Nachtrag zu Picassos Antikriegsbild:
In diesem Artikel über den verschwundenen Wandteppich im UNO-Hauptquartier in New York stellte ich vor einem Jahr am Ende die Frage: Wann wird Picassos Antikriegsbild Guernica in der UNO ersetzt? Jetzt ist der Wandteppich wieder da. Ein Jahr nach dem damaligen plötzlichen Verschwinden hängt das Kunstwerk wieder im Gebäude der UNO. Rockefeller Jr. erklärt es habe sich nur um ein Missverständnis gehandelt. Der Teppich wurde lediglich gereinigt. „Diplomaten äußerten sich erleichtert über die Rückgabe des Werks durch die Familie Rockefeller.“ (link)
Nicht in Worte zu fassen, ist die Tatsache, dass im gleichen Monat, in dem DAS Antikriegsbild wieder in der UNO hing, ein Krieg in Europa ausgebrochen ist.
Kaum bemerkt von der Öffentlichkeit wurde Anfang des Jahres Picassos Antikriegsbild aus dem Gebäude der UNO in New York wieder entfernt. Picassos Guernica, sein vielleicht berühmtestes Bild, stellt den Terror, die Barbarei des Krieges und seine katastrophalen Auswirkungen dar. Es hing als Bildteppich im Eingangsbereich zum Sitzungssaal des UN-Sicherheitsrates. Über 35 Jahre liefen Generationen von internationalen Journalisten und Politikern an der Ikone vorbei. Der Teppich wurde 1984 vom früheren US-Vizepräsidenten Nelson Rockefeller an die UNO ausgeliehen. Im Februar 2021 forderte sein Sohn, Nelson Rockefeller Jr., die Tapisserie zurück, der Grund ist unklar.
Deutlich erinnere ich mich daran, wie Colin Powell, damaliger Außenminister der USA, im Februar 2003 den Krieg der USA gegen den Irak verkündete. Und just genau für dieses Pressestatement hatte man den Bildteppich mit einer blauen UN-Flagge verhüllt, da es kein angemessener Hintergrund sei, wenn Powell vor schreienden Frauen, Kinder und Tieren, die durch Krieg verursachtes Leid zeigen, einen Krieg verkündet. Der blaue Vorhang hingegen sei ‚ein angemessener Hintergrund für die Kameras‘ bekräftigte ein Sprecher der Vereinten Nationen.
Welche Ironie!!
Natürlich hätte die Kunst auch hier keinen Krieg verhindern können; bemerkenswert ist dennoch, wie sehr die amerikanische Administration unter Präsident George W. Bush sich der besonderen Bild-Macht bewusst war und penibel darauf achteten eine Diskrepanz zwischen übertragenem Fernsehbild und Außenminister-Botschaft zu vermeiden.
Guernica – Inbegriff des universalen Antikriegsbildes
Picassos monumentales Werk thematisiert den schrecklichen Bombenangriff deutscher Soldaten auf das kleine baskische Städtchen Guernica im spanischen Norden am 26. April 1937. Zur Unterstützung des faschistischen Generals Franco im spanischen Bürgerkrieg führte Hitlers Fliegerstaffel Legion Condor gemeinsam mit einem italienischen Freiwilligenkorps Mussolinis einen gezielten Schlag gegen die Zivilbevölkerung aus und machte den Ort dem Boden gleich. Der Bevölkerung wurde unsägliches Leid zugefügt – wobei Guernica, und das ist besonders perfide, ein völlig willkürliches Ziel war, ohne jede militärische Bedeutung.
Für die Weltausstellung 1937 in Paris beauftragte die spanische Republik Picasso, ein Bild für den spanischen Pavillon zu erstellen. Das Gemälde wurde riesig: annähernd acht Meter lang und beinahe drei Meter fünfzig hoch.
Das in düsteren Schwarz- und Grautönen gehaltene Bild zeigt das Elend, den Tod und das endlose Leid der vom Krieg Betroffenen: Die Münder der verzweifelten Figuren sind zum Schrei geöffnet, ein totes Kind wird von der klagenden Mutter im Arm gehalten, ein verletztes Pferd wiehert vor Schmerz, das Haus brennt. Die ganze Gewalt, das Ausmaß des Schmerzes und der Erschütterung wird beim Betrachten des Bildes erfahrbar.
Picasso verfügte: Solange Franco lebt, darf das Bild nicht nach Spanien
Picasso, der vor der Erstellung von Guernica nicht als politischer Künstler galt und sich selbst auch nicht als einer sah, verfügte, dass sein Werk nicht auf spanischem Boden ausgestellt werden dürfe, solange Franco noch lebe. Mit dieser Verfügung verband Picasso, über das Motiv und den Titel hinaus, bereits eine weitere politische Botschaft mit dem Bild.
Seither wird das monumentale Gemälde als Sinnbild für und als Warnung vor den Schrecken des Krieges angesehen.
Erst 1981, 6 Jahre nach dem Ende der Franco-Diktatur, kam das Bild nach Madrid. Zunächst in den Prado, 1992 ins Museum Reina Sofia.
Was kann Kunst – Wirkung und Macht eines Kunstwerkes
Welche Wirkung oder Macht von der Kunst und im Besonderen von Picasso Guernica heute ausgehen kann, beweist die bemerkenswerte Verhüllungsaktion 2003 im UNO-Gebäude.
Die UNO schmückte sich mit dem Bildteppich, um einem hohen moralischen Anspruch zu formulieren: Keine sinnlosen Kriege. Als man das Bild verhüllte, wurde jedoch zum Krieg aufgerufen. Und offenbar dämmerte es den Verantwortlichen, dass dies schlecht vor einem Antikriegsbild stattfinden konnte. Ist Kunst also in der Lage, in den Köpfen etwas zu verändern? Kann Kunst als kollektives Gedächtnis der Menschheit fungieren und infolgedessen als Mahnung dienen? Besitzen Bilder diese Macht?
Die Geschichte hat gelehrt, dass der angebliche Beweis für Iraks Besitz von Chemiewaffen erlogen war und der Krieg gegen den Irak über Jahre hinweg ein Desaster im Nahen Osten anrichtete, dessen Auswirkungen bis heute anhalten. Nachträglich gab auch Powell in einem Interview zu, dass es sich um einen Schandfleck in seiner Karriere handelt.
Ein Kunstwerk soll und kann darauf aufmerksam machen, was gesellschaftspolitisch gefährlich ist, welche Systeme und Praktiken es in Herrschaftssystemen gibt und wie die Mechanismen von Kriegshetze funktionieren.
Nun ist das mahnende Bild ganz verschwunden, die Wand ist leer. Angekündigt wurde, dass ein passender Ersatz geschaffen würde. Meine entsprechende Anfrage über die Kontaktseite der UN wurde bisher noch nicht beantwortet…
Wann wird Picassos Antikriegsbild Guernica in der UNO ersetzt?
Guernica – Picassos Antikriegsbild aus der UNO entfernt – wieder da