Die vier Länderpavillons, die mich am meisten begeistert haben
Von Deutschland aus schauen wir gewohnt und – typisch für uns – besonders kritisch auf den Deutschen Pavillon, der in dieser Biennale, wenn auch nicht preisgekrönt, so doch sehr eindrucksvoll von Maria Eichhorn in Szene gesetzt wird (hier der Artikel link).
Außerdem lesen wir in den Medien oft über die selben Künstler und Pavillons. Für mich waren es in diesem Jahr eher die weniger im Rampenlicht stehenden kleineren Länderpavillons, die mich besonders beeindruckt haben. Hier also meine Empfehlung für eine Pavillon-Reise von Polen über Lettland, Belgien bis nach Griechenland:
Der Polnische Pavillon erzählt eine bunte Geschichte in Stoff
Wandfüllend hängen farbige und glitzernde Textilbilder: Eine genähte und gestickte Bildergeschichte aus Samt, Brokat, Spitze, Leinen, Leder, Teppich sowie Perlen und Knöpfe. Die Künstlerin Małgorzata Mirga-Tas spielt auf den Renaissance Palazzo Shifanoia in Ferrara an, dessen großer Saal komplett mit Fresken bemalt ist. Wie dort die gemalten Szenen, hängen hier immer drei großformatige Textilbilder übereinander und reihen sich ringsherum um den gesamten Raum.
Die Roma-Kultur ist für die polnische Künstlerin, selber Romni, Inspiration für die Motive in lebendigen Farben und die dekorativen Muster. Die textile Installation erzählt das Leben und die Geschichten des ewig unterdrückten Volkes. Eingenähte Fotos zeigen die Lebenssituation der Frauen und Männer, die der Künstlerin als Vorlage galten.
Groteskes aus Porzellan im Lettischen Pavillon
Auch der Lettische Pavillon bietet viel Buntes für die Augen: Die Wände hängen voll, der Boden ist bedeckt und die Tische und Regale auch.
Alle Objekte sind aus Porzellan: Farbig, grotesk, handgefertigt. Das Künstlerduo Skuja Braden formt Objekte, die eine Mischung aus Gebrauchs-Gegenständen wie Vasen, Teller, Becher und absurden Formen, Organen und Gesichtern sind. Augen starren mich an, ans Kreuz genagelte Penisse und Vulven auf Tellern sind auf einem Spielfeld a la ‚Tic-Tac-Toe‘ angeordnet.
Feministische und queere Perspektiven sind, angesichts der sowjetischen Vergangenheit, noch selten in Lettland. Eine auf dem Boden liegende, umgekippte Vase trägt das diabolisch aussehende Konterfei von Putin. Totenköpfe rollen aus dem Innern heraus und thematisieren das imperiale Verhalten Russlands gegen kleinere osteuropäische Länder während und nach der Auflösung der Sowjetunion. Die Arbeit entstand schon vor dem Krieg Russlands gegen die Ukraine.
Deko-Hunde, die fast an Kitsch grenzen, würden sie nicht ihre Zunge aus dem fratzenhaft aufgerissen Maul hängen lassen, stehen neben ähnlich absurd schreienden Gesichtern auf einem Haufen Porzellan-Eier, Teller mit sexuellen Motiven hängen an der Wand. In jeder Ecke entdecke ich neue Details und es gibt unendlich viel zu entdecken in dieser Wimmel-Installation mit starkem feministischem Touch.
Kinderspiele im Belgischen Pavillon
Ein kleiner schwarzafrikanischer Junge in roter Sporthose rollt mühevoll einen großen Autoreifen einen riesigen Schlackeberg hoch. Als er oben ankommt, kauert sich der Junge im Reifen zusammen, verstaut sorgfältig seine nackten Füße im Innern und rollt, immer schneller werdend, den ganzen Berg wieder hinunter. Die Aufnahmen sind so nah dran, dass ich das Gefühl habe, mich mitzudrehen.
Francis Alÿs bespielt den Belgischen Pavillon mit seiner Videoinstallation The Nature of the Game. In den zwölf Kurzfilmen zeigt Alÿs spielende Kinder u.a. aus dem Irak, dem Kongo, aus Mexiko, Hong Kong, Belgien, Afghanistan und Nepal.
Der belgische Künstler zeigt in dokumentarischem Stil, mit welcher Geduld, Raffinesse und Kreativität die Kinder sich mit einfachsten Mitteln spannende Spiele aussuchen. Das berührt.Weil der Künstler, der als Architekt nach einem Erdbeben nach Mexiko gegangen war, um beim Wiederaufbau zu helfen, seine Kunst allen zugänglich machen will, gibt es alle Kurzfilme auch online für zuhause (dort sind sogar 33 Filme zu sehen).
Im Griechischen Pavillon spielt sich eine Tragödie ab
… und ich bin live dabei – also gefühlt.
Mit der Virtual-Reality-Brille auf der Nase, Kopfhörer auf den Ohren liege ich in einem architektonisch komplexen, futuristischen, aber bequemen Sessel und tauche mitten hinein: Zuerst in einen schmutzigen Vogelkäfig, der von Geiern belegt ist, unangenehm nah fühlt es sich an. Dann bin ich auf einmal in einem Slum am Rande Athens und stehe neben einem alten blinden Mann. Plötzlich kommen junge Männer, die bedrohlich wirken, dazu.
Roma-Laiendarsteller spielen die 2.500 Jahre alte Ödipus-Tragödie ,von Sophokles nach. Das 15 minütige VR-Spektakel beginnt nach Vatermord, Inzest und Verbannung, als Ödipus ins Exil geht. Eine Parallele zur heutigen Zeit: Gewalt, Vertreibung, Flucht, Schuld, Familienfehde, die Suche nach Heimat – alles ist drin! Das ist lustig, traurig, erschreckend und dank der Technik ist man ganz nah an den Protagonisten. Ein nachwirkendes Erlebnis von Loukia Alavanou!
Ukrainischer Pavillon
Selbstverständlich muss man sich auch den Pavillon der Ukraine anschauen. Denn Pavlo Makovs Brunnen der Erschöpfung ist wirklich sehenswert. Aber es wurde bereits viel darüber geschrieben, hier und hier beispielsweise.
Fazit:
Jenseits der überall besprochenen Gewinnerinnen des Goldenen Löwen (Toll: Simon Leigh, die auch den amerikanischen Pavillon bespielt und Sonia Boyce, die im britischen Pavillon ausstellt) sind es die kleineren und vermeintlich unbedeutenderen Länderpavillons, die mir diesmal besonders gut gefallen haben.
Meine Highlights auf der Biennale in Venedig 2022 – Die vier Länderpavillons, die mich am meisten begeistert haben – britta kadolsky