In der Neuen Nationalgalerie in Berlin hängt die Collage, die zu einer Ikone des Dadaismus avancierte: Hannah Höchs Schnitt mit dem Küchenmesser. Das Wimmelbild verwirrt und überfordert bei der ersten Betrachtung. Dabei hat es viel zu bieten – ein genaueres Hinsehen lohnt sich!
Hannah Höch arrangierte die Fotocollage 1919, kurz nach der Gründung der Weimarer Republik, und schuf damit eine neue Kunstform (bereits einige Jahre vorher haben Picasso und Braque mit der Technik der Collage gearbeitet, dabei jedoch immer auch die Malerei integriert). Höchs kühne Kombinationen sind witzig, frech und kritisch: Sie spielt mit Proportionen und Dimensionen, treibt Widersprüche grotesk auf die Spitze und setzt Köpfe politischer Machthaber auf Frauenkörper: Ein Geschlechtertausch, den die Künstlerin häufig inszeniert hat und damit als Feministin gilt. Die Künstlerin gibt den Frauen in der Fotomontage außerdem mehr Spielraum, sie sind freier und beweglicher, während die männlichen Figuren meist sehr starr wirken, da Höch den Kopf ohne Hals direkt auf die Körper montierte.
Der komplette Titel lautet: Schnitt mit dem Küchenmesser. Dada durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands, und verrät uns bereits etwas über die Technik und über das Motiv. Das komplexe Bild zeigt ausgeschnittene Zeitungsbilder und -texte und kombiniert wichtige, zeitgenössische Persönlichkeiten aus Politik und Kultur mit Darstellungen aus Wissenschaft, Industrie, Militär und Revolution.
In der oberen Bildhälfte zeigt Höch technischen Fortschritt, Wissenschaft und kriegerische Politik. Albert Einstein sitzt ein riesiges Insekt auf der Stirn und das Unendlichkeitszeichen im rechten Auge. In der oberen rechten Anti-Dada-Ecke der Collage bekommt der abgedankte Kaiser Wilhelm II. als Schnurrbart-Ersatz zwei ringende Körper ins Gesicht geklebt. Paul von Hindenburgs Kopf sitz auf dem Körper einer Tänzerin.
Im Zentrum des chaotisch wirkenden Bildes schwebt der Kopf der Künstlerin Käthe Kollwitz über dem kopflosen Körper einer Tänzerin. Franz Kafka ist am rechten Bildrand zu erkennen.
Die untere Bildhälfte stellt den Pro-Dada-Bereich dar, in dem die Dadaisten in spielerischen und komischen Positionen dargestellt werden. Raoul Hausmanns Kopf ist in der Proportion zu groß für den darunter montierten Körper, während sich die beiden Dadaisten George Grosz und Wielande Herzfeld einen Ballerina-Körper teilen müssen. Die, damals sehr bekannte, Tänzerin und Schauspielerin Niddy Impekoven badet den in der Wanne liegenden Dadaisten John Heartfield. Der Kommunistenführer Karl Radek, der Dadaist Johannes Baader und Lenin bilden ein Dreigestirn der Köpfe und teilen sich einen Frauenkörper. Karl Marx‘ Kopf ist, wie ein Eisbrecher, am Bug eines Schiffes montiert. Das zeigt die politische Haltung der Dadaisten. Auch Karl Liebknecht ist abgebildet und fordert: „Tretet Dada bei.“
Auf dem Riesenbaby am rechten Rand klebt der Kopf von Schriftsteller und Kunstkritiker Theodore Däubler, der noch um 180 Grad gedreht nach hinten schaut. Unten rechts hat sich auch Hannah Höch selbst platziert: Ihr Kopf klebt am linken Rand einer Europakarte, auf der die Länder mit Frauen-Wahlrecht dunkel unterlegt sind.
Alle Figuren sind in die Mechanismen der industriellen Produktion integriert. Zahnräder, Kugellager und Motoren wirken als verbindende Elemente. Häuser und Straßenräume sowie Tiere ergänzen die Fotomontage.
Der Dadaismus
Der Dadaismus entstand während des Ersten Weltkriegs in Europa und verbreitete sich in den 1920er Jahren. Er war eine Reaktion auf die Schrecken des Ersten Weltkrieges, die Novemberrevolution 1919, Streiks und Machtkämpfe in der Weimarer Republik und die Konventionen der damaligen Kunstwelt. Nach dem empfundenen Zusammenbruch der Zivilisation musste ein Zusammenbruch der Kunst folgen.
