Lichtkunst in Unna – ein visuelles Spektakel
britta kadolsky
Das Zentrum für Internationale Lichtkunst in Unna (ZFIL) – trotz seines etwas sperrigen Namens – erstrahlt als ein Juwel der hochkarätigen Kunst mit Licht. Hier werden Werke renommierter internationaler Künstler wie Olafur Eliasson, Joseph Kosuth, James Turrell und Rebecca Horn präsentiert, um nur einige schon mal zu nennen. Weltweit widmet sich kein anderes Museum ausschließlich dieser eigenständigen, avantgardistischen Kunstgattung.
Die stillgelegte Lindenbrauerei bietet mit ihren unterirdischen Gängen, Kühlräumen und ehemaligen Gärbecken den Rahmen für die Location: Oberirdisch eher wie ein Zweckbau der 1980er Jahre, entpuppt sich die Brauerei unter der Erde als ein faszinierendes Stück Industriekultur im Ruhrgebiet. Nach Sanierungsarbeiten, bei denen der Originalzustand der Brauerei weitestgehend erhalten blieb, eröffnete das Museum 2001.
Die ersten Künstler:innen hatten die Möglichkeit, die Räumlichkeiten vor Ort zu besichtigen und sich einen Raum auszuwählen. Anschließend entwickelten sie speziell auf diesen Ort und Raum zugeschnittene Installationen.
Beeindruckende Lichtskulpturen
Bereits auf dem Platz vor dem Museum entdecke ich die erste lichtbasierte Kunst: In einem großen Glaskubus sind 57.600 LEDs scheinbar durcheinander angeordnet. Sie leuchten abwechselnd und gemeinsam auf und bilden unterschiedliche Formen, die zu tanzen scheinen. Giny Vos‘ Installation Light Phenomena wirkt im Dunkeln sicher magisch, aber selbst am Tage faszinieren die fließenden Bewegungen, die die Lämpchen ‚malen‘.
Während wir im Kassenbereich warten, kann ich das zweite Kunstwerk bestaunen: Gleichmäßig wandert ein Licht über die 19 Neonzahlen, kontinuierlich und gleichmäßig – punktuell leuchtet das Licht immer wieder hell auf.
Die Arbeit Lichtgeschwindigkeit 11,5 M/Sek von Brigitte Kowanz zeigt das Phänomen der Lichtgeschwindigkeit. Unsere Vorstellungskraft reicht nicht aus, um zu realisieren, wie schnell die Lichtgeschwindigkeit wirklich ist. Wie also kann man das darstellen? Im Bruchteil einer Sekunde legt das Licht die Strecke von 11,5 Meter zurück.
Wir werfen einen Blick durch die Glasplatte in die Tiefe und erkennen aufleuchtende Wörter. Später, also in den unterirdischen Gängen der ehemaligen Brauerei angekommen, können wir durch den ehemaligen Paternosterschacht hochschauen und mehr entdecken.
Joseph Kosuth: Lichtkunst-Hommage an Heinrich Heine
Der erste Raum begeistert mich bereits total. Ein leicht abfallender Zickzack-Steg führt auf halber Höhe durch den Raum und damit direkt ins Kunstwerk. In die Tiefe blickend, lese ich Fragmente eines Gedichtes: „… es wird Licht …“ und ein bisschen weiter ein neuer Blickwinkel: „… Finsternis … wilde Bestien …“ Je nachdem, wo ich stehe, sehe ich immer einen anderen Textausschnitt. Der Laufsteg verhindert eine Sicht auf die komplette Textpassage und die Glaswände spiegeln zusätzlich Teile des lyrischen Werks. Aus Neonröhren hat Joseph Kosuth Passagen aus Heinrich Heines Text geformt:
„Der Mensch braucht nur seinen Gedanken auszusprechen, und es gestaltet sich die Welt, es wird Licht oder es wird Finsternis, die Wasser sondern sich vom Festland, oder gar wilde Bestien kommen zum Vorschein. Die Welt ist die Signatur des Wortes.“
Der Text stammt aus Heines Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland von 1834/52. Der Konzeptkünstler und mehrfacher documenta-Teilnehmer Kosuth arbeitet sehr oft mit Text in seiner Kunst. Warum er sich Heines Story für das ‚Gute und das Böse im Menschen‘ angeeignet hat, kann ich nur mutmaßen. Heine, einer der bedeutendsten Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, beschrieb darin, wie eine Idee zu einem Gedanken wird und dieser dann zur Tat werden kann, mit den entsprechenden Konsequenzen.
Begegnung mit dem ICH von Jan Van Munster
Unten im Paternosterschacht angekommen können wir hochschauen, und sehen andere Besucher, die so wie wir vorher, durch die Glasscheibe nach unten blicken. Die Sicht wird gestört durch abwechselnd blau aufleuchtende Neon-Wörter: ICH oder JE oder IO oder JAG oder JA oder BEN … Das ICH ist insgesamt in zehn verschiedenen Sprachen vorhanden: Viele „Ich“-Identitäten! Und sie führen scheinbar einen Dialog mit sich selbst. Jedes Wort kommt zweimal vor.
Unendliches Licht von James Turrell
Die beiden Highlights der Dauerausstellung im Zentrum für Internationale Lichtkunst sind die Arbeiten von James Turrell. Der in Los Angeles geborene Künstler zählt zu den bedeutendsten Vertretern der Lichtkunst. Turrell erforscht mit künstlerischen Mitteln wie wir Raum und Licht wahrnehmen. Im Floater 99 scheinen wir uns im diffusen Licht aufzulösen: Der Raum ist sanft in hellem Blau beleuchtet und über Rosa geht das Licht schließlich in ein tiefes und magisches Violett über. Das Licht umhüllt mich und der Raum scheint sich zu öffnen: Keine Wände, keine Ecken und keine Decke. Ein faszinierendes Spiel mit der Physik, das mich sowohl staunen als auch genießen lässt.
