Wie unsinnig und rein ideologisch begründet die Abwertung der DDR-Kunst durch den westlichen Kunstbetrieb war, dürfte sich allmählich herumgesprochen haben. Sinnlich erfahrbar wird das noch bis zum 14. Januar 2024 in der Ausstellung „Leidenschaftlich figurativ“ in der Kunsthalle Jesuitenkirche in Aschaffenburg.
Es ist diese – für die Ausstellung mit ihrer oft glühenden Farbigkeit eher untypische – „Raumstudie mit Hund“, die meine Aufmerksamkeit als erstes einfängt.
Dieses diffuse Graubraun, dazu die Tristesse – war es nicht genau das, was ich als Westkind nach ein paar Reisen vor allem mit der DDR verband? Aber auf dem Bild von Johannes Rochhausen hat das nichts mit Braunkohlestaub und Mangelwirtschaft zu tun. Es ist die Zurückgenommenheit, die Ruhe, die Dämpfung der Trostlosigkeit durch den schlafenden Hund, die in den Bildraum hineinziehen, die strenge, minimalistische Formensprache, die fast ins Abstrakte spielt.
Figurativ und leidenschaftlich: Ein frischer Blick auf die Kunst der DDR
Aber eben nur fast. „Leidenschaftlich figurativ“ heißt die Ausstellung ja, und das kecke „figurativ“ macht gleich eine gedankliche Opposition auf: nämlich zur Abwertung, fast Verbannung des Figurativen aus der Westkunst im Kalten Krieg und die Vorherrschaft der Abstraktion. So wie die von der CIA gefördert wurde, so verpflichtete der real existierende Sozialismus seine Künstler auf sozialistischen Realismus – wobei die Abweichung im Zweifelsfall einen hohen Preis kosten konnte. „Formalismus“ lautete das Verdikt, das selbst den späteren Staatsmaler Willi Sitte und sein deutlich an Picassos „Guernica“ angelehntes Gemälde über das Wehrmachts-Massaker von Lidice empfindlich traf.
Die Ausstellung in Aschaffenburg zeigt Ausschnitte der Sammlung, die der Frankfurter Industrielle Fritz P. Mayer seit 1994 zusammengetragen hat. Mit Wolfgang Mattheuer, Werner Tübke, Bernhard Heisig, Johannes Grützke, Willi Sitte oder Michael Triegel sind die ganz großen Namen der DDR-Kunst vertreten, zum Teil mit zentralen Werken und auch solchen, die nach dem Mauerfall entstanden. Für mich sind aber auch Entdeckungen dabei, wie der schon erwähnte Johannes Rochhausen, der einer der Jüngsten hier ist, oder Arno Rink, an dessen strahlendem Gelb in dieser „Italienischen Straßenszene“ ich mich kaum satt sehen kann …
Einem kritiklos heroischen sozialistischen Menschenbild entspricht kaum eins der Bilder dieser Ausstellung.
Vorherrschend ist vielmehr ein Eindruck der Entfremdung. Figuren, die in der Luft schweben, wurzellos, oder sich in einer Art Tretrad abmühen. Freude, die etwas Verordnetes ausstrahlt. Ausgemergelte Körper, explodierende Köpfe, graue Gesichtslose, Kriegsversehrte, Rufer in der Wüste. Frauen übrigens finden sich weder unter den Künstlern noch in nennenswerter Zahl auf den Bildern dargestellt. Eine Ausnahme ist Wolfgang Mattheuers an Delacroix‘ „Freiheit auf den Barrikaden“ angelehnte Liberté in der Serie „Hinter den sieben Bergen“ – luftballonleichte und -empfindliche Traumbilder einer besseren Zukunft.
Grotesken Spaß machen die Puttengreise von Johannes Grützke und seine verrenkten Selbviertporträts, bei Michael Triegel bewundere ich die Chuzpe, mit der er sich in Dürer-Pose darstellt, Bernhard Heisigs Kriegstrauma-Malerei zieht mich in ihren Bann. Fast alle Bilder in der Kunsthalle zeugen von einem unbedingten Ausdruckswillen, da sind Erlebnisse, Traumata, Spannungen, Wut, Spott und unterdrückte Rebellion, die einfach auf die Leinwand mussten. Insofern ist das, was diese Schau zusammenhält, nicht nur das Figurative, sondern eben auch: Leidenschaft.
Eines der bekanntesten Werke von Johannes Grützke ist Der Zug der Volksvertreter, der seit 1991 in der Frankfurter Paulskirche an die Revolution von 1848 erinnert. Das Fresko in der Wandelhalle hat einen Umfang von 32 Meter – gigantischer ist nur Werner Tübkes aufregendes, an der Malerei von Bosch und Cranach geschultes Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen, das einen Umweg über den Kyffhäuser unbedingt lohnt!
Kunsthistorische Revision: Die Kunsthalle Jesuitenkirche Aschaffenburg präsentiert DDR-Kunst – Ruth Fühner