Die Dadaisten lehnten die traditionelle Kunst des l’art pour l’art und bürgerliche Konventionen ab und setzten sich über die gängigen Regeln hinweg. Sie schufen Kunstwerke, die oft absurd, provokativ und scheinbar sinnlos waren. Der Dadaismus war eine avantgardistische und programmatische Bewegung, die sich gegen die Ideen von Vernunft, Ordnung und Autorität auflehnte und stattdessen die Vorstellungskraft und den Zufall betonte: Eine Absage an jede Logik. Sie verstand sich als Antikunstbewegung und war weniger eine Bewegung als vielmehr eine Haltung – so formulierten die Mitglieder es in ihrem soziopolitischen Manifest. Eine Veränderung der gesellschaftspolitischen Verhältnisse sollte erreicht werden, indem alles in Frage gestellt wurde. Und: Man war gegen alles. Schockieren um jeden Preis – als Mittel zum Zweck. In Zürich, Berlin, Paris und später auch New York trug der Dadaismus dazu bei, die Grenze zwischen Leben und Kunst aufzuheben.
Auch Marcel Duchamp, der ein Urinal zur Kunst erklärte, gehörte der Gruppe der Dadaisten an, doch dazu mehr in einem anderen Artikel.
Hannah Höch bewegtes Leben
Hannah Höch (1889 – 1978) kam in Gotha zur Welt und ging zum Kunststudium nach Berlin. Dort lernte sie Raoul Hausmann kennen und die beiden führten sieben Jahre lang eine Liebes- und Arbeitsbeziehung. Das ist auch eindeutig in der künstlerischen Arbeit beider zu erkennen, da sowohl die Technik der Fotomontage als auch die Motive ähneln.
Die Legende sagt, Höch habe das Prinzip der Collagetechnik ganz nebenbei im Ostseeurlaub zusammen mit ihrem Geliebten Hausmann erfunden und so die Kunst der Dadaisten geprägt. Später wird Hausmann, auch als ‚Haudegen der Dadapolemik‘ bekannt, diese Technik immer wieder allein als sein Verdienst erwähnen. Höch ist die einzige Frau unter den Dadaisten und ihre männlichen Mitstreitern übergingen sie immer wieder. Trotzdem schaffte sie es 1920 an der ersten Internationalen Dada-Messe teilzunehmen und stellte dort ihre Collage Schnitt mit dem Küchenmesser aus. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie mit ihrem Job beim Ullstein-Verlag.
Nach dem Ende ihrer Beziehung mit Hausmann lebte sie einige Jahre mit der niederländischen Schriftstellerin Til Brugmann zusammen – eine Liaison, die von den ach so freien Künstlerkreisen kritisch gesehen wurde.
Sie reiste nach Paris, in die Sowjetunion und in USA und bekam immer wieder die Chance auszustellen. Von den Nationalsozialisten verfemt, zog Höch sich nach Berlin-Heiligensee zurück und galt von 1933 bis 1945 als entartete Künstlerin. Bis zu ihrem Tod machte Höch weiterhin Kunst und collagiert ihre gesellschaftskritischen Arbeiten. Die Rolle der Frau war dabei immer wieder ein zentrales Thema. An ihre Vorkriegserfolge konnte sie jedoch nicht mehr anknüpfen.
“Bis heute versuche ich konsequent das Foto auszubeuten. Ich benutze es wie die Farbe, oder wie der Dichter das Wort.“(Hannah Höch, 1959)
Fazit
Hannah Höchs Schnitt mit dem Küchenmesser ist eines der bedeutendsten Werke des Dadaismus und der modernen Kunst im Allgemeinen. Es war eine wegweisende Collage, die traditionelle künstlerische Konventionen in Frage stellte und neue Formen der künstlerischen Ausdrucksweise hervorbrachte. Es trug zur Entwicklung der Collagekunst bei und inspirierte zahlreiche Künstler in den folgenden Jahrzehnten.
Das Bild wirkt auch über 100 Jahre nach seiner Entstehung noch immer sehr modern. Ein weiterer Grund in Berlin der Neuen Nationalgalerie einen Besuch abzustatten. Und unbedingt ein Grund, die Bedeutung und den Einfluss der Frau und Künstlerin Hannah Höch in der Kunstgeschichte wertzuschätzen!
Eine wunderschöne Ausstellung ist bis Januar 2025 im Arp Museum Bahnhof Rolandseck zu sehen:
Der Die dADa – Unordnung der Geschlechter
Die avantgardistische Kunst von Hannah Höch: Collagen als Sprache des Dadaismus – britta kadolsky