zu verstehen.
Thomas Demand, der Künstler hinter den täuschenden Fotografien – britta kadolsky
Bildunterschrift zu Titelfoto: Thomas Demand, Wandinstallation mit Transferdruck auf Kunstfaser, 6 m x 64,60 m, 50-teilig, Foto: Norbert Miguletz, Bonn 2011
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