How will we live together? Wie werden wir zusammen leben?
Das ist das spannende Motto der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig. Das Zusammenleben in der Zukunft ist eine Riesen-Herausforderung: Soziale Ungerechtigkeiten, Nachhaltigkeit, Solidarität, Klimawandel, Migration, Rassismus, politische Polarisierungen … große Probleme müssen bewältigt werden.
Ideen dazu zeigen die einzelnen Länder-Pavillons und auch die zentrale Ausstellung.
Die großen Architekten-Namen sucht man vergebens. Auch spektakuläre Gebäudeentwürfe sind in Venedig nicht zu sehen. Was hat die bedeutendste Architekturausstellung der Welt, die pandemiebedingt vom letzten auf dieses Jahr verschoben wurde, nun zu bieten? Ich habe mich umgeschaut:
Giardini – Deutscher Pavillon
Der deutsche Pavillon leuchtet in hellem Weiß. Draußen und drinnen!
Und drinnen ist – NICHTS!
In der Leere kommt die Monumentalität des Pavillons erst richtig zur Geltung. QR-Codes an den Wänden können mit dem Smartphone abgelesen werden, um Videos auf das eigene Display zu bringen. Ein bisschen enttäuschend für eine solch bedeutsame Ausstellung wie die Biennale!! Allerdings kann man sich die Filme auch zuhause anschauen.
Die Videoarbeiten spielen im Jahr 2038 und zeigen, wie die Krisen von heute überwunden werden konnten. In einer virtuellen Dokumentation erzählen Menschen, die im Heute geboren wurden, also zum Zeitpunkt des Filmes 18 Jahre alt sind, wie es gelungen ist, das gesellschaftliche System zu verwandeln, um alle Herausforderungen zu bewältigen. Jede Menge Expert*innen aus den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Stadtplanung und Architektur, Philosophie, Digitalisierung und Kunst beschreiben, wie sie sich eine am Gemeinwohl orientierte, gerechte und klimaneutrale Utopie vorstellen.
Was soll ich sagen? Alles wird gut!
Das ist ein sehr optimistischer Ausblick, den das Kuratoren-Team um Arno Brandlhuber und Olaf Grawert zeigt. Und so lautet der Titel der Ausstellung auch: 2038 – The New Serenity – 2038 – Die Neue Gelassenheit.
QR-Codes überall
Mit Gelassenheit versuche auch ich mit den allgegenwärtigen QR-Codes umzugehen! Es gibt sie nämlich nicht nur im deutschen Pavillon, sondern fast überall! OK, wir haben das Jahr 2021 und sind zumeist digital unterwegs. Ich nutze mein Smartphone für unglaublich viele Dinge des täglichen Lebens. Aber dieses permanente Scannen das Lesen eines Textes oder Anschauen eines Videos auf dem kleinen Bildschirm fand ich auf der Biennale nun doch unpassend. Ich mag nicht mit gebeugtem Kopf auf mein Handy starren, wo um mich herum so viele kreative Werke darauf warten, von mir entdeckt zu werden. Meine visuelle Gier will von immer neuen Räumen, Installationen, Baumodellen und Kunstwerken befriedigt werden – in Echt.
Nennt es altmodisch, aber ich habe mich sehr über die paar Seiten Papier im englischen Pavillon gefreut. Ich liebe es, Material zu sammeln und es haptisch zu spüren. Ja ich weiß: Papier ist nicht ressourcenschonend. Aber die ganze QR-Code-Scannerei ist auch nicht nachhaltig! Stichwort Ressourcenverbrauch im Netz und die damit verbundenen Milliarden Kilowattstunden Strom.
Giardini – Britischer Pavillon
Aber nun zum britischen Pavillon, der mit seiner überbordenden Fülle an Ausstellungsstücken das Gegenteil des benachbarten deutschen Pavillons darstellt.
Manijeh Verghese und Madeleine Kessler thematisieren im Ausstellungspavillon die zunehmende Privatisierung des öffentlichen Raumes. Ein typisch englischer Pub ist im ersten Raum aufgebaut. Als schlechtes Beispiel für eine Vereinnahmung von Vielfalt, zunehmende Monopolisierung und damit einhergehende Meinungsmache wird die Geschichte der Pubkette JD Wetherspoon erzählt: kleine selbstständige Pubs wurden aufgekauft und übernommen, Werbung für den Brexit wurde im eigenen Käseblättchen gemacht und ausländische Getränke wurden durch britische ersetzt. Eine reale und ernüchternde Antwort auf die Frage, wie wir zusammenleben werden.
