Schon zu Titos Zeiten hatte das istrische Küstenstädtchen Portorož etwas von seiner eleganten Weltläufigkeit bewahren können – und das gilt nicht zuletzt in Sachen Kunst.
1961 fand hier, auf der grünen Halbinsel Seca, erstmals die Bildhauerbiennale Forma Viva statt. Seither sind auf dem parkähnlichen Gelände rund 130 Skulpturen aus dem weißen Marmor Istriens entstanden. Von Anfang an international ausgerichtet und deshalb den sozialistischen Machthabern nicht immer lieb, ist Forma Viva über ein halbes Jahrhundert hinweg zu einem Musterbuch bildhauerischer Tendenzen gewachsen. Und wie das bei solcher Fülle oft geht: über manches schaut man leicht weg, findet es uninteressant – anderswo verhakt sich der Blick, manches berührt, erschreckt sogar, und immer wieder kann man das Staunen lernen. Zum Beispiel über Ante Marinović Spiel mit Schwere und Leichtigkeit. Bei diesem – ich nenne es mal respektlos so – „Sandwich mit Matratzen“ scheint die oberste Schicht geradezu zu schweben und die Schwerkraft auszuhebeln.
Aus dem allerersten Jahr der Forma Viva hat die Arbeit des Italieners Giancarlo Sangregrorio mühelos ihre sprengende Kraft bewahrt. Und das durchaus auch im Wortsinn: die gewaltige Kraft, die dem Stein angetan wurde, die allein ihn bezwingen konnte, hat in den wundähnlichen Meißeleinkerbungen unübersehbare Spuren hinterlassen.
Spannend finde ich auch immer wieder Grenzgänge zwischen Skulptur und Architektur – wie die mehrdeutige, raumgreifende Arbeit des Briten Geoffrey Smedley, in der man einen Minigolfplatz sehen könnte, aber doch vielleicht eher, und durchaus mit einem Hauch von Gänsehaut, die Überreste einer untergegangenen Kultstätte – wer weiß, welche Opfer da einst gebracht wurden…
Gerade in diesem Sommer, wo die Fluten ungehindert Häuser wegreißen in unserem Land, leuchtet Graziano Pompilis noch ganz frisch weiß strahlendes, auf den Wellen schaukelndes Häuschen von 2011 unmittelbar ein – oder ist es doch ganz ruhig in eine Hügellandschaft eingebettet und versinkt langsam in ihr?
Auch eine neuere Arbeit ist der wie ein riesiger Handschmeichler anmutende Steinkreis des Slowenen Ljubo de Karino, in dessen Mitte ein Pfeil die Richtung angibt – aber wohin nur? Gut, es geht im Uhrzeigersinn – aber wenn hier eine Stunde schlägt, dann die dreizehnte!
Aus den Anfangszeiten der Forma Viva stammt die Hommage des Israelis Achiam an die französischen Patrioten, die für Freiheit gefallen sind. Seltsamerweise wirkt diese etwas plakative humanistische Botschaft auf mich ebenso angejahrt wie viele erotische Skulpturen auf dem Gelände oder die menschlichen Gliedmaßen, die der Tscheche Josef Jankovic 1971, drei Jahre nach der Niederschlagung des Prager Frühlings, in steinerne Rahmen gepresst hat.
Ein wirklicher Schock – auch im politischen Sinn – geht für mich dagegen aus von einer Arbeit, die hier auf den ersten Blick merkwürdig fremd wirkt. Glatt und perfektionistisch erweckt sie den Eindruck, nicht aus Stein herausgehauen, sondern aus Beton gegossen zu sein. In ihrer Massivität scheint sie ein zufällig hierher verschlagenes Element einer größeren – und ganz sicher nicht freundlichen – Architektur zu sein. Eines Bunkers? Einer Wehrmauer? Etwas Gewalttätiges geht jedenfalls von diesem Brocken aus – und die Jahreszahl und Herkunft des Künstlers verstärken diese Wirkung noch: der verschwiegene Block ist das Werk eines Rumänen, Leonard Rachta, aus der dunklen Hoch-Zeit der Ceausescu-Diktatur 1981. Die Spannung zwischen der scheinbaren Verschlossenheit solcher Arbeiten und den starken Gefühlen, die sie auslösen – das ist für mich eine der ganz wesentlichen Antworten auf die Frage, was Kunst eigentlich kann.
PS.:
Zum Abschluss finden wir am Rand des Forma Viva Geländes noch ein Gebilde, bei dem uns sofort eine ganz andere Frage einfällt, nämlich: Ist das Kunst, oder kann das weg? Und wir sind uns ziemlich sicher, dass dieser aus vielfältigen Materialien und Formen zusammengekehrte Haufen – Abraum? – exakt diese Frage herausfordern will…
Forma Viva – lebendige Form am Südende Istriens – Ruth Fühner