Kostenlos Kunst in Berlin genießen
britta kadolsky
Schweizer Botschaft, Galerie König, Galerie Sprüth Magers
Kostenlos Kunst in Berlin genießen:
In Berlins Mitte, direkt neben dem Bundeskanzlerinnenamt, der „Waschmaschine“, inmitten der spröden Betonarchitektur von Diener & Diener, flattert Pipilotti Rists Werk ein Blatt im Wind.
Seit 2001 fallen aus der elektronisch gesteuerten Maschine täuschend echte Baumblätter – in Wirklichkeit Blatt-Fotografien auf farbigem Papier in Form eines Baumblattes.

Sie sollen im 12-Minuten Takt zu Boden segeln, habe ich gelesen. Auf jedem Blatt befinden sich poetische Botschaften in den Sprachen der Schweiz: Deutsch, Italienisch, Französisch und der Weltsprache Englisch.
Als ich ankomme und vor dem Eingang zum Deckenschlitz in die Höhe blicke, fliegt natürlich gerade kein Blatt heraus. Ich freue mich aber ein Eichenblatt auf dem Boden zu finden. „Sei meine Braut und ich bin Dein Laub“ lese ich darauf.
Kurz darauf erscheint ein netter Mitarbeiter, der Erbarmen mit meinem suchenden Blick hat: Er drückt mir eine Handvoll Blätter in die Hand und erklärt mir, dass in der Regel nur noch ein Blatt pro Tag herauskommt. Es sei denn die Maschine sei verstopft, dann erschienen mehrere Blätter gleichzeitig, irgendwann. Am besten gefällt mir das Ginkoblatt mit der Message: „Geburtsort ist Zufall“.

Schön finde ich auch dieErklärung, die ich auf Wikipedia gefunden habe:
„Das Konzept von „Ein Blatt im Wind“ behandelt eine bestimmte Grenzenlosigkeit: Die Blätter werden durch Wind und Schuhwerk aus dem Eingangsbereich davongetragen, die auf dem Papier niedergeschriebenen Wünsche verteilen sich langsam in der ganzen Stadt. Die Blätter sind wie eine Metapher für Demokratie, mit ihnen findet eine Botschaft Verbreitung.“

Zwei großartige Galerien
Johann König
Wenn ich in Berlin bin, gehe ich immer in die ehemalige Kirche St. Agnes. Der Brutalismus-Bau (Architekt Werner Düttmann) in Berlin Kreuzberg beherbergt die Galerie Johann König. Anfang der 2000er Jahre wurde die ehemals katholischen Kirche profaniert und ab 2012 vom Ehepaar König saniert und umgebaut. König zeigt in wunderschönen Räumen Kunst der Spitzenklasse – kostenlos, es ist ja schließlich eine Galerie.

Der Sohn des ehemaligen Städelschul-Rektors und Kurators Kasper König vertritt das Who is Who der deutschen zeitgenössischen Kunst. Seine Galerie ist auch der Verkaufsraum, und so kann ich neben High-Art auch die Preise bewundern: Beides finde ich faszinierend! Ich stelle fest, dass ich mir selbst eine Edition von Xenia Hausner, deren Porträts ich sehr bewundere, niemals leisten kann.
Die Werke von Alicja Kwade, Jorinde Voigt und Anselm Reyle bestaune ich ebenso, wie die lustigen Installationen von Elmgreen und Dragset, dem dänisch-norwegischen Künstler-Duo, dass in Berlin lebt und arbeitet. Ich beschließe auf jeden Fall noch in den Tiergarten zu gehen, um mir die Gedenkstätte anzuschauen, die die beiden den schwulen Opfern des Holocausts gewidmet haben.

