Alles Plastik dieser Welt – ein ewiger Kunst-Stoff
Plastik – dazu fallen mir spontan erst mal negative Assoziationen ein: Die Lebensdauer von Plastik ist einfach zu lang, und das Material stellt ein großes Problem für unsere Umwelt dar. Wir produzieren 400 Millionen Tonnen jährlich. In unseren Weltmeeren, in der Arktis, auf unseren Müllhalden, in den Wäldern, in den Organen von Tieren und natürlich auch im Verursacher, also in uns selbst befindet sich ein Abfallprodukt – das Mikroplastik. Und es gibt noch immer keine Idee, wie wir Kunststoffe abbauen, sinnvoll und umfangreich recyclen oder am besten ganz vermeiden können.
Plastic World: Kunst, Konsum, Umwelt
Wie gut funktioniert dann heutzutage eine Ausstellung über Plastik in der Kunst? Die Kunsthalle Schirn in Frankfurt wagt es. In Plastic World stellt sie die Frage, was uns an diesem Material so fasziniert. Zum einen sind es sicherlich die Farben: Leuchtend grell und knallig, zart und pastellig oder auch transparent – mit Plastik ist alles möglich. Und faszinierend sind auch die glatten Oberflächen – neu und vor allem clean wirkt dieser Werkstoff.
Zudem war Plastik in den 1960er Jahren ein willkommenes Material für die junge Künstlergeneration, die alles anders machen wollte als die konservative, vorherige Künstlerägide. Die Pop Art begrüßte das billige Material euphorisch. Bis dahin hatte man Kunststoff nicht als wertvoll genug für die bildende Kunst angesehen. Die Vorteile jedoch waren überzeugend: Plastik ist ein Alleskönner, was Formen betrifft. Und in der Farbenvielfalt der Pop Art spiegelten sich die bunten Plastik-Massenwaren des Konsums, die die jungen KünstlerInnen so faszinierten.
Plastik ist übrigens nur ein umgangssprachlicher Sammelbegriff für die unzähligen unterschiedlichen Arten von Kunststoff: Styropor, Nylon, Plexiglas, Polyethan, Polyethylen, PET, PVC, …
Die Anfänge von Plastik in der Kunst
Am Eingang zur Ausstellung werde ich von einem alten Bekannten aus Frankfurt ‚begrüßt‘: Thomas Bayrle, der deutsche Pop Art Künstler. Sein Werk Tassentasse von 1969/96 stellt eine Teetasse dar: Viele kleine Teetassen aus Kunststoff ergeben, in Serie gereiht und gestapelt, die Superform – eine typische Bayrle-Arbeit.
Zwei aufgeblasene Plastik-Nanas hängen von der Decke: Eine Hommage an Niki de Saint Phalle, der hier die vorherige Ausstellung gewidmet war. In einer Vitrine darunter zeigt sich direkt ein Problem des Kunststoffs: Eine aufblasbare Nana liegt schlaff und formlos im Schaukasten. Kunststoff, in diesem Fall ist es PVC, ist eben doch fragil und nicht bis in alle Ewigkeit haltbar. Ein Problem für die Umwelt, da die billigen Plastikobjekte gut und günstig in Massen reproduzierbar sind.
Dieses Relief aus genähten Vinyl-Leinwänden zeigt große rote Frauenlippen, die leicht geöffnet sind und eine Zigarette halten. Große Rauchwolken unterstreichen die erotische Intention. Smoker Banner von 1971 ist von Tom Wesselmann – natürlich. Der Pop Art Künstler der ersten Generation arbeitete immer das Erotische der Frau heraus.
Kunst, Ökologie, Konsum und Umwelt
Enorm beeindruckend, allein, weil es so riesig ist: Otto Pienes Werk Anemones: An Air Aquarium von 1976 – ursprünglich. Es wurde, da das Plastik bereits angegriffen war, 2023 reproduziert. Ist das heutzutage noch in Ordnung? So stellt die Schirn in ihrer Presseerklärung denn auch fest: „Die zu ihrer Entstehungszeit poetische und spielerische Dimension der Arbeit wird heute durch das Wissen um die Verschmutzung der Meere durch (Micro-)Plastik überlagert.“ Und die Schirn lässt ein Kunstwerk erneut aus Plastik herstellen – ein Dilemma, in dem wir uns alle mit unserem Konsum befinden.
