Comic-Autor, Maler, Illustrator und Plattencover-Gestalter von Udo Lindenberg
Alfred von Meysenbug, einigen bekannt durch seine Comic-Bücher und die Illustration von Udo Lindenbergs Plattencovern, ist vor einem Jahr am 19. Februar gestorben. Meyse, wie er von seinen Freunden liebevoll genannt wurde, hieß eigentlich Karl Alfred Freiherr von Meysenbug, jedoch benutzte er den Adelstitel nie.Ein Porträt eines zu Unrecht viel zu unbekannten Künstler:
Der Maler, Illustrator und Comicbuchautor lebte in Hamburg und wurde Ende der 1960er Jahren mit seinen gesellschaftskritischen Comics SUPERMÄDCHEN und GLAMOURGIRL bekannt. Die im Stil der Pop-Art gezeichneten Werke von 1968 erinnern an die Kunstwerke von Roy Lichtenstein, auch weil beide Künstler sich an der Werbe-Ästhetik orientierten.
Meysenbug kritisierte mit den Comics die Wirtschaftswunders-Gesellschaft mit ihrem allgegenwärtigen Konsum. ‚Jolly Boom‘ ist das SUPERMÄDCHEN und arbeitet als Verkäuferin. Dabei passt sie sich so perfekt der kapitalistischen Konsum- und Warenwelt an, dass sie sich zum Schluss selbst verkauft. ‚Carla Lilly‘ ist das GLAMOURGIRL und eine Prostituierte, die in ihrer Ehe mit einem Polizisten eine patriarchale Unterdrückung erfährt, vor der das Gesetz sie auch nicht schützen kann. Die Geschichten richten sich gegen die autoritären Strukturen der Nachkriegsgesellschaft, den Kapitalismus und das Establishment und die nach wie vor nicht aufgearbeitete Nazi-Vergangenheit.
Günter Amendt schrieb in seinem Vorwort der von zweitausendeins nochmals aufgelegten Comics: „Die persönlichen Erwartungen [Meysenbugs] und der politischen Bewegung, der er sich zurechnet, werden den Helden der Comics unterlegt. So bekommt auch die Nutte eine Chance auf Entwicklung zum Glück und zur Emanzipation. […] Meysenbugs Helden sind Randfiguren, solche, die die bürgerliche Gesellschaft dazu gemacht hat: Nutten, Transvestiten, Frauen, Bardamen, Künstler, Zuhälter und Hippies.“
Die Texte in den Sprechblasen der Blondinen ‚Jolly Boom‘ und ‚Carla Lilly‘ mit den roten verführerischen Lippen stammen teilweise von Marcuse, Adorno und Nietzsche und stehen damit scheinbar im Widerspruch zum leichten Comicstil.
Meysenbug setzte sich für die freie Liebe und gegen die biedere Kleinbürgerlichkeit ein, wie er es im 4-seitigen Comic-Essay Petting seine barbusigen Protagonisten formulieren lässt: „Mir macht das Lieben Freude, ich schäme mich nicht meines Körpers und es ist mir nicht peinlich.“ Der Comic erschien 1967 in der linken Alternativ-Zeitschrift Peng. Der 1971 gezeichnete Polit-Porno Lucy’s Lustbuch wurde noch vor der Auslieferung beschlagnahmt und nie veröffentlicht. Meysenbug illustrierte Günter Amendts Sexualaufklärungsbuch Sexfront, eine „Kampfschrift gegen die Bürgerlichkeit“, wie Laudator Dr. Andreas Bode es anlässlich des Rattenfänger-von-Hameln-Preises, formulierte.
Schließlich veröffentlichte Meysenbug noch 2 Kunstmärchen oder Graphic Novels, wie man heute sagen würde: Der glückliche Prinz und Däumling (dazu später noch mehr).
Meysenbug studierte in Frankfurt bei Theodor W. Adorno am Institut für Sozialforschung. Adornos Kritische Theorie und seine antifaschistische Einstellung begeisterten Meysenbug, dessen Vater während der NS-Zeit bei der Wehrmacht diente. An der Uni wurde Meysenbug Mitglied im SDS und befand sich auch bald im Zentrum der APO. Politisch links orientiert, engagierte er sich bei den Studentenrevolten. Sie forderten zunehmend radikale Gesellschaftsveränderungen und stellten bestehende Herrschaftsstrukturen infrage. 1968 wurde Meysenbug im Verlauf von Protesten gegen die Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels (an den damaligen Präsidenten der Republik Senegal) festgenommen, jedoch nach wenigen Stunden wieder entlassen.
