Kunst aus Papier im Haus des Papiers in Berlin
Ein (noch) ziemlich geheimer Kunst-Tipp ist das Haus des Papiers in Berlin Mitte. Gegründet wurde es im Jahr 2021 von den Unternehmerinnen Ulrike Vohrer und Annette Berr. Das Museum ist ganz der Papierkunst gewidmet – und zwar nicht Kunst AUF Papier, wie etwa Zeichnungen oder Malerei, sondern Kunst AUS Papier! Papier ist, ähnlich wie Textil, ein unterschätzter Werkstoff.
Ich hatte vorher keine Vorstellung davon, was alles aus Papier möglich ist: geformte, genähte oder gefaltete Objekte, geköhlertes Papier, Paper Cut, Papiermaché, also auch Skulpturales bis hin zu Konzeptkunst. Unter den ausgestellten Künstler*innen sind sowohl international längst etablierte wie Rosemarie Trockel, Günther Uecker oder Monica Bonvicini, als auch junge, aufstrebende Namen.
Am Eingang begrüßt mich direkt eine großformatige Arbeit von Christiane Feser. Ihre Kunst durfte ich vor einigen Jahren bereits in den Opelvillen in Rüsselsheim bewundern. Ihre Fotocollagen irritieren mit Schatten und Farbformen, die wie Schatten aussehen. Der langwierige Arbeitsprozess beinhaltet das Falten von abstrakten, geometrischen Papierformen, welche im nächsten Schritt fotografiert werden. Das entstandene Foto wird erneut bearbeitet, Muster werden herausgeschnitten und -geknickt, was dann zu einem neuen Schattenwurf führt. Diese Arbeitsschritte wiederholen sich mehrmals und ergeben am Ende eine dreidimensionale Schwarzweiß-Landschaft aus geometrischen Formen, faszinierend und rätselhaft zugleich.
Skulpturen aus Papier
Mein zweites Highlight der Ausstellung ist Alexandra Hedrikoff filigrane Plastik Yang Tao, die an eine überdimensionierte Kiwi erinnert. Hedrikoff hat aus Wespenpapier (s.u.) eine grazile ovale Halbkugel geformt und sie innen rundherum gleichmäßig mit zierlichen Flugsamen der Pusteblume bestückt. So entsteht eine innere Form, die das Oval des Gesamtgebildes aufnimmt. Ganz in pastelligen Farben Grün und Braun gehalten, verrät dieses Werk, dass es aus der Natur stammt. Dabei habe ich gleich noch was gelernt: Wespen sind die ersten Papierbauer. Aus Holz erstellen sie den Werkstoff, den sie für ihre Nester brauchen.
Etwas weiter liegen drei glatt polierte riesige Kieselsteine auf einem Tisch. Sie sind ebenfalls aus Papier. Der Frankfurter Künstler Goekhan Erdogan hat dafür unzählige eigene Passfotos (auf DIN-A4 Papiere gedruckt) aufeinander geleimt, gepresst und trocknen lassen. Nach den anschließenden Schleif- und Polierarbeiten ist von seinem Gesicht nichts mehr zu sehen. Die Transformation vom vielfachen eigenen Konterfei hin zu einem vermeintlich anderen Material ist faszinierend. Die Steine haben einen matten Glanz und verleiten zum Anfassen und Streicheln. Das ist aber strengstens verboten. Anette Berr erzählt uns während ihrer Führung, sie habe große Mühe, die Besucher*innen davon abzuhalten, die Objekte anzufassen und denkt darüber nach eine Plexiglashaube über die Werke zu legen. Auch ich muss mich stark zurückhalten.
Um die Ecke liegt ein zerknülltes Taschentuch von Lars Eidinger in einer Glasvitrine. Ganz im Duchampschen Sinne soll es wohl ein Readymade sein – aber trotz meines Respekts vor dem schauspielenden Tausendsassa und seinen diversen Talenten finde ich sein Taschentuch Autentic Disco doch ein wenig lächerlich. Hat er sich als DJ damit den Schweiß von der Stirn getupft und bietet es nun als Devotionalie an?
Gleich daneben liegen passenderweise Hefte von Erwin Wurm, der mit Lars Eidinger schon mal einige seiner absurd-lustigen One Minute Sculptures in einer Kölner Galerie erprobte.
Papierkunst: Collage und Körper
Monica Bonvicinis Collage Legscutouts #02 aus fotografierten menschlichen Körperteilen fordert mich auf, genau hinzuschauen. Unendlich viele Arme, Beine oder Torsi sind hier über- und untereinander geschichtet. Das Puzzle aus Körperteilen von Menschen unterschiedlichster Herkunft, Geschlecht und Hautfarbe ist kleinteilig und wirkt als seien sie miteinander verwoben. Die Hauttöne reichen von sehr hell bis dunkel: Fragen nach Diversität, Gender und Raum stellen sich.
Es gibt wenige Arbeiten von Monica Bonvicini auf Papier, bekannt ist sie eher für Installationen mit Ketten, Leder, Glas, Aluminium, mit denen sie ebenfalls kritisch gesellschaftliche Zustände hinterfragt.
Gut gefallen hat mir Angela Glajcar, Installation, Terforation 2020 – 003 aus hintereinander aufgehängten Papieren mit eingerissenem Loch zu sehen ist. Die dabei entstehenden räumlichen Körper sind in Groß so richtig beeindruckend (zu sehen beispielsweise im Museum Wiesbaden), aber auch in Klein anziehend.
Fazit: Die meisten der ausgestellten Arbeiten sind wunderschön, überraschend und zeigen die ungeahnte und so anregende Vielfalt des Werkstoffes Papier. Auch die leidenschaftliche Führung von Anette Berr durch die Räume machte dieses Museum zu einem echten Höhepunkt in Berlin.
Angesiedelt ist das Haus des Papiers in der eher reizlosen Neubaugegend, aber zentral gelegen, direkt an der U-Bahnstation Spittelmarkt.
Unbedingt hingehen und eine Führung buchen: Es lohnt sich sehr, sehr!
Das Haus des Papiers – absolut empfehlenswert!
Papierkunst in Berlin: Kunst aus Papier im Haus des Papiers