10 Fakten über Porträts
1. Punkt, Punkt, Komma, Strich – fertig ist das Mondgesicht.
Wer kennt diesen Reim nicht?! Er verdeutlicht, wie wenig es braucht, um ein Gesicht darzustellen. Wir glauben in allem, was zwei Punkte und einen Strich hat, ein Gesicht zu erkennen, wie diese Beispiele zeigen:
Dieses sogenannte faziale Schema, mit seiner Reduktion auf ein Minimum der Elementen, ergibt ein allgemeingültiges Urbild des menschlichen Antlitzes.
Auch in Microsoft-Word funktioniert das: wenn man die Satzzeichen Doppelpunkt und Klammer-zu-Zeichen eintippt, kommt dabei das Ur-Smiley ???? heraus. Probiert es mal aus!
2. Die Relevanz von Porträts
Nur aufgrund von Porträts, seien sie gemalt oder fotografiert, wissen wir, wie Kaiser und Könige, die ersten amerikanischen Präsidenten, berüchtigte Diktatoren oder bedeutende Wissenschaftler (wenn auch oft geschönt und verherrlicht), ausgesehen haben. Porträts tragen so dazu bei, dass wir uns ‚ein Bild machen können‘.
Porträts von Berühmtheiten wie Albert Einstein, John F. Kennedy, Martin Luther King, Che Guevara, Mao Tse-tung, Karl Marx, Anne Frank, Mutter Teresa, Andy Warhol, Sigmund Freud, Marilyn Monroe, Elvis und vielen anderen wurden so zu Ikonen.
Das Bildnis des Menschen ist allgegenwärtig, heute mehr denn je: Dank Smartphone und sozialer Medien – überall blicken uns Gesichter an. Von Werbe-Plakaten schauen die Gesichter von Stars, Models oder Politikern auf uns. Verringert das die Bedeutung von Porträts?
Nirgends ist der Mensch so sichtbar, gibt er so viel von sich preis wie in seinem Gesicht. Das Gesicht ist der ‚Mittelpunkt’ des Menschen. Wir glauben, dass das Wesen eines Menschen im Gesicht erkennbar ist. Wir versuchen, den Gesichtsausdruck einzuordnen, zu lesen und zu verstehen. Die Mimik ist wichtig, um die Stimmung des Gegenübers zu erkennen – eine intuitive Fähigkeit und wichtige soziale Expertise: Emotionen lesen zu können, kann Überlebenschancen sichern.
Cicero soll gesagt haben: Das Gesicht ist ein Abbild der Seele.
Kann man eine Seele malen, beziehungsweise künstlerisch darstellen?
Was ist am wichtigsten bei der Darstellung von Menschen, Gesichtern, Porträts?
Ob es die realistisch dargestellte Physiognomie oder eine Idealisierung ist – über die Jahrhunderte war das Genre der Porträtmalerei bedeutenden Veränderungen unterworfen. Die Aufgaben eines Porträts waren auch sehr unterschiedlich: Es diente der Propaganda, als Stellvertreter im Falle der Abwesenheit und dem Andenken nach dem Tod.
Ein herausforderndes Sujet für die Kunst! Schauen wir auf die Geschichte des Porträts über die Jahrhunderte:
3. Das Porträt vor 2.000 Jahren: Schematisch
Bereits aus dem alten Ägypten sind Mumienporträts bekannt. Sie wurden auf die Holzummantelung des darin Liegenden gemalt, trugen aber noch wenig individuelle Gesichtszüge.
Auch in Europa entwickelte sich die Idee, über den Tod hinaus eine Person in Erinnerung zu behalten: In Gestalt der Grabplastik – auch hier noch ohne individualisierte Gesichter.
In der griechischen und römischen Antike wurde der junge und athletische Mensch idealisiert porträtiert. Nicht die Wirklichkeit sollte abgebildet werden, sondern in erster Line ging es um die Schaffung einer repräsentativen und perfekten Vision, mit der auch eine politische Aussage getroffen wurde. Ein entschlossener oder mutiger Gesichtsausdruck sollte Weitsicht und Heldentum darstellen. Außerdem waren sich die Philosophen weitgehend einig, dass mit der Abbildung der Ähnlichkeit eines Menschen lediglich die äußere Hülle und nicht sein Innerstes dargestellt werden konnte.
Erhalten sind davon heute nur Skulpturen oder Mosaiken. Die meisten Malereien sind nicht mehr vorhanden, bis auf einige in Pompeji. In der römischen Kaiserzeit gab es hauptsächlich das sogenannte Herrscherporträt, das der Propaganda diente. Neben repräsentativen Standbildern und Reiterstandbildern ließen sich die Mächtigen zusätzlich auch auf Münzen als Reliefs darstellen. So konnten sie ihre Macht verbreiten.