Zusammenarbeit mit Udo Lindenberg
Anfang der 70er Jahre zieht Meysenbug nach Hamburg und wohnt die letzten 40 Jahre in einer kleinen Wohnung mit einem kleinen Hinterhofgarten, den er voller Hingabe hegt und pflegt. Sein Selbstporträt Der fröhliche Landmann – endlich gaga, in Acryl auf Leinwand zeigt ihn selbst als Gärtner. Auch Vögel malte und zeichnete er immer wieder sehr gerne. Die Bilder zeigen, dass Meysenbug nicht nur Zeichner und Autor, sondern auch Maler war.
In Hamburg begann eine enge Zusammenarbeit mit Udo Lindenberg: er illustrierte und gestaltete 3 Plattencover, u.a. Rock-Revue, und schrieb einige Texte von Lindenbergs Songs.
Lindenberg sagt, Meysenbug habe ihn politisiert.
Ausflug in die Geschichte des Comics
Das Comic stellt seine, zumeist lustige, Geschichte anhand einer Folge von Einzelbildern, sogenannte Panels, dar. Die gezeichneten Bilder werden mit Text, oft in Sprechblasen und sogenannten Soundworten, wie ‚Bums‘ oder ‚Boom‘, ergänzt. Sogenannte Comicstrips werden bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts in den USA in diversen Zeitungen gedruckt, Comicbücher erscheinen jedoch erst später.
Ab den 1960er Jahren erscheinen in den USA sogenannte Underground-Comics, in denen viele Tabu-Themen, wie Drogen, Pornographie oder Homosexualität, behandelt werden.
Die ersten Helden in deutschen Comics sind andere: Tim und Struppi erscheint erstmals 1952, Fix und Foxi 1953; sie zählen zu den ersten Comicbüchern. Das erste Lustige Taschenbuch von Disney kommt In Deutschland 1967 auf den Markt und 1968 erscheint das erste Asterix-Comic in Deutschland. Insgesamt ist die Kritik an dem Medium Comic jahrelang beachtlich, es gilt als Schundliteratur, als Abkehr vom Bildungs- und Literaturkanon, wie Sylvia Kesper-Biermann es formuliert.
Das macht deutlich, wie provokant Meysenbugs Kunst war: Das Comic, zum einen als Format, um eine politische Kritik zu formulieren und transportieren und zum anderen die ästhetische sowie inhaltliche Veränderung im Vergleich zu den bisher bekannten Comics in Deutschland. Das Comic wird eindeutig zur Erwachsenenlektüre.
Werkprozess
Meysenbugs Modelle für seine Comicfiguren waren zumeist Freunde und Bekannte. Zunächst fotografierte er seine Modelle aus allen möglichen Perspektiven und in unterschiedlichen Positionen. Er benötigte die Fotos als Vorlage für seine Comicfiguren. Er zeichnete einzelne Panels mit den jeweiligen Figuren und dazugehörigen Sprechblasen, die er anfangs noch nicht beschriftete. Danach arrangierte er die diversen Einzelbilder auf einem Blatt und erstellte eine Kopie oder ein Foto der kompletten Seite. Erst wenn der Erzählstrang passte, wurden die Sprechblasen beschriftet, andernfalls arrangierte der Künstler neu und fotografierte die Kompositionen solange bis die Sequenz schlüssig schien. Das Erstellen von Comics war vor der Digitalisierung aufwendiger als heute.
„In Meysenbugs Comics wird gesamplet und gemixt, da steht Ernst Jünger neben Donald Duck und Marlene Dietrich, Marcuse und Adorno tauchen auf und das Glamour-Girl aus dem Frankfurter Rotlichtviertel sucht ‚geistigen Halt‘ beim berühmten Kant-Zitat ‚Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.‘“
Zitat: Klaus Kolb aus dem Ausstellungskatalog Kunstklinik Kulturzentrum Eppendorf S. 4.
