Kunst im öffentlichen Raum – Bildhauerkunst
Die Museen sind immer noch im Lockdown. Nach Monaten des Verzichts auf Kunst und Kultur ist die Sehnsucht groß. Zeit, sich die Kunst draußen anzuschauen!
Kunst im öffentlichen Raum heißt das Stichwort!
Oft laufe oder radle ich durch Frankfurts Grünanlagen. Insbesondere die Wallanlagen sind eine großartige Chance, den Weg in die Stadt zu genießen. Im Grünen – und Kunst gibt es auch! Die Wallanlagen sind ein 5 km langer, grüner Zickzackstreifen. Die Parklandschaft umrundet die Frankfurter Innenstadt im Halbkreis vom Literaturhaus am östlichen Main bis zum ‚Nizza‘ im Westen. Dort, wo ehemals die Stadtmauer verlief, ist per ‚Wallservitut‘ von 1827 eine öffentliche Grünanlage, die nicht bebaut werden darf.
Die Parole ‚Kultur für alle‘, die in den 1960er Jahren von Hilmar Hoffmann, Kulturreferent der Stadt Frankfurt, ausgegeben wurde, sollte eine ‚Demokratisierung von Kultur‘ mit sich bringen. Kunstwerke im kommunalen öffentlichen Raum sind für alle zugänglich.
Allerdings wird die Kunst auch selbstverständlich und fast gar nicht mehr wahrgenommen: Auch ich fahre, ohne sie zu beachten, allzu oft an ihr vorbei.
Das soll sich jetzt ändern: Ein Blick auf 5 weibliche Skulpturen der Wallanlage
Betty – Wanda Pratschke
Betty gefällt mir immer, auch wenn ich nur flüchtig darauf schaue. Ihre ausladenden Hüften, die insgesamt weiche Form, obwohl das Material, Bronze, ja so hart ist. Wanda Pratschke hat den weiblichen Akt 1983 skulptiert. Die Frauenfigur steht, die Beine eng beieinander und die Arme am Körper angelegt, recht steif da. Sanfte Rundungen des Busens und des Bauchs und vor allem der üppige Po wirken jedoch weiblich, sanft und weich. Die Figur ist mit 2,20m überlebensgroß. Der kleine Kopf passt nicht zu den Proportionen, auch ist kaum ein Gesicht zu erkennen. Harmonisch wirkt die Skulptur auf dem halbrunden Sockel aus demselben Material trotz dieser Irritationen – so sehr, dass man man Betty gerne über die Oberfläche streicht.
Übrigens: Am Flughafen im Terminal 1 steht eine weitere Bronze der in Frankfurt lebenden und arbeitenden Künstlerin: Schoene. Auch hier ist es wieder ein üppiger weiblicher Akt.
Es sind immer die fülligen Frauenfiguren, liegend, stehen oder sitzend, die es der Künstlerin angetan haben. Mächtig und ausladend sind sie – und wollen keinem heute gängigen Schönheitsideal entsprechen. Die rauen Oberflächen sind bei ersten Arbeitsprozess mit Gips entstanden. Dieses Material ermöglicht ein Wegnehmen und Hinzufügen beim Formen der Körper und unterstützt eine weiche Gestaltung. Anschließend werden die Figuren in Bronze gegossen.
Die Bildhauerin, die auch an der Städelschule studierte, wurde 2019, zu ihrem 80. Geburtstag, mit einer Ausstellung im Kunstverein Familie Montez und in der Galerie Hanna Bekker vom Rath geehrt. „Nicht als Akte, sondern als Nackte bezeichnet Wanda Pratschke ihre zwar unaufdringlichen, doch höchst präsenten Plastiken“ heißt es im Vorwort des dazu erschienenen Kataloges*.
* Katalog: Wanda Pratschke, Form Sinn Sinnlichkeit, Bronzen, Gipsarbeiten und Zeichnungen
Torso II – Waldemar Grzimek
Nicht weit von Betty entfernt steht eine weitere weibliche Figur aus Bronze, allerdings als Torso. Während Skulpturen der Antike und der Renaissance größtenteils aufgrund von Beschädigungen zum Torso wurden, hat Rodin dieser menschlichen Rumpf-Skulptur in der Bildhauerei eine Berechtigung als eigene Kategorie gegeben.
Die dunkel patinierte Bronze steht auf einem Sockel aus Stein und ist von 1973. Der Torso zeigt einen wunderschönen, offensichtlich jungen Frauenkörper. Von der Mitte der Oberschenkel bis zu den Schultern befindet sich der Körper in einer eleganten, leicht rückwärts geneigten Drehung. Glatt und eben ist die Haut. Nur oberhalb der Brust wird die Oberfläche uneben. Als ob ein Stück Stoff in wilder Drapierung aufgrund bei der Drehung so hochgerutscht ist, dass er die Brüste freigibt.
Wo ist eigentlich Torso I? Ich habe es nicht herausgefunden.
