Barbara Kruger in Berlin und Venedig
britta kadolsky
Barbara Kruger in Berlin und Venedig
Seit ihrem ikonischen Werk von 1987 I shop therefore I am finde ich die Kunst von Barbara Kruger großartig. Ihre Erkennungsmerkmale sind die Farben: Schwarz, weiß und rot sowie die riesigen Schriftzüge. Immer ist Text ein fester Bestandteil der Arbeit und ihre Werke in Berlin und Venedig bestehen gar nur noch aus Schrift.

Barbara Kruger in der Neuen Nationalgalerie in Berlin
Ihre Ausstellung in Berlin in der Neuen Nationalgalerie heißt: Bitte lachen/Please cry.

Passt gut in diese Zeit, in der das Leben oft zum Lachen und zum Weinen ist – gleichzeitig, nacheinander. Die Reihe der plakativen Smileys, die abwechselnd glücklich oder traurig dreinschauen, spiegelt in Social-Media-Manier diese Ambivalenz.
Der Steinboden der gesamten ebenerdigen Etage der Neuen Nationalgalerie ist mit Schrift belegt. Und zwar nur der Boden! Normalerweise greifen die immersiven Ausstellungen von Kruger alles auf, was mit Messages belegt werden kann: Boden, Wände und Decke. In der Neuen Nationalgalerie ist schon durch die riesigen Glasscheiben von außen viel zu sehen. Auf den Buchstaben herumzulaufen, ist noch eindrücklicher (der Eintritt ist frei). Allerdings sind die schwarzen und weißen Buchstaben auf Kunststofffolie so riesig, dass beim Darüberlaufen ganze Zitate nicht wirklich zu lesen sind. Es sieht aber bombastisch aus, dieses Allover!

Zitate von James Baldwin, George Orwell und Walter Benjamin zu großen politischen Themen wechseln sich mit eigenen Zitaten der Künstlerin ab. Von George Orwell ist beispielsweise der eindringliche Satz aus seinem Roman 1984 zu lesen: „Wenn Sie sich ein Bild von der Zukunft machen wollen, dann stellen Sie sich einen Stiefel vor, der auf einem menschlichen Gesicht herumtrampelt, für immer.“ Sofort denke ich an den Krieg in der Ukraine und bin erstaunt über die Aktualität dieses Zitats von vor 75 Jahren. Daneben Smiley Emojis und jede Menge Pfeile, die in unterschiedlichste Richtungen zeigen – Symbol für unsere Ziellosigkeit? Oder bedeutet es: „Alles geht!“? Jedenfalls bildet Kruger mit dem Nebeneinander von wichtigen und banalen Nachrichten die heutige Realität in den sozialen Medien adäquat ab.

Die Konzeptkünstlerin Barbara Kruger
Die Kunst der mittlerweile 77-jährigen Konzeptkünstlerin aus den USA ist durch ihren unverwechselbaren Stilseit den frühen 1970er Jahren wiedererkennbar. Sie nutzt die Copyright-freien Schrifttypen Futura Bold oder Helvetica: serifenfreie und moderne Schriftarten. Popkulturell. Früher kombinierte Kruger die Schrift mit Schwarzweiß Fotos – so hatte sie es bei ihrem früheren Job als Bildredakteurin und Grafikerin bei Magazinen wie Mademoiselle und Vogue gelernt. Knackige Aussagen, die durchaus reißerisch sind – ein Vorgehen, das sie später zu ihrer Kunst machte. Mittlerweile arbeitet sie nur noch mit der Schrift.
Der Slogan ihres Werkes I shop therefore I am von 1987 ist angelehnt an René Descartes ‚Ich denke also bin ich‘. Kruger greift damit den Werbungs- und Konsumwahnsinn an, der verspricht, durch Shoppen ein besserer Mensch zu werden – ja vielleicht überhaupt existent zu werden.

Auch ihr Your body is a battleground von 1989 ist heute, im Angesicht der neuen Abtreibungsverbote in den USA, aktueller denn je, und ist dort auch bei Demonstrationen auf Plakaten zu lesen. Kunst als Protest. Damals wie heute.
Barbara Kruger auf der Biennale in Venedig

Auf der Biennale erstreckt sich das Werk Untitled (Beginning/Middle/End) über den Boden, die Säulen innerhalb des Raumes und die Wände. Wie in Berlin auch ist Krugers Werk als ortsspezifische Installation konzipiert. In dem extra dafür geschaffenen Raum im Arsenale ist das allerdings für meinen Geschmack zu wuchtig geraten. In großen Lettern in Weiß auf Schwarz, oder umgekehrt, prangen Botschaften wie OUR VOICE, OUR FATE, oder PLEASE CARE oder IN THE MIDDLE THERE WAS CONFUSION. Die Schrift ist so groß, als würde sie Häuserfassaden umspannen. So ‚schreien‘ mich die einzelnen Buchstaben von den Wänden und Säulen an. Diese Installation ist mir zu immersiv, ich kann leider gar nicht so lange verweilen. PLEASE CARE fasse ich direkt als flehentliche Bitte auf und denke trotzig „I CARE!! Aber so viele andere nicht!“ Vielleicht ist dieser Gedanke aber auch ein Grundproblem unserer Gesellschaft?
Wie in Berlin, wechseln sich hier glückliche und traurige Smileys am Boden mit den Texten ab.

Mittlerweile hat sich eine Meme-Fangemeinschaft die plakative Formensprache von Barbara Kruger angeeignet und ändert den Text, um eine neue Aussage zu kreieren. Damit findet Krugers Kunst Nachfolger, die oft in ähnlicher Manier wie Kruger selbst gesellschaftspolitische Missstände anprangern. Memes sind Bilder oder kurze Videos, die durch Textergänzung eine witzige, satirische oder gesellschaftskritische Botschaft transportieren.
Außerdem eignen sich die plakativen, unverwechselbaren und begehbaren Text-Installationen immer wieder für Fotomotive und als Hintergrund für Selfies, was den Bekanntheitsgrad von Barbara Krugers Kunst maximiert.

Barbara Kruger in Berlin und Venedig
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