Däumling – Meysenbugs letzter veröffentlichter Comic
„Märchentravestie in Comicform“ nennt Dr. Andreas Bode in seiner Laudatio Meysenbugs Däumling. Die 1991 erschienene Geschichte handelt von einem Menschenfresser, der das Land unterdrückt. In Anlehnung an Grimms Märchen vom Daumesdick, von dem jedoch nicht viel mehr übrigblieb, als dass ein armes Korbmacher-Paar ein Kind bekam, das kaum größer als ein Daumen war und daher den naheliegenden Namen erhielt. Zwar zieht auch Meysenbugs mutiger Däumling in die Welt, jedoch rettet er nicht nur seine Familie, sondern die gesamte Menschheit. Der riesige Menschenfresser in den großen Stiefeln verkörpert das Böse schlechthin und Däumling bekämpft ihn mit Taktik, Klugheit und Ausdauer – mit Erfolg.
Meysenbug wohnt während der Erstellung des Comics wieder in Frankfurt bei Freunden, die auch prompt als Vorlage für die Figuren dienen durften. Alle Mitbewohner der damaligen WG und einige der benachbarten Freunde finden sich in den Zeichnungen wieder.
Raffiniert löst Meysenbug die lineare Struktur der Seiten auf. Gleichförmige Panels von derselben Größe sind seine Sache nicht: So nutzt er eine komplette Seite nur für ein einziges Bild oder setzt 3 querformatige Einzelbilder übereinander oder bis zu 10 Bilder unterschiedlicher Größe und Format nebeneinander. Die Geschichte wirkt lebendig, weil Meysenbug kein gleichförmiges Raster benutzt. Motivisch motiviert sind die Perspektiven: Die Größe des Menschenfressers wird durch die Darstellung über die gesamte Länge einer Seite unterstützt oder die riesige Figur sprengt zeichnerisch den Rahmen, wenn sie in einem kleineren Panel abgebildet wird. Mit seinem pointierten Zeichenstrich setzt Meysenbug zuweilen auch lediglich die riesigen Stiefel des Menschenfressers aus der Frosch-Perspektive bedrohlich groß in Szene. Der Däumling wird häufig aus der Vogelperspektive dargestellt, was seine Winzigkeit betont. Auch die Abbildungen der Gebäude, die übrigens teilweise identifiziert werden können, bekommen eine eigene Seite, wenn ihre Größe betont wird. Zur Abwechslung gestaltet Meysenbug zwischendurch auch ein Blatt als All-over ganz ohne Rand oder lässt es komplett frei, also weiß und setzt lediglich den Däumling winzig-klein in die untere rechte Ecke. Insgesamt dominiert die Nahaufnahme und der Betrachter hat das Gefühl ganz nah am Protagonisten dran zu sein. Diese Finessen machen seine Geschichte auch ästhetisch spannender.
Die Darstellungen wechseln thematisch bedingt ihre Farben: Während die Geschichte vom Däumling zu Hause durch die Farben Gelb und Rot sehr freundlich wirkt, wechselt die Farbe in tiefdunkles Blau und Schwarz, sobald der Menschenfresser mit seinen Gesellen auftaucht.
Diese blonden Jünglinge mit ihren Militärstiefeln und Uniform-ähnlichen Klamotten erinnern an die NS-Vergangenheit. Meysenbug gibt keinen textlichen Hinweis darauf. Der Menschenfresser brüllt seine Jungs mit ‚STILL GESTANDEN!‘ an und fordert: ‚BENEHMT EUCH WIE MÄNNER!!‘ und die dumpfe Brutalität der ‚TÖTEN! TÖTEN! TÖTEN!‘-Skandierenden, macht die Anspielung überdeutlich.
Die gezeichneten Geschichten transportieren seine gesellschaftskritischen und sozialpolitischen Ansichten, sie sind unverfroren, aber auch liebenswert und originell.
Letztlich ist sich Meysenbug immer treu geblieben und hatte bedauerlicherweise nie den ganz großen Erfolg.
Vor einem Jahr ist Meyse an seinem schwachen Herz gestorben. Udo Lindenberg richtete die Ausstellung IN MEMORIAM ALFRED VON MEYSENBUG – COMIC, MALEREI, ZEICHNUNG in der Kunstklinik Kulturzentrum Eppendorf mit aus, die an die Talente des verstorbenen Comiczeichners, Grafikers und Malers erinnert.
Auf der Rückseite des Ausstellungskataloges ist das Bild der weinenden Jolly Boom abgebildet und in ihrer Denkblase ist zu lesen: „Es ist alles nicht so gelaufen, wie es hätte laufen können.“