Berlin: Zeitgenössische Kunst im Boros Bunker
britta kadolsky
Die Geschichte des Boros Bunkers in Berlin
Zwangsarbeiter der Nationalsozialisten errichteten den betongrauen Luftschutzbunker in der Mitte Berlins für bis zu 4.000 Menschen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde er sehr unterschiedlich genutzt. Zuerst diente er als Kriegsgefängnis der Roten Armee, danach als Lager für Textilien und anschließend für Südfrüchte, was ihm den Namen „Bananenbunker“ einbrachte. Das war alles noch zu DDR-Zeiten. Nach dem Mauerfall ging das Gebäude in den Besitz des Bundes über und die Kultur Berlins zog ein: In Form eines Techno-Clubs mit Darkroom und verschiedenen Floors, bis der Bund das Gebäude vorerst schloss. Zusammen mit seiner Frau Karen erwarb ihn schließlich der Werbeagentur-Inhaber Christian Boros und baute ihn fünf Jahre lang um. Seit 2008 werden hier die Kunstwerke aus Boros’ privater Kunstsammlung präsentiert.

Ist es der Bunker oder die zeitgenössiche Kunst, die beeindruckt?
Überall ist die massive Architektur des Bunkers mit seinen annähernd zwei Meter dicken Wänden gegenwärtig. Von außen dringen keine Geräusche ein. Fassade, Grundriss und die Proportionen sind achsensymmetrisch und erinnern an die Architektur der Renaissance. Das mochten die Nazis, die sich diesen Baustil oft aneigneten. Und auch innen: Die doppelläufigen Treppenhäuser sind einer Erfindung von Leonardo da Vinci nachempfunden: Hinauf- und Hinabgehende behindern sich durch diese clevere Gestaltung nicht, so dass der Bunker für zahlreiche Menschen gleichzeitig begehbar ist.
Die Betondecken und Innenwände sind an einigen Stellen mit Diamantsägen bearbeitet, um aus den ursprünglich 180 kleinen Räumen Möglichkeiten zur Präsentation der größeren Kunstwerke zu schaffen. Die Spuren der Geschichte und die vielfältige Nutzung der Räumlichkeiten in der Vergangenheit sind noch überall sichtbar, wie beispielsweise an Einschusslöchern, Graffitis und den Kacheln der Latrinenräume. Die fensterlosen Zellen haben eine besondere Ausstrahlung, gegen die sich das eine oder andere Kunstwerk nur schwer behaupten kann. Andererseits haben viele Werke einen Raum für sich allein und können auf diese Weise ganz ohne Ablenkung wirken.

Die zeitgenössische Kunst im Boros Bunker
Mittlerweile ist die Ausstellung Sammlung Boros #4 in den Räumen zu sehen. Die Ausstellungen wechseln alle vier Jahre. Auch die aktuelle Sammlung erstreckt sich über alle fünf Stockwerke des Gebäudes und wir laufen in einer geführten Besichtigung treppauf und treppab.
Ein provozierender Hingucker von Anna Uddenberg

Die verdrehte, fast lebensgroße Puppe an einer Stripper-Stange in irgendwie technisch anmutendem Outfit versucht mit einem Selfie-Stick ihren Hintern, ihr Geschlecht und ihr Gesicht gleichzeitig aufs Handy zu bekommen: und wirkt erbärmlich dabei. Die Figur erscheint wie der Inbegriff sexualisierter Männerträume – obwohl sie komplett bekleidet ist. Wie bei Selbstinszenierungen in Social-Media-Ästhetik reckt die Figur den runden Hintern als Höhepunkt der Skulptur den Betrachter*innen entgegen. Der ‚gut geformte‘ Frauenkörper mit langen Haaren und langen, lackierten Fingernägeln wirkt wie das weibliche Stereotyp schlechthin. Die schwedische Künstlerin Anna Uddenberg bekleidet ihre Puppen mit einer kuriosen Sammlung von Hightech-Klamotten: Polyester-Leggins mit Netzstruktur, Kunstfell, Lackoptik und Riemen und Schnallen aus Lederimitat mit Spitze – eine Erinnerung an ihren früheren Job als Textildesignerin im Möbelbereich.
Eine ihrer Frauenfiguren wurde während der Pandemie auch im Berghain ausgestellt (wie hier in meinem Artikel von 2021 beschrieben). Die Puppe erklomm die Theke in der Panorama-Bar – und das tut sie heute noch, die Macher des Techno-Clubs haben die Skulptur nämlich gekauft.
Faszinierender Medienmix: Fotografie, Stickerei und Architekturelemente von Klára Hosnedlova

