Eine nackte Frau mit blonder Bienenkorbfrisur schreitet eine Treppe herab. Frontalansicht, leicht unscharf. Die Farben: wie auf einem der ersten Farbfotos, ausgeblichen, die Treppe grünlich. Ema, 1966. 2 Meter mal einsdreißig.
Graue Rechtecke. Monochrom. Die Farbe mal mit grobem Pinsel gleichmäßig waagrecht aufgetragen, mal wie wenn Wasser abtropft von einer glatten Oberfläche, dann wieder in einem Schwung nach rechts oben oder wie gelocktes Haar oder wie dicke Striche mit schmalen scharfen Kanten geknickt, gebrochen, übereinandergesetzt. Grau, 1967. 5 Bilder, je zirka 35 mal 30 Zentimeter
Am linken Rand leuchtendes Blau, schlammgrau überwischt, dagegengesetzt eine scharfe Kante Grün, von unten schwefelgelber Lichtschein, von oben Rot hineingezackt, rechts in der Ecke eine graue Röhre, ein Pinselstrich aus schwarz und weiß, der sich fortsetzt in eine Andeutung von Gestänge… Wie viele Bilder sind in diesem Bild? Eins überlagert das andere, ein Raum nach dem andern tut sich auf, bis in eine Tiefe, die unergründlich ist. Abstraktes Bild, 1984. 2 Meter mal 180.
Gerhard Richter ist nicht zu fassen. Sagt man. Ein Chamäleon, heißt es. Einer, der die Stillosigkeit zum Prinzip erhoben hat. Der nur kokett ist, wenn er sagt, eigentlich sei es doch immer die gleiche Technik – nämlich immer Öl auf Leinwand.
Eigentlich ist so etwas Gift für den Kunstmarkt. Der will den Künstler als Label, als berechenbare Größe. Richter wollte das nie: ein Marktkünstler werden. Trotzdem ist er es geworden – und seine „Stillosigkeit“ zum teuer bezahlten Markenzeichen. Er ist der deutsche Superstar, auch international. Seit Jahrzehnten landet er in den Rankings der teuersten Künstler*innen weltweit mindestens unter den ersten fünf.
Zwei Vorschläge, Gerhard Richter zu verstehen.
Erstens. Am Anfang ist die DDR
Geboren wird Gerhard Richter 1932 in Dresden als Sohn eines Lehrers und einer Buchhändlerin. Die Schule verlässt er mit 16, zieht mit Laienspielzirkeln über die Dörfer, tritt der FDJ bei, arbeitet als Bühnenmaler. An der Dresdner Kunstakademie wird er erst zugelassen, nachdem er sich durch Malen von Spruchbändern und Emblemen für einen Volkseigenen Betrieb bewährt hat. Seine Diplomarbeit: ein monumentales Wandbild für das Dresdner Hygiene-Museum.
Gerhard Richter ist auf dem besten Weg, ein Vorzeigemaler des Sozialistischen Realismus zu werden. Und das aus Überzeugung.
Mit dieser Haltung besucht er 1959 die zweite Documenta in Kassel. In Erinnerung bleiben ihm vor allem mit Farbe betropfte oder zerschnittene Leinwände. Gegen seine Erwartung ist er schockiert von Pollock und Fontana, von der „Frechheit“, mit der sie ihre Formate misshandeln.
Diese Begegnung mit dem radikal subjektiven Gestus der modernen Westkunst, der äußersten Freiheit des künstlerischen Ausdrucks, hinterlässt ihre Spuren.
1961, kurz vor dem Mauerbau, entscheidet sich Richter gegen den verordneten künstlerischen Optimismus, den reglementierten Realismus des sozialistischen Deutschland. Im Westen studiert er ein zweites Mal – an der Düsseldorfer Akademie, einer Hochburg des deutschen Informel, einer Malerei, die spontan und unmittelbar ist.
So gut wie alle Werke aus der Zeit vorher hat Richter vernichtet. Trotzdem nimmt er etwas mit aus der DDR: eine tiefe Abneigung gegen Ideologien und politische Botschaften.
Aber ja: Es ist immer Öl auf Leinwand!
Immer wieder hat Richter das behauptet: dass es ihm nur um Malerei gehe, dass die Motive keine Rolle spielten. Selbst da, wo die Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit mit Händen zu greifen war, wenn er Fotos aus dem Familienalbum abmalte, von Tante Marianne, die dem Euthanasieprogramm der Nazis zum Opfer fiel, oder von Onkel Rudi im Wehrmachtsmantel. Spät gesteht er ein, dass das eine Schutzbehauptung war. Dass die Motive ihm sehr wohl etwas bedeuteten. Aber dass es damals einfacher war – und schicker klang – das Gegenteil zu behaupten.
Richters erste romantische Landschaftsbilder entstehen ausgerechnet im politisch bewegten Jahr 1968. Das ist kein Zufall. Richter entzieht sich der Zumutung, politische Kunst machen zu müssen. So lassen sich auch die Serien monochrom grauer Gemälde verstehen, die bis in die Mitte der Siebziger Jahre entstehen: als Verweigerung.