Grzimek, den Namen kennt man sofort. Waldemar Grzimek ist der Cousin des Tierfilmers und Zoologen Bernhard Grzimek. Aber er ist bei weitem nicht so berühmt, obwohl in Deutschland viele Bildhauerarbeiten von ihm zu sehen sind. Immer steht der Mensch im Mittelpunkt. Grzimek studierte an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin, an der er später auch lehrte. Er gewann den Wettbewerb für einen Figurenbrunnen in Berlin, direkt gegenüber vom KaDeWe am Wittenbergplatz. Grzimek war auch politisch engagiert – so erschuf er eine Bronze für die Gedenkstätte KZ Sachsenhausen. Waldemar Grzimek starb mit nur 65 Jahren 1984 in Berlin.
Übrigens: ich finde Graffiti in der Öffentlichkeit meistens ganz schön, aber ehrlich: Skulpturen müssen nicht getaggt werden! Zum Glück ist das jüngste Graffito bereits wieder entfernt.
Karyatide – Gerson Fehrenbach
Noch eine Bronze, noch ein weiblicher Körper: Karyatide ist jedoch nicht sofort eindeutig als weibliche Figur zu erkennen. Die Skulptur ist abstrakt und windet sich zu einer emporragenden Form hoch, mit allerlei organisch anmutenden Verformungen. Und doch identifiziert schon der flüchtige Blick von der Ferne sofort eine weibliche Gestalt, die Kopf und Arme nach rechts neigt.
Gerson Fehrenbach hat die Plastik 1964 erstellt – die Zeit der informellen Kunst ist schon wieder vorbei. Der Künstler gestaltete seine Figur ohne das klassische Formenrepertoire, sondern frei und stellte das Spontan-Gestische in den Vordergrund.
Als Karyatide wird eine Frauenfigur im antiken Griechenland bezeichnet, die eigentlich als Stützpfeiler oder Säule in Gebäuden fungiert (beispielsweise in der Akropolis, Athen).
Überlebensgroß, auf einem ebenfalls aus Bronze gefertigten Sockel, ragt die Plastik schlank und hoch hinaus. Mit dem Wissen um die frühere ‚Aufgabe‘ der Karyatide sieht man gleich ihre Funktion als Säule. Sie steht direkt an dem kleinen Teich in der Bockenheimer Anlage. Eine weitere Karyatide steht in Berlin, wo Fehrenbach auch gearbeitet hat. Nach einer Holzbildhauerlehre studierte er an der Hochschule für bildende Künste in Berlin und lehrte später an der TU Berlin. Seine Bildhauerarbeiten arbeitete er in Stein, Keramik, Bronze und später in Beton. Gerson Fehrenbach war 1964 Teilnehmer der Documenta III– zur gleichen Zeit entstand seine Karyatide.
Liegende – Rudolf Kipp
Wie andersartig wirkt der weibliche Akt von Rudolf Kipp aus Muschelkalk von 1937. Klar, war ja auch eine ganz andere Zeit. Auf einem Steinsockel liegt, elegant auf dem rechten Arm ausgestreckt, ein naturalistische Frauenfigur. Die Liegende streckt ihren linken Arm locker über den Kopf und umrahmt diesen. Die Beine sind leicht angewinkelt, insgesamt wirkt die Haltung recht entspannt. Dies spiegelt auch der Gesichtsausdruck mit den geschlossenen Augen wider. Die filigranen Finger und Zehen, die definierten Formen der Oberschenkel, die Achselhöhle – all das zeugt von genauer Beobachtungsgabe und präziser Wiedergabe im Stein. Der graue Muschelkalkstein zeigt eine offenporige, raue Oberfläche.
Kipp, in Frankfurt geboren, besuchte hier auch die Kunstgewerbeschule (die in den 1920er Jahren mit der Städelschule fusioniert wurde). Anfangs fertigte er Tierplastiken und konzentrierte sich in seinem späteren Werk auf den weiblichen Akt, bis er das Bildhauern ganz aufgab. Ab den 1960er Jahren betätigt sich Kipp nur noch schriftstellerisch.
Heldenklage – Benno Elkan
Wieder ganz anders wirkt die, ebenfalls naturalistische, dunkelgrüne Granit-Skulptur von Benno Elkan von 1913/14.
Auf einem hohen Granitsockel kauert, vor Schmerz gekrümmt, ein weiblicher Akt. Das Gesicht der Frauenfigur ist in ihre linke Hand geschmiegt, die rechte Hand drückt ihre Brust. Trauer spricht aus ihrer Haltung, den geschlossenen Augen und dem geneigten Kopf. Die Frauenfigur, obwohl ein Akt, strahlt etwas Mütterliches aus. Ein Tuch fällt über den Arm und ergießt sich in Falten bis über das kniende rechte Bein und bedeckt die Scham.