Für die riesige begehbare Installation hat die Schirn jedenfalls rund 160 qm reserviert. Bis zu 8 Meter hohe, durchsichtige Seeanemonen werden durch ein elektrisches Gebläse zur aufrechten Form aufgeblasen. Daneben stehen riesige rote mehrarmige Sterne im Raum – und bewegen sich: Sobald der Kompressor keine Luft mehr bläst, fallen die Arme herunter. Am Boden liegen monumentale Hummer aus durchsichtiger TPU-Folie. Ich fühle mich nicht wie in einer Unterwasserwelt (so der Wandtext), jedoch ist die begehbare Installation mindestens für ein paar Selfies hervorragend geeignet und Monumentalität beeindruckt mich fast immer. Otto Piene, der deutsche Künstler und Mitbegründer der Künstlergruppe ZERO, ist eigentlich für seine lichtkinetischen Arbeiten bekannt geworden, nachdem er 1958 den sogenannten Nullpunkt der Kunst – den Neubeginn der Malerei ausgerufen hatte.
Die Künstlergruppe des Nouveau Réalisme sieht, im Gegensatz zu den Pop Art Künstler:innen, Plastik nur als Wegwerf-Produkt: Müll, Trash. Der französisch-US-amerikanische Objektkünstler Arman experimentiert in den 1960er Jahren mit dem Material. In seinen Skulpturen und Assemblagen thematisiert er den Konsumrausch, der mit Kunststoff einhergeht und stellt fest:
„Es ist ein offenes Geheimnis, dass das Sicherheitsgefühl unserer Gesellschaft auf einem Hamsterinstinkt beruht, der in Schaufensterauslagen, Fließbändern und Abfallbergen offen zu Tage tritt. Als Zeuge dieser Gesellschaft habe ich mich schon immer intensiv mit dem pseudobiologischen Zyklus von Produktion, Konsum und Vernichtung befasst. Und es beunruhigt mich schon lange, dass eine der offensichtlichsten konkreten Folgen dieses Zyklus darin besteht, unsere Welt mit Ramsch und überzähligen Ausschusswaren zu überschwemmen.“ (1973)
In einer durchsichtigen Box aus Acrylglas sind unzählige Elektrorasierer und Kabelreste angehäuft. Die Arbeit Akkumulation von Rasierapparaten (für Ben) ist von 1960. Akkumulation nennt Arman seine Objektkunst: Verbrauchte Zivilisationsgegenstände gleicher Machart bekommen durch die Zusammenstellung eine neue Ästhetik und weisen in ihrer Vielzahl auf den übertriebenen, schädlichen Konsum hin.
Überrascht bin ich von den Plastiken von César. Bisher habe ich bei dem französischen Bildhauer, der ebenfalls Mitglied der Künstlergruppe des Nouveau Réalisme war immer an Metall gedacht, denn ich kenne seine Bronzeskulpturen von Körperteilen und seine komprimierten Autoskulpturen, die aus der Schrottpresse zu kommen scheinen. Aber er hat auch Plastik komprimiert, genauer: Plexiglas. In seinem Werk Enveloppage von 1971 ist eine sehr alte Schreibmaschine in eine durchsichtige Plexiglasscheibe eingehüllt. Die Verpackung hat die Form eines achtlos zusammen gefalteten großen durchsichtigen Taschentuchs und mit viel Fantasie kann man auch einen Umschlag (envelope) erkennen.
Außerdem zeigt die Schirn eine Reihe seiner Expansions, wofür César Polyurethanschaum ausgoss und ihn sich ausdehnen ließ. Diese Arbeiten finde ich eher uninspiriert, sie zeugen jedoch von der Experimentierfreude der Künstler zu jener Zeit, die den Zufall in ihre Kunst integrierten. Eine riesige Plastik aus der Reihe der Expansions von Caesar ist von 1991: Der mächtige Klecks wirkt, wie vom Himmel gefallen, und die braune Farbe erinnert sehr an weiche ‚Stoffwechsel-Endprodukte‘.