Das zweite Werk von James Turrell gehört zu der Serie der sogenannten Skyspaces und basiert auf dem Prinzip einer Camera Obscura. Wir stehen um eine runde Glasscheibe am Boden und schauen auf den Himmel hinunter. Es ist der reale und aktuelle Himmel, der auf die Platte zu unseren Füßen projiziert wird. Wir sind dem Himmel besonders nah und freuen uns, dass am Firmament etwas passiert: Wolken ziehen vorbei, ein Vogel fliegt ins Bild und auf der anderen Seite wieder heraus. Bei wolkenlosem blauem Himmel würde man nur auf eine blaue Fläche schauen – langweilig.
Später betrachten wir den ‚originalen‘ Himmel über unseren Köpfen durch die runde Öffnung des breiten Beton-Trichters. Unterschiedliche farbige Lichter beleuchten die Innenseite der Röhre und derselbe Himmel erscheint, je nach Lichtfarbe, selbst in einer anderen Farbe – faszinierend.
Licht und Klang verschmelzen bei Rebecca Horn
Ich kannte die deutsche Bildhauerin und Aktionskünstlerin Rebecca Horn bisher nicht als Lichtkünstlerin. In Unna steht das riesige mechanische Kunstwerk Lotusschatten. Das Gebilde, aus sich windenden Armen aus Kupferrohren und Kupfertrichtern füllt den Kellerraum. Wie Lotusblumen wachsen die blütenähnlichen Gebilde in den Raum hinein. Sie sind mit Spiegeln oder Glühbirnen bestückt. Lichtreflexe und Schatten bewegen sich über die Wände. Die Bewegungen der Installation werden durch Töne begleitet: Der Gesang von Walen, begleitet durch Oberton-Klänge des neuseeländischen Musikers Hayden Chisholm erzeugen eine sphärische Atmosphäre. Ich bin entzückt.
Farbenfrohes Statement von Maurizio Nannucci
Absolut Social-Media-tauglich ist der farbenfrohe Schriftzug des italienischen Künstlers Maurizio Nannucci: NEVER MOVE FAR FROM COLOR.
Ich lese eine politisch motivierte Botschaft für mehr Vielfalt in dem riesigen Neon-Gedicht – weil ich möchte, dass es nicht nur schön aussieht. Der Schriftzug steht außerdem in einem besonders repräsentativen Kellerraum: Klassizistische Säulen und ein hübsches Deckengewölbe.
Eine Lasershow von Margareta Hesse
In der Sonderausstellung Touch the Light von Margareta Hesse tauche ich in rotes Laserlicht im dunklen Kellergewölbe ein. Die Berliner Künstlerin schafft raumgreifende Installationen mit ihren Laser-Arbeiten. Feiner Nebel und rote, grell leuchtende Lichtschranken durchziehen die Räume, bilden ein leuchtendes Netzwerk. Wir gehen durch die roten Linien, die der (ungefährliche) Laser durch den Raum zieht. Obwohl ich weiß, dass ich einfach hindurch gehen kann, denkt mein Gehirn jedoch, ich müsse ein Hindernis durchbrechen. Rot signalisiert Gefahr und die Lichtlinie wirkt massiv. Die Licht-Skulpturen zu durchschreiten und zu erkunden ist daher ein besonderes Erlebnis für alle Sinne.
Olafur Eliassons Wasserfälle
Das Werk hat mich gar nicht so sehr fasziniert. Weil Eliasson jedoch bekannt ist, erwähne ich es hier. Viele seiner immersiven Kunstwerke, die die Natur imitieren oder in sie eingreifen, kommen spektakulär daher. Hier in Unna laufe ich über einen Laufsteg, und Stroboskoplicht erhellt immer wieder blitzartig die mich rechts und links flankierenden Wände aus Wasser, also Wasserfälle. Das Wasserrauschen ist sehr laut. Im ersten Moment scheint mir die ganze Installation eher ein Lichteffekt zu sein, das Wasser fällt jedoch tatsächlich. Das Licht bewirkt, dass die Tropfen in der Luft hängen zu bleiben scheinen – als ob der freie Fall durch das Licht gestoppt wird.
Scannen in Lebensgröße zum Abschied
Am Ausgang können wir einen Scan von uns machen lassen. Blendid, das Künstler-Duo David Kousemaker und Tim Olden, schufen eine Installation namens TouchMe. Wir platzieren uns vor der riesigen Glasscheibe. Jeder der sich dagegen presst, wird aufgenommen. Das System speichert die Fotos als Dauerschleife, wenn man dem zugestimmt hat.
Fazit
Gerne hätte ich noch über die einfach berührende Arbeit Kiss Voyeur von Stephan Reusse geschrieben, bei der sich, nur durch neonblaue Umrisse erkennbare, Köpfe annähern und küssen und wieder voneinander lassen. Und die Beschreibung meiner getäuschten Augen, die Grün sehen, nachdem ich lange in rote Lichter starrte, weil Grün die Komplementärfarbe von Rot ist und viele weitere Licht-Skulpturen würden die Länge dieses Artikels sprengen.
Also: Die Lichtkunst in Unna ist unbedingt einen Besuch wert!
Ertes Beitragsbild: Keith Sonnier, Tunnel of Tears, ZFIL, Foto: Frank Vinken
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