Teil 2/2: Studio Berlin – Panoramabar, Schlackekeller,
große Halle im Berghain
Der 2. Teil meines Artikels über die großartige Ausstellung im Berghain (Hier gehts zum 1. Teil). Dort habe ich über die Ausstellung im Main Dancefloor, der Klobar und die Toiletten berichtet.
Für den 2. Teil geht es einen Stock höher. Hier ist die Panoramabar. In den Morgenstunden wird manchmal kurz die Jalousie hochgezogen, um die Tanzenden mit Tageslicht zu überfluten. Aktuell ist auch hier jede Menge Kunst zu sehen.
Alicja Kwade ist mit einem Selbstporträt, das ebenfalls schon einige Jahre vor der Pandemie entstand, vertreten. Eingerahmt auf weißem Grund sind 24 kleine Ampullen nebeneinander aufgereiht. Sie enthalten (angeblich) die essentiellen Elemente eines menschlichen Organismus. In einigen Ampullen ist gelbliches oder weißes Pulver enthalten, andere zeigen metallfarbene Krümel oder Kügelchen und in 4 von ihnen scheint nichts zu sein. Die Röhrchen enthalten die chemischen Elemente von Aluminium über Kalium und Sauerstoff bis hin zu Zink. Die Reduzierung eines Menschen auf dieses Minimum regt zum Nachdenken an.
Viele großartige Künstler:innen im Technoclub
Beinahe übersehen habe ich das Kunstwerk der taubstummen Künstlerin Christine Sun Kim. Die Koreanerin, die zuvor in New York gelebt hatte, ging vor dem Lockdown auch zum Tanzen ins Berghain. Über die Vibrationen im Boden, die die laute Clubmusik auslöst, erlebte sie den Sound. Auf dem dunklen Boden der gesamten Tanzfläche hat sie schwarze Noten gemalt. Ein tolles Interview mit der Künstlerin von Lisa Zeitz ist hier zu lesen.
3 monumentale Werke vom Fotograf Wolfgang Tillmans hängen an der Betonwand der Bar. Ohne Kamera, ohne Motiv und ohne Negativ entstanden, wirken sie eher wie Malerei. Durch die Belichtung von Fotopapier in der Dunkelkammer entstanden nach der Entwicklung diese leichten, wie dahingetupften Muster. Die Werke bilden nichts Reales ab; ist es trotzdem Fotografie?! Die Arbeiten gehören allerdings zum Inventar, Tillmans ist, wie Bisky auch, ein Freund des Clubs. Auch Tillmans Porträt eines männlichen Anus hängt schon länger im Club.
Und natürlich darf auch Isa Genzken nicht fehlen: Ihr mit Baustellenband und Tape beklebter Spiegel, typische Materialien für die Künstlerin, hängt an der Wand der Panoramabar. Aufsehenerregender ist der hypersexualisierte Körper einer Frau von Anna Uddenberg. Climber (Angel Kiss) heißt das Werk. Die schwedische Künstlerin lässt die kniende Frau halbnackt und in Lack, mit aufreizend in die Luft gestrecktem Po, die Bar raufkrabbeln. Ein Anblick der verstört. Hier sind ähnliche Skulpturen von ihr zu sehen.Es geht der Künstlerin dabei um Themen wie Selbstinszenierung, die Rolle des Frauenkörpers als Sexobjekt und Sexualisierung der Gesellschaft. Uddenberg studierte anfangs an der Städelschule in Frankfurt, bevor sie ihr Studium in ihrer Heimat fortsetzte.
Ausgesprochen kreativ fand ich ein Bild von Jeewi Lee. Es erinnert mit seinen braunen Farbfeldern stark an Mark Rothkos Farbfeldmalerei. Die Koreanerin hing aufgrund der Pandemie unfreiwillig in Casablanca, Marokko, fest. Monate verbringt sie dort. Sie ist für ihre Kunst auf wenige Materialien angewiesen. Das braune Bild entsteht durch wiederholten Auftrag von Kaffee auf ein mit Keilrahmen gespanntes Leinen. Der Kaffee läuft die Leinenstruktur langsam herunter und trocknet im Laufe dieses Vorgangs. Zu Bild gewordene Strukturen der Quarantäne. Dies führt dazu, dass am unteren Ende der Leinwand ein dunkler, kräftiger Streifen in Braun zu sehen ist. Er glänzt leicht, was sicherlich am Öl im Kaffee liegt. Im Sommer war Jeewi Lee in einer Ausstellung im Kunstverein Hamburg zu sehen. Sie ist Preisträgerin des renommierten Preises Villa-Romana.
