Bisher kannte ich Jenny Holzer nur von ihren LED-Leuchtbändern in verschiedenen Museen. Ihre Schriftinstallationen setzen sich kritisch mit Politik, Gewalt, Sex, Umwelt, Feminismus und Machtstrukturen auseinander. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht der Text – immer! In scheinbar simplen Sätzen werden wir als Betrachter:innen angesprochen. Manchmal unvermittelt, unvorhergesehen und immer mit einer Wucht.
Seit März 2023 ist in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, im K21 in Düsseldorf, die bisher größte Überblicksausstellung der US-amerikanischen Künstlerin Jenny Holzer (*1950) in Deutschland zu sehen. Und ich stelle begeistert fest, dass ihr Oeuvre viel umfangreicher ist, als ich dachte!
Sprachgewalt und Provokation
Obwohl Jenny Holzer ihre Karriere als abstrakte Malerin begann, experimentiert sie seit Ende der 1970er Jahre mit Worten. Seither entwickelte sie sich zur Konzept- und Installationskünstlerin.
Begonnen hat sie in New York mit ihren Truisms (Binsenwahrheiten). Die ausgewählten Phrasen und Allgemeinplätze, teilweise inspiriert von Berühmtheiten und Philosophen von Marx bis Platon, sind kurz und einfach. Holzer präsentierte die zugespitzten Formulierungen in Form von Listen auf Plakaten im öffentlichen Raum:
- DIE VERPACKUNG IST GENAUSO WICHTIG WIE DER INHALT
- DU BIST DIE SUMME DEINER HANDLUNGEN
- FREIHEIT IST EIN LUXUS UND KEINE NOTWENDIGKEIT
- DIE ARBEIT EINES JEDEN ZÄHLT GLEICH VIEL
- MONEY CREATES TASTE
- PUSH YOURSELF TO THE LIMIT AS OFTEN AS POSSIBLE
- RELIGION CAUSES AS MANY PROBLEMS AS IT SOLVES
Die Truisms sollten die Passanten überraschen und irritieren, indem sie ihnen die Vielfalt und Gegensätzlichkeit etablierter Meinungen vor Augen halten. Durch ihre Präsentation auf Plakaten, die normalerweise für Werbezwecke verwendet werden, wurde die Funktion des Mediums verfremdet und führte zu einer Irritation des Betrachters.
Jenny Holzers nächste Wortserie Inflammatory Essays (Aufrührerische Aufsätze) macht radikale Vorschläge, düstere Vorhersagen und gibt strenge Befehle. Sie sind auf leuchtend farbiges Papier gedruckt – immer 100 Wörter auf 20 Zeilen.
Im K21 sind alle Wände des riesigen Ausstellungsraumes im Untergeschoss mit Plakaten dieser beiden Serien tapeziert. Zusätzlich stehen dort Granit- und Marmorbänke in einem großen Kreis. Auf ihnen hat Holzer ebenfalls Botschaften Holzers eingraviert:
YOU SHOULD LIMIT THE NUMBER OF TIMES YOU ACT AGAINST YOUR NATURE, LIKE SLEEPING WITH PEOPLE YOU HATE. IT’S INTERESTING TO TEST YOUR CAPABILITIES FOR A WHILE BUT TOO MUCH WILL CAUSE DAMAGE.
Im Gegensatz zu ihren Plakaten oder den Leuchtbändern, bei denen die Texte den Betrachter regelrecht anbrüllen, entfalten die subtil in Stein eingravierten Worte ihre Wirkung leise. Die Bänke erinnern mich an Renaissance-Gartenbänke und sind hübsch anzusehen. Ich bin zunächst unsicher, ob sie auch als Bänke genutzt werden dürfen, und lasse mich einfach nieder. Ich darf – und lasse die mystische Wirkung des im Kreis laufenden Lichtes, das immer neue Bereiche erhellt und andere umso mehr im Dunkeln lässt, auf mich wirken.
Zwei LED-Leuchtbänder, wie wir sie von Nachrichtentafeln oder von Werbebotschaften kennen, wiederholen in vorbeihuschenden Buchstaben die Botschaften der Plakate. Auch die Buchstaben bewegen sich in unterschiedlichen Farben über die Installation.
