CAC Málaga: Ein zeitgenössisches Juwel abseits des Picasso-Schattens
Bei Málaga denkt man vermutlich zuerst an Strand, Flamenco und Tapas und dann an das Picasso-Museum – schließlich wurde Pablo Picasso in dieser schönen andalusischen Stadt geboren. Heute möchte ich jedoch ein kleineres und weniger bekanntes, aber absolut sehenswertes Museum vorstellen: das CAC Málaga – Centro de Arte Contemporáneo, das Zentrum für zeitgenössische Kunst. Das Museum existiert bereits seit zwanzig Jahren und ist direkt angrenzend zur Altstadt im trendigen Stadtteil Soho zu besichtigen.
Die ehemalige Großmarkthalle, erbaut 1942, wurde zu einer beeindruckenden Ausstellungshalle im Stil des White Cube umgebaut, der Eintritt ist kostenlos. Das riesige dreieckige Gebäude mit einem kubischen Eingangsbereich zeigt wechselnde Sonderausstellungen zeitgenössischer spanischer und internationaler Künstler auf einer Fläche von etwa 6.000 Quadratmetern. Vor dem Eingang begrüßt mich eine überlebensgroße Skulptur von Stephan Balkenhol, der hier ebenfalls schon eine Ausstellung hatte. Die kleine ständige Sammlung des CAC Málaga umfasst 400 Werke, darunter Highlights aus den 1950er Jahren bis heute. Bekannte Künstler in der Sammlung sind unter anderem Olafur Eliasson, Anish Kapoor, Louise Bourgeois, Thomas Hirschhorn, Damien Hirst, Andy Warhol, Thomas Ruff und Santiago Sierra.
Farbe trifft Kohle: Überlebensgroße Porträts von Atanda Quadri Adebayo
Bei meinem Besuch war ich besonders beeindruckt von den lebensgroßen Porträts von Atanda Quadri Adebayo. Seine Ausstellung For Future Purposes ist die erste Ausstellung des Künstlers in einem Museum überhaupt, mit gerade einmal 24 Jahren ist der Nigerianer ja auch noch sehr jung. Das CAC Málaga zeigt zwanzig Werke aus den letzten zwei Jahren, einige davon hat Adebayo speziell für diese Ausstellung angefertigt. Er verwendet hauptsächlich Kohle und ergänzt sie durch farbige Elemente in Acryl.
Seine kraftvollen schwarzen Porträts zeichnet Adebayo mit Kohle – d.h. er benutzt keinen Pinsel, sondern bringt die Kohle direkt mit der Hand auf die Leinwand. Trotz der Monochromie haben die Gesichter eine unverkennbare individuelle Mimik. Einige Gemälde in der Ausstellung sind ausschließlich so mit unterschiedlichen Nuancierungen der Kohle gemalt, und der schwarze Hintergrund geht nahtlos in das Schwarz der Haare und Gesichter über. Ich finde es faszinierend, wie die einzelnen Gesichter trotz all dem Schwarz aus den Bildern herausstrahlen.
In vielen Werken ergänzt Adebayo die Kohlezeichnungen durch Acrylfarben. Die knalligen Farben neben der intensiven Kohle bringen die Haut der Figuren besonders zum Glänzen, obwohl die Kohle eher einen stumpfen Farbauftrag bedingt. Das Nebeneinander von schwarzer Kohle und intensiver Farbe macht diese Bilder besonders lebendig.
Ein weiteres Merkmal von Adebayos Arbeit sind die Muster, die er in seinen Gemälden verwendet, meistens im Hintergrund oder auf den Kleidungsstücken der abgebildeten Menschen. Diese floralen Muster entstehen, indem er mit einem Strohhalm Aquarellfarbe auf die Leinwand bläst. Diese scheinbar einfache Geste, das Malen mit dem eigenen Atem, kann als kraftvolle Metapher für das Leben gesehen werden – heißt es im Katalog. Das erinnert mich natürlich sofort an den Satz “I can’t breathe” von George Floyd und seinen tragischen Tod, der Ausgang der Black Lives Matter-Bewegung war.