An den drei Wänden des kleinen Raums hängt jeweils eine Arbeit der tschechischen Künstlerin Klára Hosnedlova. Auf die Ferne eher kleine, langweilige Grau-Beige Bilder auf einer Steinplatte. Aus der Nähe aber zeigt sich die ganze Vielfalt. Hosnedlova fotografiert von ihr inszenierte Performances in architektonisch außergewöhnlichen Gebäuden. Über die Fotos stickt sie dann fein und mit geraden Stichen, in den Farben des Fotos, dünnes Garn. Das gesamte Bild besteht aus gestickten Fäden, mit allen Farbnuancen, die es braucht, um eine 3D-Wirkung zu bekommen. Abgebildet sind Teile eines Frauenkörpers ohne Kopf, eine Brust scheint durch ein transparentes Hemdchen, während die andere mit einer Art Steinpanzer bedeckt ist.
Ein Versuch dazu eine passende Geschichte im Kopf zu spinnen, scheitert. In den Händen hält die Figur eine Lupe und ein Handy, auf dem Schoß liegt eine kleine, edle Kroko-Handtasche – die sicherlich besonders anspruchsvoll für die Stickerei war. Von weitem sieht es aus wie Malerei. Monatelang stickt Hosnedlova an einem Bild. Gerahmt sind die Bilder von dunkelgrauen Stein-Ornamenten geahmt und auf beige, reliefartige, an sozialisitsche Architektur erinnernde Elemente aufgebracht. Diese ganzen unterschiedlichen Medien ergeben zusammen eine skurrile Kombination, die an ein Bühnenbild erinnert. Das allerdings erschließt sich erst bei genauerer Betrachtung. Und ich hätte gerne noch länger hingeschaut, wenn die Führung nicht schon weitergegangen wäre.
Anne Imhof: Subkulturig und düster geheimnisvoll
Anne Imhofs Skulpturen und Bilder passen besonders gut in den Bunker, da sie an Subkultur erinnern. Oder liegt es nur an dem Wissen, dass Imhof früher ihr Geld als Türsteherin verdiente? Vielen bekannt sein dürfte die Städelschülerin spätestens, seit sie auf der vorletzten Kunstbiennale in Venedig 2017 den Goldenen Löwen für ihr performatives Werk Faust im Deutschen Pavillon bekam.

Im Boros Bunker hängt ein Boxsack von der Decke – eine Reminiszenz an Inhofs Wunsch einmal Boxerin zu werden und ihre erste Performance im Frankfurter Bahnhofsviertel
Außerdem tönt jede halbe Studen eine Soundinstallation: ein Gong wie von einer Kirchenglocke deren Ton fast durch den gesamten Bunker dröhnt. Unheilschwanger kommt auch das große Diptychon daher, das an lackierte Autotüren erinnert. Der Farbverlauf geht von Schwarz hin ins Rote, und ein riesiger Kratzer verläuft über die beiden eng zusammen gehängten Bilder. Autofetischisten mag die Betrachtung körperliche Schmerzen bereiten, ich fühle mich von der Tiefe der hochglänzenden Farben angezogen und sehe den Kratzer als Realitycheck.
Ihre Lebensgefährtin Eliza Douglas arbeitet an den meisten Werken mit Anne Imhof zusammen.
Michael Sailstorfer thematisiert die Zeit
In einem der kleinsten Räume, in dem auch noch die Lüftungsanlage des Bunkers Platz einnimmt, steht ein Otto-Motor auf dem Boden. Ein kleiner Schmetterling ist auf einem dünnen Metallstift angebracht. Angetrieben durch den Motor bewegt sich der Schmetterling und ich habe das Gefühl, er flattert. Ist er gerade durch die Lüftungsanlage des Bunkers von draußen hereingeflogen?
Der deutsche Bildhauer und Installationskünstler Michael Sailstorfer arbeitet oft mit Readymades.

In der letzten Ausstellung im Boros Bunker war er mit einer Popcornmaschine vertreten. Die Maschine produzierte Popcorn, wann immer Besucher*innen den Raum betraten – nach einiger Zeit war auf dem gesamten Boden gepoppter Mais verteilt. Der Geruch war auch in den benachbarten Räumen zu erschnuppern. Sailstorfer war ebenfalls auf der Ausstellung im Techno-Club Berghain vertreten: Große Zähne aus Salz lagen im Gang herum. Auch hier geht es um die Zeitlichkeit. (Und hier gehts zum Berghain Artikel und hier zur Darstellung der Zeit in der Kunst)
Fazit zur zeitgenössische Kunst im Boros Bunker:
Die Architektur des Bunkers begeistert mich immer wieder und in der Kombination mit der zeitgenössischen Kunst ist es eine sehenswerte Ausstellung. Besonders toll ist der Besuch, wenn die Führung mit viel Begeisterung über die Kunstwerke spricht, das kann einen mitreißen – wir hatten das diesmal leider nicht. Es war trotzdem großartig.

Berlin: Zeitgenössische Kunst im Boros Bunker
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