Im Mittelpunkt: Machtmissbrauch im Krieg
Von weitem sehen die großformatigen und metallisch glänzenden Bilder mit heller Schrift minimalistisch und edel aus. Beim Lesen stellt sich heraus: Es sind Anklagen von misshandelten Irakern gegen das US-Militär. Die Dokumente basieren auf freigegebenen, aber zensierten Akten der US-Regierungsbehörden. Holzer hat die Schriftstücke stark vergrößert und auf mit Blattsilber belegte Leinwände in türkis aufgebracht. Die Ästhetik steht damit in krassem Widerspruch zum Inhalt: Ein irakischer High-School-Schüler wurde verhaftet und zwei Tage lang festgehalten. Ihm wurden die Augen verbunden, er wurde zu anstrengenden Übungen gezwungen, mit Wasser übergossen und geschlagen, was einen Kieferbruch zur Folge hatte. Einige Passagen haben die US-Militärs vor der Veröffentlichung geschwärzt, angeblich um Persönlichkeitsrechte zu schützen.
Erschütternde Botschaften
Ebenso erschütternd wirken auf mich Handabdrücke aus den Verhörakten: Irakische Häftlinge werfen US-Soldaten physische und psychische Gewalt vor: Schlagen, Treten, durch Hunde ängstigen, sexuelle Erniedrigung oder Ausdrücken von Zigaretten auf dem Körper – eine furchterregende Liste! US-Soldaten wendeten diese sadistischen Praktiken während der Verhöre in Gefängnissen wie Abu Ghraib an. Viele von uns erinnern sich vermutlich noch an die Folter-Bilder, die 2004 an die Öffentlichkeit kamen.
Einige Berichte kommen zu dem Schluss, dass die Anschuldigungen unglaubwürdig seien. Holzer macht die Brutalität und Menschenrechtsverletzungen nur indirekt sichtbar. Die Handabdrücke werden zu einem Symbol für das Leiden und die Entwürdigung, die den Gefangenen widerfahren sind.
Den großen Haufen mit aufgeschichteten menschlichen Knochen, die wie weggeworfen wirken, finde ich erst mal verstörend. Sie bilden wie weggeworfen einen beachtlichen Hügel. Beckenschaufeln und Oberschenkelknochen sind eindeutig zu identifizieren, kleine Knochen ergänzen die Installation. Holzer hat sie aus medizinischen Sammlungen. Einige Knochen tragen einen Metallring mit von der Künstlerin eingravierten Texten, die Vergewaltigungstaten aus der Perspektive der Opfer sowie der Täter beschreiben.
Ursprünglich war die unkonventionelle Installation nach dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien als Mahnmal gedacht. Inzwischen will Holzer das Werk als Protest gegen alle Kriege vom Zweiten Weltkrieg bis zur Invasion in der Ukraine verstanden wissen.
Geostrategische Machenschaften
In Siebdrucktechnik hat Jenny Holzer geographische Karten des Irak, auf denen die von der US-Armee konzipierten militärischen Operationen markiert sind, vergrößert. Glänzend mit Blattgold und -silber belegt, wirken diese Bilder besonders wertvoll. Die Militärstrategen zeigten dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush diese Karten 2002 in den Briefings während der Invasion des Irak durch die US-Streitkräfte. Holzer weist mit ihrem Werk darauf hin, dass aus dem Kartenmaterial nicht nur hervorgeht, welche militärischen Operationen geplant waren, sondern auch welche Ölvorkommen beschlagnahmt werden sollten. Die geopolitischen Konflikte offenbaren die dahinter liegenden wirtschaftlichen Interessen. Die Dokumente machen die komplexen Zusammenhänge von Krieg, Macht und wirtschaftlichen Interessen deutlich.
Fazit
Jenny Holzers Werke beeindrucken mich durch ihre intelligente Kombination von Gegensätzlichem: Ästhetische, minimalistische Darstellung und, bei näherer Betrachtung, erschreckender Inhalt. Ihre Texte sind provokant und prägnant. Mit großer Intensität setzt sie sich mit den elementaren Themen unserer Gegenwart auseinander und ich fühle mich aufgefordert mich mit diesen schmerzhaften Wahrheiten auseinanderzusetzen. Ihr Werk ist kein belehrendes Manifest, sondern konfrontiert mit der Wirklichkeit von Machtmissbrauch in Krieg, Politik und Gesellschaft. Nach wie vor bin ich fasziniert von Holzers LED-Bänder, in denen ihre Worte in schneller Abfolge vorbeilaufen und meine Augen sich beeilen müssen, um alles zu erfassen.
Am Ende noch ein Hinweis auf eine weitere inspirierende und renommierte Text-Künstlerin: Barbara Kruger. Hier geht’s zum Artikel im Archiv. Auch ihre Text-Botschaften laden dazu ein, gesellschaftliche Normen und Machstrukturen zu hinterfragen. Letztes Jahr war sie mit einer großen Ausstellung sowohl in der Berliner Neuen Nationalgalerie als auch auf der Biennale in Venedig vertreten.
Jenny Holzers Textkunst: Sprachgewaltig und gesellschaftskritisch – britta kadolsky