Zum Gedenken an die Gefallenen des ersten Weltkrieges wurde das von der Stadt Frankfurt in Auftrag gegebene Werk 1920 aufgestellt und eingeweiht. Es ist kein Kriegsdenkmal, sondern ein Mahnmal. Es sind keine Namen eingraviert, und keine heroische Figur weist auf Krieg und Kampf hin.
Benno Elkan wählt die Darstellung einer Mitfühlenden, und der Text DEN OPFERN auf dem Sockel stellt klar, dass hier aller Todesopfer, der eigenen und den feindlichen, gedacht werden soll. Daher stieß das Werk in nationalen Kreisen auf heftige Kritik.
Elkans pazifistisches Opferdenkmal erinnert mich an die Bronzeplastik Mutter mit totem Sohn, mit dem Käthe Kollwitz an ihren toten Sohn Peter erinnerte, der im Ersten Weltkrieg fiel. Kollwitz gestaltete die Pietà jedoch erst 1937, sie steht seit 1993 als Mahnmal in der Neuen Wache in Berlin.
Elkan arbeitete an der Bergstraße und in Frankfurt, wo er als Vorsitzender des Künstlerrats die Interessen der Künstler beim Magistrat vertrat. Sein Atelier befand sich im Kreuzgang des Karmeliterklosters. 1933 emigrierte er als jüdischer Künstler nach London.
Marshall-Brunnen – Toni Stadler
Zur Kunst im öffentlichen Raum gehören neben Bildhauerkunst auch Kunst am Bau, Wandbilder und Brunnen.
Einer der Frankfurter Brunnen ist der Sitz dreier Grazien: Der Marshall-Brunnen. Er beschließt meinen Artikel über weiblichen Skulpturen.
Der Name des damaligen US-amerikanischen Außenministers ist bekannt durch den nach ihm benannten Marshall-Plan, der die westeuropäischen Länder nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Lieferung von Rohstoffen, Lebensmitteln, Industriegütern und mit Krediten beim Wiederaufbau unterstützte.
Den Brunnen gab die Frankfurter IHK nach dem Tod von Marshall in Auftrag. Die Finanzierung erfolgte durch Frankfurter Unternehmen. Im Beisein des damaligen Bundeskanzlers Ludwig Erhard wurde der Brunnen 1963 eingeweiht.
Die Grazien umgeben die Fontäne eines runden Wasserbeckens. Die Bronzefiguren liegen jeweils auf zwei Felsbrocken auf, ihre Haltung wirkt äußerst unbequem. Die Frauen sind, bis auf eine Drapierung über der Scham, nackt. Die Körper sind, auf manieristische Art, langgezogen. Arme und Beine wirken unförmig und zu groß; der Kopf ist hingegen viel zu klein. Alle drei Frauen tragen einen Zopffrisur. Die grün patinierte Bronze hebt die unruhige Oberflächenstruktur besonders hervor.
Der Bildhauer Toni Stadler erschuf diese Figuren in Erinnerung an Verse aus Goethes Faust: Aglaia, Henemone und Euphrosyne entstammen der griechischen Mythologie und repräsentieren die Anmut im Geben, Empfangen und Danken. Die Verse sind als Inschriften auf Steinen neben dem Brunnen zu lesen. Thematisch kann das mit dem Marshall-Plan in Verbindung gebracht werden.
Die Figur der Aglaia befindet sich auch, ebenfalls von Wasser umgeben, vor der Neuen Pinakothek in München. Toni Stadler nahm an den ersten drei documenta-Ausstellungen in Kassel (1955, ´59, ´64) teil. Er studierte in München und Berlin und lehrte unter anderem auch an der Städelschule in Frankfurt.
Kunst im öffentlichen Raum – Dokumentation
Unter diesem Link hat die Stadt Frankfurt ihre 350 Kunstwerke im öffentlichen Raum vorgestellt. Es kann nach Künstler*in, Kunstwerk oder Standort gesucht werden. Durch Fotos und Beschreibung ergänzt, ergibt sich eine etwas sperrige, jedoch umfangreiche Dokumentation. An den Tafeln mancher Kunstwerke ist ein QR-Code angebracht und ermöglicht den Zugang zu umfangreicheren Informationen mit dem Smartphone direkt vor Ort.
▶️ Vielleicht auch eine Anregung für den nächsten gezielten Besuch von Kunst in der Stadt im Grünen?!
Fazit: Die weiblichen Skulpturen verkörpern in den hier beschriebenen Fällen immer entweder das Sinnliche, Erotische oder das Mütterliche und sie sind immer nackt – völlig unabhängig vom Thema und der Epoche in der sie entstanden sind.
In einem meiner nächsten Artikel geht es um männliche Figuren.
Soviel sei vorweggenommen: Ganz andere Message!!
Wer mehr über Skulpturen in Parks lesen möchte:
- Draußen Kunst genießen – weibliche Skulpturen in Frankfurts Wallanlagen