Der Rundgang führt weiter in den einzigen Raum mit Tageslicht. Es ist der Raucherbereich, in den sich die Partygänger kurz ausruhen und eine rauchen. Verteilt auf dem Boden liegen die 32 gewaltigen Zähne aus Salz von Michael Sailstorfer. Schneidezähne, Eckzähne und die dicken Backenzähne, alle mitsamt ihren langen Wurzeln, liegen über die 2 Stockwerke und die Treppe hinab, anscheinend wahllos verteilt. Der Bildhauer setzt das Vergängliche in Szene. Sowohl Salz als auch Zähne sind nicht langlebig und verändern ihre Substanz.
Wir tauchen wieder ein in die brachiale Beton- und Industrie-Architektur. Die Halle, mit der 18 Meter hohen Decke, ist besonders beeindruckend. Für den Clubbetrieb öffnet dieser Bereich in der Regel nicht. Wenige Male im Jahr veranstaltet das Berghain Konzerte und andere Events.
Für die Ausstellung bietet er die richtige Kulisse für imposante Werke, wie beispielsweise Ólafur Elíasson Spiegelinstallation. Verwirrend angeordnet zeigen sie letztlich den/die Betrachter*in direkt vor dem seitlich angeordneten Video eines brennenden Springbrunnens. Der Schweizer Künstler Julian Charrière der mit seinem Werk And Beneath It All Flows Liquid Fire, einen Kommentar über die katastrophale Zerstörung der Menschen auf der Erde abliefert. Hier ist das Video. Man kann sich darin verlieren, da die Flammen, trotz des drohenden Unheils, etwas Hypnotisches haben.
So viel mehr könnte ich noch beschreiben, denn es sind immerhin 117 Künstler*innen die ausstellen. Die Führung dauert leider nur 1,5 Stunden. Das ist zu kurz, um beispielsweise Adrian Pipers Triptychon mit den 3 Affen genauer zu betrachten oder Rosemarie Trockels schwarze Phallusform, die aus der Wand zu kommen scheint. Auch an der von der Decke hängenden Installation mit dicken Metallketten und Lackgurten (und dadurch sexuell aufgeladen) von Monica Bonvicini kann ich nur kurz verweilen. Die riesige Bronze von Elmgreen & Dragset bewundere ich nur im Vorbeigehen: Auf dem vertrockneten und kahlen Baum sitzt ein Geier – Sinnbild für den Untergang?! Sie ist so schwer, dass nur dieser Platz in der Halle in Frage kam.
Ebenso interessant: radioaktive Strahlung wird sichtbar. Der Apparat zeigt sie in Grün. Carsten Nicolai befasst sich mit physikalischen Phänomenen und man staunt. Zum einen über diese Erscheinungen der Natur, zum anderen über die Frage, ob das Kunst ist.
Zum Ende der Führung, im Schlackekeller, verabschiedet uns noch ein Video von Wolfgang Tillmans, das er er speziell für diese Ausstellung produziert hat. Die Collage aus Bild- und Klangfetzen ist der richtige Abschluss für den Rundgang.
Schön war‘s!! Weckt die Ausstellung Gefühle? Ja viele! Daher ist sie auch DER Renner in dieser weitestgehend kunstfreien Zeit. Die Kombination von legendärem Club mit verruchten Exzessen und Legenden um wilde Partys und einer Ausstellung von Berliner Künstlern ist eine kontrastreiche und popkulturelle Kombination. Hoffentlich öffnet das Berghain im Dezember wieder seine Tür!
Hier gehts zum 1. Teil über Kunst im Berghain.
Kunst im Berliner Technoclub Berghain: Teil 2
* Foto im Banner: Alex in Berlin: Michael Jin von unsplash