Ergänzt wird die Ausstellung von Modellbauten: grob zusammengezimmerte Baracken auf Pfählen, wie sie in den Slums von Lagos, der früheren Hauptstadt Nigerias, stehen.
Ausdrucksstarke Porträts: Adebayos Meisterschaft mit Kohle und Farbe
Das erste Bild, Gathering ist vier mal fünf Meter groß, besteht aus zwei Leinwänden und zeigt die Gesichter von zehn Kinder in farbigen T-Shirts vor schwarzem Hintergrund. Die Kinder stehen dicht beieinander, manche umarmen sich, und die meisten lächeln. Als Betrachterin werde ich direkt angeschaut und die kindliche Mimik stimmt mich fröhlich. Von weitem wirkt die Malerei fotorealistisch, was erstaunlich ist, da bei naher Betrachtung der Auftrag der Kohle nicht detailliert nuanciert ist.
Sehr gut gefallen mir auch die beiden riesigen Bilder Untitled, The Other Side und Untitled, The Other Side II, die jeweils zwei Frauen nebeneinander auf dem Sofa sitzend zeigen. Die Frauen sind edel gekleidet: der lilafarbene Taftstoff der Bluse glänzt und kontrastiert mit der knallgelben Hose, die goldenen Ohrringe und die Perlenkette schimmern und der weiße Rüschenstoff des einen Kleides bauscht sich sichtlich unter dem abgelegten Arm. Ich habe eine große Schwäche für die Malerei der Stofflichkeit, denn dort offenbaren Künstler:innen oft ihre besonderes Malkönnen. Im Hintergrund sind die typischen floralen Muster, die fast wie eine Tapete erscheinen, würde das Dessin nicht leicht über die Kleidung ragen.
Auf dem ersten Bild schauen die Frauen mich ernst und direkt an, während die beiden Frauen auf dem zweiten Gemälde einander anschauen und lächeln. Die links sitzende Frau legt bei beiden Bildern ihre Hand vertraut und liebevoll auf das Knie der Anderen. Welche Situationen Adebayo hier jeweils darstellt, ist nicht beschrieben, und der Titel gibt keinen Aufschluss.
Das Werk Community gathering ist eine große Malerei ausschließlich mit Kohle und zeigt eine Versammlung in der Gemeinde Makoko. Dicht gedrängt stehen Männer, Frauen und Kinder mit sehr ernstem Gesicht beieinander. Im Hintergrund ist die Wand einer Baracke zu erkennen.
Makoko ist die größte schwimmende Barackensiedlung der Welt. Der Slum symbolisiert die Herausforderungen, mit denen das Land konfrontiert ist: die Spannung zwischen Modernität und maroder Infrastruktur, Wohlstand und Armut. Dieses Viertel bedeutet dem Künstler viel, da die Familie seiner Mutter einer lokalen religiösen Gemeinschaft angehört und einige seiner Familienmitglieder und Freunde dort leben. Zur Ausstellung gehören auch drei Skulpturen, die die Häuser von Makoko aus recycelten Materialien nachbilden.
Von der Armut zur Kunst: Kohle als Lebensgrundlage und künstlerisches Medium
Adebayo wuchs in Badagry auf, einer Küstenstadt in Nigeria, die als “Badlands” bekannt ist und eine Schlüsselrolle im transatlantischen Sklavenhandel spielte. Seine Großmutter und seine Mutter heizten und kochten mit Kohle, ein Zeichen für Armut, da wohlhabendere Familien bereits auf Gas umgestiegen waren. Seine Mutter unterstützte die Familie durch den Verkauf von Holzkohle. Schon als Kind malte der Künstler mit Kohlestücken seiner Mutter – ganz ohne Pinsel und Leinwand, nur mit den Händen. Adebayo, besonders dunkelhäutig, erfuhr in der Schule Spott und Häme – ihm folgte der Ruf, er sei „dunkel wie Kohle“.