Aus dieser Phase der Skepsis, vielleicht sogar der Depression taucht Richter langsam auf mit unerwartet bunten abstrakten Bildern, auf denen die Farbe zu explodieren scheint. Ein Befreiungsschlag, der aber auch mit Selbstzweifeln verbunden ist: ist es wirklich an der Zeit, so zu malen, so kompliziert, mit so viel Farbe?
Dann kommt, 1988, elf Jahre nach dem Deutschen Herbst, der RAF-Zyklus. 15 Bilder über die Toten von Stammheim, Szenen von der Beerdigung, der Plattenspieler aus Baaders Zelle. Jetzt kann keiner mehr glauben, Richter habe nichts zu sagen. Auf einmal wird, auch im Rückblick auf das vorangehende Werk, wieder ein ganz anderer Richter sichtbar: der Historienmaler.
Um den RAF-Zyklus entbrennt ein politischer Streit. Verharmlosung und Geschichtsfälschung wirft man Richter vor. Dass überhaupt über den Deutschen Herbst nachgedacht wird, rührt schon an ein Tabu. Erst recht, wie Richter das tut: indem er die Vorstellung untergräbt, es gebe eine objektive Realität, auf die die herrschende Politik sich stützen könnte. Nicht zufällig sind die Bilder, abgemalt von Schwarz-Weiß-Fotos, so unscharf – da hilft kein noch so genaues Hinschauen. Die Unschärfe, so Richter, zeigt, dass wir nichts wissen – so groß die Hoffnung ist, das schmerzhafte Thema begreifbarer zu machen oder erträglicher.
Erstmals zeigt sich Gerhard Richter auch öffentlich als verletzbar. Es verletzt ihn, dass es heißt, er sei ein virtuoser, zynischer Könner, der gar nicht das Recht habe, so ein Thema anzupacken. Als hätte er kein Recht zu leiden.
Geboren wird Gerhard Richter 1932 in Dresden als Sohn eines Lehrers und einer Buchhändlerin. Die Schule verlässt er mit 16, zieht mit Laienspielzirkeln über die Dörfer, tritt der FDJ bei, arbeitet als Bühnenmaler. An der Dresdner Kunstakademie wird er erst zugelassen, nachdem er sich durch Malen von Spruchbändern und Emblemen für einen Volkseigenen Betrieb bewährt hat. Seine Diplomarbeit: ein monumentales Wandbild für das Dresdner Hygiene-Museum.
Gerhard Richter ist auf dem besten Weg, ein Vorzeigemaler des Sozialistischen Realismus zu werden. Und das aus Überzeugung.
Mit dieser Haltung besucht er 1959 die zweite Documenta in Kassel. In Erinnerung bleiben ihm vor allem mit Farbe betropfte oder zerschnittene Leinwände. Gegen seine Erwartung ist er schockiert von Pollock und Fontana, von der „Frechheit“, mit der sie ihre Formate misshandeln.
Diese Begegnung mit dem radikal subjektiven Gestus der modernen Westkunst, der äußersten Freiheit des künstlerischen Ausdrucks, hinterlässt ihre Spuren.
1961, kurz vor dem Mauerbau, entscheidet sich Richter gegen den verordneten künstlerischen Optimismus, den reglementierten Realismus des sozialistischen Deutschland. Im Westen studiert er ein zweites Mal – an der Düsseldorfer Akademie, einer Hochburg des deutschen Informel, einer Malerei, die spontan und unmittelbar ist.
So gut wie alle Werke aus der Zeit vorher hat Richter vernichtet. Trotzdem nimmt er etwas mit aus der DDR: eine tiefe Abneigung gegen Ideologien und politische Botschaften.
Aber ja: Es ist immer Öl auf Leinwand!
Immer wieder hat Richter das behauptet: dass es ihm nur um Malerei gehe, dass die Motive keine Rolle spielten. Selbst da, wo die Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit mit Händen zu greifen war, wenn er Fotos aus dem Familienalbum abmalte, von Tante Marianne, die dem Euthanasieprogramm der Nazis zum Opfer fiel, oder von Onkel Rudi im Wehrmachtsmantel. Spät gesteht er ein, dass das eine Schutzbehauptung war. Dass die Motive ihm sehr wohl etwas bedeuteten. Aber dass es damals einfacher war – und schicker klang – das Gegenteil zu behaupten.
Richters erste romantische Landschaftsbilder entstehen ausgerechnet im politisch bewegten Jahr 1968. Das ist kein Zufall. Richter entzieht sich der Zumutung, politische Kunst machen zu müssen. So lassen sich auch die Serien monochrom grauer Gemälde verstehen, die bis in die Mitte der Siebziger Jahre entstehen: als Verweigerung. Aus dieser Phase der Skepsis, vielleicht sogar der Depression taucht Richter langsam auf mit unerwartet bunten abstrakten Bildern, auf denen die Farbe zu explodieren scheint. Ein Befreiungsschlag, der aber auch mit Selbstzweifeln verbunden ist: ist es wirklich an der Zeit, so zu malen, so kompliziert, mit so viel Farbe?