Architektur und Plastik
Wirklich erfrischend ist Hans Holleins aufblasbares Objekt von 1969. Bevor das dazugehörige Video überhaupt zu sehen ist, höre ich schon seinen schnarrenden, österreichischen Akzent. Hans Hollein erklärt darin sein von ihm entworfenes Mobiles Büro und verkündet dem Kunden am Telefon: „Ihr Haus ist fertiggestellt. Ein ganz modernes Design!“ Neben dem Bildschirm steht der winzige, nur etwa 3 Kubikmeter umfassende Raum – gefertigt aus durchsichtiger PVC-Folie, angeschlossen an ein elektrisches Gebläse und ausgestattet mit Schreibmaschine und Telefon (fun fact: damals gab es ja nur Festnetz-Telefone). Aber die Idee des Home-Office hat Hans Hollein fünfzig Jahre vorweggenommen – visionär und herrlich augenzwinkernd und erheiternd.
Kritische Auseinandersetzung mit Plastik
Endlich: Eine von wenigen kritischen Positionen ist das Video Barrenderos von 2004.
Der in Mexiko lebende belgische Künstler Francis Alÿs macht Plastikmüll zum Thema seiner Dokumentation. Alÿs filmt die nächtliche Arbeit von Straßenkehrern in Mexico City. Fast sieben Minuten lang kann ich verfolgen, wie Plastikmassen die Straßen zumüllen: Plastikflaschen, Plastikverpackungen und Plastiktüten häufen sich am Ende des Films auf einem riesigen Müllberg. Da Francis Alÿs alle seine Videos im Internet frei zugänglich zur Verfügung stellt, kann hier der ganze Film geschaut werden.
Hübsch – bunt – groß – Plastik im 21. Jahrhundert
Sehr fotogen ist das demonstrativ im Raum platzierte Ausrufungszeichen aus grün-gelben Plastikbürsten von Richard Artschwager. Der US-amerikanische Künstler gehört mit seinen Objekten zur Minimal Art, und tatsächlich hätte ich seine Plastik eher in den 1960er oder 70er Jahren verortet – aber sie stammt von 2008.
Ebenso fototauglich ist die pastellig schimmernde Wolke aus Acrylglas-Fragmenten, die am Ende der Halle unter der Decke hängt: Nironimox ist eine Arbeit von Berta Fischer von 2023. Die Tochter von Konrad Fischer (der als Künstler Konrad Lueg hieß und von dem ebenfalls Arbeiten in der Ausstellung zu sehen sind), leitet die traditionsreiche Galerie ihrer Eltern in Düsseldorf und Berlin weiter und ist auch als Künstlerin tätig. Sie arbeitet gerne mit Kunststoff, aus dem sie eigenwillige, bizarre und poetische Skulpturen formt. Ästhetischer Schnickschnack aus Plastik, mehr ist es leider nicht.
Plastic World in der Schirn eröffnet zeitgleich mit einer Kooperations-Ausstellung im Senckenberg Naturmuseum. Dort beschäftigt man sich künstlerisch und wissenschaftlich mit Kunststoff und seiner Umweltbilanz und stellt eine Vision zukünftiger Ökosysteme aus. Reicht das als Auseinandersetzung?
Fazit
Das Thema Umweltverschmutzung ist bei dieser Ausstellung zu kurz gekommen. Was machen wir mit dem ganzen Plastik überall auf dieser Welt? Es ist in Ordnung, ein bisschen Hoffnung auf Pilze zu setzen, die anfangen, Plastik zu verstoffwechseln (wie bei Tue Greenfort). Aber insgesamt müsste ein Diskurs darüber in der Ausstellung mehr in den Mittelpunkt gerückt werden.
Für die Kunstwerke der 60er und Anfang der 70er Jahren gilt: Damals war der Umweltgedanke noch nicht relevant. Aber: Der Club of Rome warnte bereits 1972 vor dem Kollaps der Erde. Wir verdrängen die Ölkrise (Erdöl ist die Basis vieler Kunststoffe), die uns 1973 autofreie Autobahnen an Wochenenden bescherte. Seit den 1970er Jahren ist klar, dass wir Menschen den Planeten versauen. Auch mit Plastik.
‚Plastik ist gekommen, um zu bleiben‘, wird die Kuratorin Martina Weinhardt oft im Katalog zitiert. Jedoch vermisse ich die Auseinandersetzung damit, gerade bei der Erstellung neuer Plastiken aus Plastik (haha – ein Wortspiel).
An vielen ausgestellten Kunstwerken habe ich jedoch auch meine Freude gehabt. Und so mag die Ausstellung zumindest zum Nachdenken anregen, wie wir mit Kunststoff in unserem Leben umgehen wollen.
Plastic World, die aktuelle Ausstellung in der Schirn -britta kadolsky