Zunächst jedoch wartet Stephan Balkenhol (hier der link zu einem früheren Artikel über eine wunderbare Führung zu Balkenhols Skulpturen im Lehmbruckmuseum).
Überraschend monumental wirkt der Raum im 1. Stock, trotz der insgesamt 18 Holzskulpturen und Wandreliefs, allesamt sehr groß. Am meisten beeindruckt mich die Reihe aus 6 Männern in weißem Hemd und dunkler Hose. Sie stehen jeweils auf einem Baumstamm-Sockel, aus dem Balkenhol sie herausgearbeitet hat. Alle Skulpturen sind gleich hoch, jedoch werden die Figuren immer kleiner, während die Sockel immer größer werden.

Mittig, im hinteren Teil des Raumes, der nur von Oberfenstern und einem seitlichen Glasband beleuchtet wird, steht eine überlebensgroße Frauenfigur. Sie trägt ein weißes Kleid und die braunen Haare sind zum langen Zopf geflochten. Die Skulptur wirkt imposant, steht die Frau doch auf gleich 3 Sockeln, die immer größer werden. Die Figur scheint andächtig auf die Rückwand des großen Kirchenraumes zu schauen. An ihr hängt ein Wandrelief, das auf den ersten Blick wie Micky Maus aussieht, bei näherer Betrachtung jedoch ein menschliches, melancholisches Gesicht erkennen lässt – gewöhnungsbedürftig.

Wie für Balkenhol typisch, sind die Figuren rau behauen und die groben Bearbeitungen des Holzes deutlich zu erkennen.

Sprüth Magers
Erstmalig besuche ich die Galerie Sprüth Magers. In Berlin Mitte angesiedelt, gehört die Galerie mit Niederlassungen in London und Los Angeles zu den renommiertesten der Stadt. 1983 eröffneten Monika Sprüth und Philomene Magers als erste eine Galerie in Köln, die ausschließlich Künstlerinnen zeigte.
Die großzügigen Räume auf 2 Stockwerken in Berlin, unweit des Hackeschen Marktes, beherbergen im Moment 2 Künstler*innen.
Der Künstler Robert Irwin stellt in einen Raum minimalistisch anmutende Skulpturen, bestehend aus verschiedenen Acrylglas-Wänden in Grün und Grau, die mal transparent und mal undurchsichtig wirken. Sie reflektieren das Licht, und man spiegelt sich im Vorbeigehen darin – ein Teil des Kunstwerkes. Im benachbarten Raum hängt eine Serie namens Unlights aus Neonleuchtröhren, die jedoch nicht leuchten. Nebeneinander gereiht, erinnern sie trotzdem stark an Dan Flavins Lichtinstallationen.

Die Bilder der koreanischen Künstlerin Hyun-Sook Song sind wunderschön: eine gelungene Mischung aus altmeisterlicher Tempera-Malerei und minimalistischer Reduziertheit in Bezug auf Farben, Komposition und Motiv. Viele feine, weiße Pinselstriche, die wie ein dünnes Tuch anmuten, ziehen den Blick auf sich. Sie winden sich um einen gemalten Stock, trotzdem muten die großen Leinwände mit dem beige-grauen gleichmäßigen Hintergrund abstrakt an. Meditativ wirkt sowohl der Prozess der Malerei als auch der Effekt auf mich als Betrachterin.

Im Showroom der Galerie, der durch riesige Schaufenster den Blick in die Regale zulässt, sind noch einige der handgemachten Keramikschalen von Andrea Zittel zu sehen: Wunderschöne Arbeiten! Ich überlege (wie so häufig), ob eine Unterscheidung zwischen Kunst und Kunsthandwerk sinnvoll ist. (Ein Thema für einen anderen Artikel).

Leider sind die beiden künstlerischen Positionen nur bis Ende März zu sehen. Ein Besuch in der geräumigen Galerie lohnt sich jedoch immer, ich werde beim nächsten Berlin-Besuch auf jeden Fall wieder vorbeischauen.
Fazit: Alle 3 Locations sind sehr zu empfehlen, kostenlos und immer spannend.
Kostenlos Kunst in Berlin genießen – britta kadolsky
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