Roy Lichtenstein: Ein Meister der Pop Art
britta kadolsky
In den 1960er Jahren wagte ein Künstler etwas Außergewöhnliches: Er stellte das Dogma der Moderne in Frage. Anstatt den individuellen Pinselstrich eines Künstlergenies zu feiern, setzte er auf die Anonymität der Pinselführung indem er sie in Rasterpunkten auflöste. Er wandte sich der bunten Konsumwelt und der Banalität des Alltags zu und verbannte den emotionalen Ausdruck anarchischer Wildheit aus seinen Werken.
Ich schreibe über Roy Lichtenstein, der in diesen Tagen 100 Jahre alt geworden wäre. Lichtensteins Kunst geht jedoch weit über bunte Punkte, Comics und banale Motive hinaus. Er war ein Meister der Pop Art, der die Grenzen zwischen Kunst und Massenmedien, Perfektion und Banalität, Hochkultur und Alltagswelt aufhob.
Kunst im Raster: Roy Lichtenstein spielt mit Punkten und Farben
Kräftige Primärfarben, markante schwarze Konturen und die charakteristischen Benday Dots, kleine, regelmäßig angeordnete Punkte, springen ins Auge. Inspiriert vom maschinellen Druckverfahren, adaptierte Lichtenstein dieses Prinzip für seine Kunst. Anstelle von durchgehenden Farbflächen setzte er Muster aus gleichmäßigen Punkten. Diese Punkte, anfangs mit einer Hundebürste aufgetragen, prägten seinen Stil. Später verfeinerte er seine Technik und nutzte tatsächlich maschinelle Siebdrucktechniken. Die Acrylfarben von Magna, die schneller trockneten als traditionelle Ölfarben, kamen zum Einsatz.
Der Malprozess war strukturiert: Zuerst die Punkte, dann die strahlenden Primärfarben und abschließend die schwarzen Konturen. Ironisch hinterfragte er die Idee der abstrakten Expressionisten, indem er den Eindruck einer maschinellen Perfektion erzeugte und sich so von der individuellen Handschrift eines Künstlergenies distanzierte. Doch gerade dieses Markenzeichen machte Lichtenstein selbst zum Star.
Bei der Wahl seiner Motive bediente sich Lichtenstein aus der Alltagswelt der Massenproduktion. Inspiriert von Werbeanzeigen, Illustrationen aus Zeitungen und Magazinen sowie Comics, bildete er alltägliche Gegenstände ab. Socken, Hausaufgabenhefte, Kaffeetassen und zunehmend Comics dienten als Vorlage. In seinen Werken spiegelt sich der amerikanische Traum als Klischee wider. Indem er winzige Comicbildern (teilweise) auf das Fünfzigfache vergrößerte hob er das Gewöhnliche auf ein neues Level.
Comic trifft Kunst: Lichtensteins Eintritt in die Welt der Pop Art
1961 schuf Lichtenstein eines seiner ersten Bilder im neuen Rasterpunkte-Stil: Look Mickey. Dieses riesige Werk zeigt Donald Duck, der glaubt, einen Fisch gefangen zu haben, dabei ist es aber nur seine Jacke. Mickey lacht. Die Farben des Comics, Gelb, Rot und Blau dominieren. Die Benday Dots sind hier noch auf Mickeys Gesicht beschränkt. Die Inspiration für dieses Werk ist nicht eindeutig geklärt, aber es wird gemunkelt, dass Lichtensteins Sohn „schönere“ Kunst von ihm gefordert habe. In Interviews erwähnte Lichtenstein auch ein Bazooka Kaugummi-Motiv als Quelle.
In den folgenden Jahren rückte Lichtenstein zunehmend Frauen in den Fokus seiner Werke, die an glanzvolle Hollywood-Diven erinnern. Die Bilder sind flächig, tiefenlos und pur. Die dramatische Vergrößerung sorgt für zusätzliche Aufmerksamkeit.
Ein Blick auf Lichtensteins „Girl with a Ball“ von 1961 zeigt eine junge Frau im blauen Badeanzug, die einen rot-weißen Ball über dem Kopf hält. Das Rot spiegelt sich in ihren offenen Lippen wider. Der Hintergrund ist leuchtend gelb, und die Haut zeigt die berühmten Punkte. Inspiriert von einer Ferienresort-Werbeanzeige erinnert das Bild an die Pin-up-Girls der 40er Jahre. Lichtenstein zeigt die Macht der Werbung, und verwandelt Klischees in Ikonen.
Vom Lehrer zum Pop-Art-Pionier: Ein Blick in Lichtensteins Leben
Roy Lichtenstein wurde 1923 in New York City geboren. Bereits in jungen Jahren zeigte sich sein außergewöhnliches künstlerisches Talent. Nachdem er zunächst als Lehrer tätig war, entschied er sich, seiner Leidenschaft für die Malerei zu folgen und seine eigene künstlerische Identität zu entwickeln. Er begann mit figürlichen Motiven und abstraktem Expressionismus. Aber erst mit seinem Comicstil gelang Lichtenstein in den 1960er Jahren der Durchbruch in der Kunstwelt.
In einer Rede vor der College Art Association beschrieb Lichtenstein seine Kunst und die Pop Art als naiv-amerikanische Frische, die mit frecher Verwegenheit einen Wettstreit mit den visuellen Objekten des modernen Lebens eingeht. Lichtenstein starb 1997.
Berühmte Werke Lichtensteins
Eines seiner berühmtesten Werke ist Whaam! aus dem Jahr 1963. Das linke Teil des Diptychons zeigt ein Kampfjet, das eine Rakete abfeuert, während auf dem rechten Bild der Titel mit grell-gelber Lautschrift über einer Explosion steht. Der Abschuss eines Flugzeugs gilt als ein Schlüsselwerk der Pop Art und gehört zu Lichtensteins Serie von Kriegsbildern, in denen Luftschlachten zwischen den USA und der Sowjetunion dargestellt sind.
Ein weiteres bekanntes Werk ist M-Maybe, das eine blonde junge Frau ohne jegliche individuellen Züge zeigt, die direkt einem banalen Comic entsprungen zu sein scheint. Die Gedankenblase auf dem quadratischen Bild zeigt den naiven Gedanken: „M-Maybe he became ill and couldn‘t leave the studio. “ Große blaue Augen, volle rote Lippen und eine wehende blonde Mähne verkörpern das Männerideal.
Doch mein persönlicher Favorit ist die Serie Brushstroke aus den Jahren 1965 bis 1968, in der Lichtenstein abstrakte Darstellungen von Pinselstrichen schuf. Damit nahm er das Konzept des Künstlergenies und seines Pinselgestus aufs Korn und stellte die Kunsttradition auf den Kopf.
Wer mehr über Roy Lichtenstein HÖREN möchte, dem empfehle ich den Podcast KUNST & KNACKIG von Saskia und mir: Roy Lichtenstein: Der Pop Art Meister bringt es auf den Punkt bei spotify oder bei Apple Podcasts
Roy Lichtenstein: Ein Meister der Pop Art – Britta Kadolsky
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