Dann kommt, 1988, elf Jahre nach dem Deutschen Herbst, der RAF-Zyklus. 15 Bilder über die Toten von Stammheim, Szenen von der Beerdigung, der Plattenspieler aus Baaders Zelle. Jetzt kann keiner mehr glauben, Richter habe nichts zu sagen. Auf einmal wird, auch im Rückblick auf das vorangehende Werk, wieder ein ganz anderer Richter sichtbar: der Historienmaler.
Um den RAF-Zyklus entbrennt ein politischer Streit. Verharmlosung und Geschichtsfälschung wirft man Richter vor. Dass überhaupt über den Deutschen Herbst nachgedacht wird, rührt schon an ein Tabu. Erst recht, wie Richter das tut: indem er die Vorstellung untergräbt, es gebe eine objektive Realität, auf die die herrschende Politik sich stützen könnte. Nicht zufällig sind die Bilder, abgemalt von Schwarz-Weiß-Fotos, so unscharf – da hilft kein noch so genaues Hinschauen. Die Unschärfe, so Richter, zeigt, dass wir nichts wissen – so groß die Hoffnung ist, das schmerzhafte Thema begreifbarer zu machen oder erträglicher.
Erstmals zeigt sich Gerhard Richter auch öffentlich als verletzbar. Es verletzt ihn, dass es heißt, er sei ein virtuoser, zynischer Könner, der gar nicht das Recht habe, so ein Thema anzupacken. Als hätte er kein Recht zu leiden.
Zwei Vorschläge, Gerhard Richter zu verstehen.
Zweitens. Der Triumph der Fotografie und die Krise der Malerei
Gerhard Richter also ist einer der wichtigsten deutschen Maler der Gegenwart – obwohl er die Malerei immer wieder radikal in Frage gestellt hat. Oder ist er so wichtig, gerade weil er das getan hat?
Zur Klärung hilft ein Blick auf das, was man die Krise der Malerei genannt hat. Die beginnt mit dem Siegeszug der Fotografie. Was die objektive Abbildung der Wirklichkeit, die äußerliche Wahrheit angeht, ist das Foto unschlagbar. Was bleibt da noch übrig für die Malerei? Eine Frage, die die Künstler seit der Mitte des 19. Jahrhunderts beschäftigt.
Auch Gerhard Richter lässt sie nicht los. Die Antwort sucht er in der Konfrontation. Er weicht der Fotografie nicht aus, er befragt sie. Er übermalt sie, versucht sie zu überbieten, spielt mit ihr. Erst mit Zufallsfunden aus Familienalben oder Zeitungen, später malt er auch nach eigenen Fotografien. Dabei passiert natürlich etwas mit den Vorlagen: banal wie sie als Alltagsbilder sein mögen, bekommen sie, in Malerei verwandelt, auf einmal eine eigene Würde. Aber das ist nicht das einzige, was Richter an der Fotografie reizt. Das Foto hat die Fähigkeit, Wirklichkeit einzufangen, wie sie ist. Wenn er hingegen nach der Vorstellung malt, sagt Richter, beginnt er unwillkürlich, das Sichtbare einem gestalterischen Ideal zu unterwerfen. Dann ist es nicht mehr das, was da war. Wie aber kann er einfach nur das zeigen, was da ist?
Im Spiegel. Oder im Glas, das aussieht wie ein Fenster und einen direkten Blick auf das Dahinter ermöglicht. Eine Radikallösung, die Richter auch mehrfach ausprobiert. Aber unbefriedigend für einen, der eigentlich Maler ist, also: mit Öl und Leinwand arbeiten will.
Also untersucht Richter das Verhältnis zwischen Fotografie und Malerei immer wieder neu. Wie lässt sich der Augenblick, der ungeschönte Ausschnitt aus der Wirklichkeit, in die Malerei übertragen, wenn man nicht auf das Foto zurückgreift?
Indem man den Akt der Malerei so offen hält wie möglich. Das ist es, was Richter mit seinen „abstrakten“ Bildern unternimmt. Die entstehen in verschiedenen Schichten, zeitlich voneinander getrennt, zwischendurch stehen sie da und trocknen – und werden in möglicherweise ganz anderer Stimmung ergänzt oder zerstört. Dadurch entsteht eine ganz besondere Räumlichkeit, in der die Zeit aufgehoben ist.
Von hier aus lässt sich Richters Behauptung verstehen, in all seinen Bilder, so unterschiedlich sie aussehen, gehe es immer um dasselbe: alle halten sie Distanz zu einer Malerei, die die Welt heiler und geordneter darstellt, als sie ist. Und das ist letztlich eine philosophische Aussage über unsere Gegenwart, die Richter als desorientiert und konfus empfindet.
Und am Ende ist Gerhard Richter, der in seinem achten Lebensjahrzehnt begonnen hat, Fenster für den Kölner Dom zu gestalten, doch wieder zurückgekehrt in die Zeit, als das Malen noch geholfen hat.
Stilbruch auf Leinwand: Gerhard Richter – Ruth Fühner
Foto im Teaser: Spiegelung des Richter-Fensters im Inneren des Kölner Doms, Foto von: Geolina163, CC BY-SA 3.0.