The garden of privatised delights, so der an Hieronymus Boschs Wimmelbild angelehnte Titel, zeigt als hoffnungsfrohe Gegenbotschaft im letzten Raum einen Garten. In der angedeuteten Parklandschaft fordern Schilder dazu auf, sich Grund und Boden gemeinschaftlich anzueignen und zusammen zu chillen, spielen, reden, etwas einzupflanze …
Auch im britischen Pavillon stirbt also die Hoffnung zuletzt?!
Architektonische Vielfalt auf dem Ausstellungsgelände – Arsenale
Die Gebäude der Biennale bilden schon per se ein spannendes Ensemble. Das Arsenale, die Schiffswerft des ehemaligen venezianischen Militärhafens und lange Zeit Sperrgebiet, kam erst 1999 als Ausstellungsfläche zu den Giardini hinzu. Mit den 28 Länderpavillons des Giardini und dem archaischen, irre langen Backsteinbau einer ehemaligen Seilmacherfabrik im Arsenale, gibt es architektonische Vielfalt zu bestaunen. Ergänzt wird die Biennale durch Ausstellungen in verschiedenen Palazzi und Kirchen über die gesamte Stadt verteilt.
In der zentralen Ausstellung im Arsenal hat der diesjährige Direktor Hashim Sarkis viele interessante internationale Ansätze zusammengestellt:
Dänemark: Der Miniaturwald aus Setzlingen von Pinienbäumen, die nach der Ausstellung in Dänemark eingepflanzt werden, leuchtet in hellem Grün. Die kleinen Bäumchen gruppieren sich bei ego to eco um 7 verschiedene Architekturmodelle die ein gesamtes ökologisches System darstellen und die darin lebenden Menschen wieder mit der Natur verbinden sollen.
▶️ Danish studio EFFEKT
Deutschland: Das Projekt der Stuttgarter Universität zeigt, wie de aus den leichten Verbundwerkstoffen Fiberglas und Carbon Häuser in Leichtbauweise produziert werden können: 9 kg pro Quadratmeter.
▶️ Achim Menges, ICD Universität Stuttgart und Jan Knippers, ITKE Universität Stuttgart
Chile: Die wunderschöne Rauminstallation Flocking Tejas präsentiert handgefertigte Lehmziegel, die mit Stahlseilen eine flexible und individuelle Anpassung am jeweiligen Ort ermöglichen und durch die einfachen Komponenten überall eingesetzt werden können.
▶️ Architekturbüro BASE studio – Bárbara Barreda und Felipe Sepúlveda
Italien: Die Kombination aus Architektur und Mikrobiologie BIT.BIO.BOT. arbeitet mit Mikroalgen, die dank Photosynthese eine grüne Biomasse produzieren. In Bahnen aus Kunststoff sind diese als vertikale Wände für Gärten, Büros, Wohnungen einsetzbar
▶️ecoLogicStudio: Claudia Pasqueo, Marco Poletto
Häufig sind Videoarbeiten auf der Ausstellung vertreten. Manche davon haben meiner Meinung nach jedoch keinen Mehrwert gegenüber gängigen Science Fiction Filmen zu bieten, in denen die brisanten Themen bereits seit Jahrzehnten bearbeitet werden: Leben auf anderen Planeten, auf dem Meeresgrund, in einer Parallelwelt, mit künstlicher Intelligenz und mehr oder weniger dystopischen, klimabedingten Endzeitstimmungen.
Zerstörung von Venedig
Begehbar und nicht als Video zeigt das Werk City to Dust von Studio L A und Baukje Trenning aus Holland sehr anschaulich, wie stark Venedig von der fortschreitenden Zerstörung der Umwelt betroffen ist. Terrazzokacheln auf dem Boden bilden als Mosaik die Insel Venedig. Als Besucher*in muss man auf die Kacheln treten, um in den nächsten Ausstellungsraum zu gelangen. Dabei geht bei jedem Schritt ein wenig von den Kacheln kaputt. Sinnbildlich dafür, dass Venedig von jedem weiteren Touristen ein bisschen mehr zerstört wird. Das Werk soll als Anstoß dienen, darüber nachzudenken, wie ein verträglicherer Tourismus der Stadt weniger Schaden zufügen könnte.
Zitat von der Webseite der Biennale: “City to Dust, each step of the visitor is a confrontation with one’s own impact.”
Fazit: Auf die Frage How will we live together? Kann es nur hypothetische Antworten geben, konkret kann es nicht werden. Aber: Architektur kann neue Lebensweisen entwerfen und regeln, wie wir zusammenleben, so der Ansatz von Hashim Sarkis. Architektur habe schon immer politische Ideen geliefert, die dann auch zu gesellschaftlichen Formen wurden.
Die 17. Internationale Architekturausstellung geht vom 22. Mai – 21. November 2021.
17. Architekturbiennale in Venedig – Wie werden wir zusammen leben? How will we live together?