Auf dem renommierten Yaba College in Lagos erwarb Adebayo ein Diplom in Malerei. Die symbolisch aufgeladene Kohle wurde zum Hauptmaterial seines künstlerischen Schaffens. Viele seiner Bilder basieren auf Fotos, die seine Großmutter und sein Vater aufbewahrt haben. Das wird auch dadurch erkennbar, dass die Personen in der Regel direkt aus dem Bild heraus auf die Betrachter:innen, also in das Objektiv schauen.
Zwischen Konflikt und Wandel: Nigeria Geschichte
Die Ausstellung hat mich angeregt, ein wenigüber das bevölkerungsreichste Land Afrikas nachzulesen. Nigeria zeichnet sich durch eine reiche und komplexe Geschichte aus, geformt von zahlreichen ethnischen Gruppen, Sprachen und Kulturen. In der Frühzeit beherbergte es mächtige Reiche wie Nri, Oyo und Benin.
Im 16. Jahrhundert begann mit der europäischen Expansion der Sklavenhandel, und im 19. Jahrhundert etablierten die Briten ihre Kolonialherrschaft. Die heutige Grenzlinie des Landes beruht hauptsächlich auf den Beschlüssen europäischer Mächte von 1884. Nigeria erlangte am 1. Oktober 1960 die Unabhängigkeit, gefolgt von politischen Unruhen und einem Bürgerkrieg – dem Biafra-Krieg. Die Älteren unter uns erinnern sich noch an das ikonische Foto eines Biafra-Kindes: Ein Synonym für Hunger, Elend und Tod.
Nach mehreren Militärputschen und Militärregierungen in den darauffolgenden Jahrzehnten kehrte Nigeria 1999 zur zivilen Regierung zurück und entwickelte sich zu einer der größten Demokratien Afrikas. Abuja ist sein 1991 die Hauptstadt. Trotz seiner reichen Erdölvorkommen steht Nigeria weiterhin vor Herausforderungen wie Korruption, Armut, Gewalt und ethnischen Konflikten.
Von alltäglichen Gesichtern zu Obama: Adebayos und Wileys künstlerische Visionen
Die Bilder von Adebayo erinnern mich im ersten Augenblick an die Werke des schwarzen afroamerikanischen Künstlers Kehinde Wiley, der durch sein Porträt von Barack Obama über Nacht berühmt wurde. Auch Wiley hat nigerianische Wurzeln, wuchs jedoch in den USA auf.
Adebayo gibt an, sich von Künstlern wie Jackson Pollock, Rihanna, Kerry James Marshall, Jean-Michel Basquiat, Wahab Saheed, Julius Agbaje, Samson Bakare und Christopher Samuel Idowu inspirieren zu lassen – Kehinde Wiley nennt er nicht.
Auch Wiley wählt knallige Farben als Kontrast zu seinen schwarzen Protagonisten, auch er ästhetisiert seine Werke mit floralen Mustern. Wiley malt allerdings in Öl und sehr realistisch. Er lässt sich von den Werken alter Meister wie Thomas Gainsborough und Tizian inspirieren und verbindet den prunkvollen Stil und die erhabenen Posen des Adels mit dem modernen Aussehen seiner Modelle. Wiley hat ein Team, mit dem er die floralen Hintergründe sorgfältig zeichnet, bevor er die Modelle in Posen der alten Meister einfügt. Adebayo beginnt mit den Porträts in Kohle, er zeigt familiäre Situationen und fügt den farbigen Hintergrund erst am Schluss hinzu. Während beide Künstler ähnliche Elemente verwenden, variiert die Ausführung und die Darstellung in ihren Werken deutlich.
Fazit
Das CAC Málaga ist eine wahre Perle in der Kunstszene. Es lohnt sich, dieses Museum zu besuchen. Die Ausstellung von Atanda Quadri Adebayo ist ein beeindruckendes Beispiel für zeitgenössische Kunst, die nicht nur ästhetisch ansprechend ist, sondern auch auf wichtige geopolitische Themen aufmerksam macht. Es ist erfrischend, junge aufstrebende Künstler wie Adebayo zu entdecken und ihre Perspektiven zu erleben.
CAC Málaga und die Kunst von Atanda Quadri Adebayo – Britta Kadolsky