Künstler*innen die mich in Venedig begeistert haben:
In der Hauptausstellung und in den sogenannten kollateralen Ausstellungen in Venedig gibt es jenseits der Länderpavillons der Biennale wirkliche Highlights zu entdecken. Von den eher nicht so bekannten Künstler*innen, die mich besonders berührt haben, erzähle ich hier:
Feministisch – Paula Rego in der Hauptausstellung im Giardini
Diese farbige, figurativ-realistische und große Malerei zieht mich sofort in ihren Bann. Ein ganzer Raum ist der portugiesischen Künstlerin in der Hauptausstellung der Giardini gewidmet. Die von ihr dargestellten Menschen sind fast immer Frauen. Die oft lebensgroß gemalten Figuren sind in ungewöhnlichen Haltungen zu sehen, die auffordern, genauer hinzuschauen: Eine Frau in einem geblümten, knielangen Kleid liegt auf dem Boden. Wie im Schlaf liegt sie auf ihrer rechten Seite, die nackten Arme weit von sich gestreckt und die Knie angezogen. Der Unterkörper ruht auf einem dunklen Männerjackett. Die unkonventionelle Haltung erzählt die Geschichte von Regos Ehemann, der früh an Multiple Sklerose erkrankte und von ihr 20 Jahre lang, bis zu seinem Tod, gepflegt wurde. Ambivalente Gefühle wie Trauer, Wut und Liebe spiegeln sich in den Bildern, die sie zu diesem Thema gemalt hat.
Alle Bilder sind mit Pastellkreiden gemalt – eher ungewöhnlich für diese riesigen Formate. Viele erinnern an düstere Märchen.
Paula Rego wuchs in der Diktatur Salazars in Portugal auf, studierte und lebte jedoch auch in England. Mit Portugal beschäftigt sich auch ihre Serie The Abortion Pastels: Rego thematisiert das strenge Abtreibungsgesetz (faktisch fast ein Verbot). Sie malt – zumeist junge – Frauen, die eine verbotene Abtreibung vornehmen ließen, mit all den dazugehörigen Gefühlen von Angst, Schmerz, Leiden, Scham und Mut. Ihre Frauenfiguren sind stark und die in ihren Bildern erzählten Geschichten wirken psychologisch komplex, da auf den ersten und zweiten Blick viele Nuancen zu erahnen, jedoch nicht zu erkennen sind.
Die Künstlerin hat in den letzten Jahren ihre Malerei durch handgemachte Stoffpuppen ergänzt.
Letzte Woche ist Rego 87-jährig gestorben.
Queer – Igshaan Adams riesiger Teppich in der Hauptausstellung im Arsenale
Der riesige, fast zwölf Meter lange und fünf Meter hohe farbige Teppich Bonteheuwel /Epping an der Wand des Arsenales fasziniert schon allein durch seine Dimension. Als ich nähertrete, weckt das Sammelsurium von eingearbeiteten Materialien noch mehr mein Interesse: Holz, Plastik, Knochen, Glasperlen, Muscheln, Nylonseile, Baumwollbänder, Ketten, Draht und viele mehr – eine chaotische Assemblage. Das Material des haptischen Wandteppichs ist meistens Abfall aus der Gegend, in der Adams aufwuchs: postkolonialer Müll. Geboren und aufgewachsen ist Adams in dem Township Bonteheuwel am staubigen Rand von Kapstadt. Als Kreole mit malaysischen Wurzeln, Muslim und offen queer, stellt Adams im Rahmen seiner Kunst immer wieder die Frage nach Zugehörigkeit. In dem Apartheid-Regime wurde er als Farbiger eingestuft und damit in einen Stadtteil gezwungen, der für Weiße zum Leben nicht zumutbar war.
Der großformatige Wandteppich zeigt ein expressionistisch wirkendes Muster in beige- und rosafarbenen Tönen mit einigen dunkleren Flecken. Es erinnert zum einen an die Linoleum-Böden in den Wohnungen seiner Freunde und Verwandten in Kapstadt, Südafrika. Zum anderen werden die farbigen Muster des Teppichs von drei helle diagonale Linien durchzogen, den sogenannten ‘desire lines’. Das sind Trampelpfade, die fernab der offiziellen Wege und Straßen von den Menschen im Laufe der Zeit angelegt werden. Das riesige gewebte Werk zeigt eine Art Landkarte von Adams Heimatareal sowie die Wege zwischen Bonteheuwel, seinem Wohnort, und dem Industriegebiet Epping, indem insbesondere die Schwarzen und Farbigen arbeiteten.
Traditionell – Chun Kwang Young im Palazzo Contarini
Das Wunderbare an Venedigs Kunstbiennale ist, dass man auch in Palazzi hereinkommt, die normalerweise für die Öffentlichkeit versperrt sind. Viele sogenannte Eventi collaterali finden in den repräsentativen Residenzen statt.
Eine dieser begleitenden Ausstellungen ist im Palazzo Contarini Polignac, direkt am Canale Grande neben der Accademia Brücke. Der Palast aus der Frührenaissance zeigt die Ausstellung Times Reimagined.
In den großartigen Räumlichkeiten stehen die faszinierenden Papierarbeiten des südkoreanischen Künstlers Chun Kwang Young.
Die bis zu vier Meter hohen Skulpturen aus Papier haben organische Formen mit einer dornig aussehenden Oberfläche. Nach genauerem Hinsehen erkenne ich, dass tausende kleine dreieckige Päckchen zusammengefügt wurden. Das beschriftete Papier stammt von alten Buchseiten. Diese bestehen aus der inneren Rinde des Maulbeerbaumes. Hanji heißt das auf traditionelle Weise hergestellte Papier in Südkorea.
In unendlicher Ausdauer hat Chun seine Werke gefaltet. Er packte dafür Styropor-Dreiecke mit Hanji ein und band jeweils ein kleines Bändchen darum. Die eng neben-und übereinander fixierten Pakete ergeben abstrakte Architekturen, die Assoziationen an einen riesigen Pilz, an einen überdimensionalen Virus oder ein Herz wecken. Vierzig überlebensgroße Skulpturen und Reliefs füllen die Räume des Palazzos.
Das Papier und die Art es zu Päckchen zu falten, spielten in der Kindheit des Künstlers eine große Rolle. Hanji war in Korea allgegenwärtig, bis es von moderneren Materialien verdrängt wurde. Diese historische Bedeutung des Werkstoffes spielt für Chun eine große Rolle und verleiht seiner Arbeit eine politische Komponente.
Fazit:
Nach dem Deutschen Pavillon und den vier Länderpavillons, die mich außerdem begeisterten sind sowohl in der Hauptausstellung der Biennale als auch bei den begleitenden Events viele Highlights dabei. Paula Rego ist 87-jährig endlich für ein größeres Publikum entdeckt worden, für sie leider zu spät. Die monumentale, mit ungewöhnlichen Materialien arbeitende Textilkunst des noch recht jungen und queeren Südafrikaners Adams reizt zum genauen Hinschauen. Genauso faszinierend sind die riesigen Papierskulpturen des Südkoreaners Chun und der Palazzo ist ein Augenschmaus obendrauf.
Die drei hier beschriebenen Künstler*innen lohnen sich absolut!
Feministisch, queer und traditionell – Highlights der Venedig Biennale Teil 2