Im frühen Christentum gab es Phasen, in denen ein Abbildungsverbotes galt, vorhandene Bildnisse sogar zerstört wurden. Im Mittelalter gab es dann hauptsächlich religiöse Darstellungen, die ebenfalls idealisiert wurden.
4. Das Porträt im Mittelalter: Religiös
Die Entwicklung des mittelalterlichen Porträts jenseits der sakralen Abbildungen begann mit formelhaften und nicht individuell identifizierbaren Physiognomien. Nicht Ähnlichkeit sollte erreicht werden, sondern die Darstellung von Macht und Stellung waren wichtig. Diese wurde durch die sogenannte Bedeutungsebene dargestellt: Die größeren Personen waren wichtiger als die Kleineren. So findet man es auf den sogenannten Stifterporträts: Der Stifter, der auch der Auftraggeber des Bildes war, wurde deutlich verkleinert am Rand einer religiösen Szenerie gezeigt.
Oder, wie im Falle der von Giotto ausgemalten Scrovegni-Kapelle in Padua: Symbolhaft übergibt der Bankier und Kaufmann Enrico Scrovegni ein Modell der Kapelle an drei Heilige: Dieser Beweis seiner Frömmigkeit sollte ihm einen Platz im Himmel sichern.
Bei der Abbildung von Würden- und Amtsträgern dienten Attribute wie Krone, Zepter, Hermelinmantel und Insignien zur Verdeutlichung der Wichtigkeit und trugen bei zur Identifikation des Abgebildeten.
5. Die Renaissance: Blütezeit des Porträts
Erst in der Renaissance trat die Darstellung der Individualität des Menschen in den Vordergrund. Es entstand eine neue Sicht auf den Menschen als autonomes Individuum. Das idealisierte Abbild verschwand und eine „facettenreiche Wiedergabe menschlicher Wirklichkeit“ (Katharina Seidl) entstand.
Mit einem Porträt sollte auch das Wesen des Menschen erfasst werden. Anatomische Studien, auch des Gesichts, wie sie beispielsweise Leonardo da Vinci verbotenerweise an Leichen unternahm, halfen bei der individualisierten Darstellung von Menschen. Es wurden, neben dem Klerus, auch zunehmend der reiche Adel, Kaufleute aus dem Bürgertum und Militärs abgebildet. Weitere Attribute wurden dargestellt: Anhand von Kleidung oder Schmuck konnte der Stand abgelesen werden, und zusätzliche Kennzeichen deuteten auf den Beruf hin. Beliebt war auch das Festhalten von Heldentaten in Schlachten und Kriegen.
Die Hochrenaissance stellt die Blütezeit des Porträts dar, hauptsächlich in Italien.
6. Das Porträt im Barock: Statussymbol
Die Künstler der Niederlande begannen Anfang des 17. Jahrhunderts mit der Porträtmalerei. Viele aristokratische Porträts entstanden, aber auch hier konnten sich reiche Kaufleute bekannte Maler für die Porträterstellung leisten. Auch Gruppenporträts, die von Gilden in Auftrag gegeben wurden, entstanden.
Im Barocks florierten die Darstellungen von Adel und Kaufleuten zu Repräsentations- und Selbstdarstellungszwecken florierten und wurden immer expressiver. Das Malen von Portraits war in erster Linie noch immer Auftragsmalerei. Ob Könige, Fürsten, geistliche Würdenträger oder reiche Kaufmänner: Das Bildnis gehörte zum absoluten Statussymbol und war Ausdruck von Reichtum und Stellung. Die Regeln, die für die Repräsentationsdarstellungen galten, wurden lockerer. Die Ähnlichkeit nahm zu und die Darstellung der Seele, des Inneren des Menschen wurde immer wichtiger. Es setzte sich die Meinung durch, dass sich anhand der Gesichtszüge Gefühle, Lebensstil sowie kulturelle Herkunft erkennen lassen.
Typisch für die niederländische Porträtmalerei sind auch die Ehebildnisse. Sinnlichere Porträts und auch die Darstellungen des gesamten Körpers wurden zahlreicher.
7. Mit der Fotografie endet die Porträtmalerei – doch nicht
Ein Einschnitt für die Porträtmalerei und die Malerei insgesamt war Mitte des 19. Jahrhunderts die Erfindung der Fotografie. Wirklichkeitsnahe Wiedergaben erreichte jetzt der Fotograf. In der bildenden Kunst ging es nun nicht mehr um eine dazustellende Ähnlichkeit, sondern zunehmend um die Seele, den Charakter oder eine Stimmung.
8. Das Porträt ab 1900: Alles scheint möglich
Ab Ende des 19. Jahrhunderts unterlag das Porträt den verschiedenen Kunstströmungen.
Das Gesicht wurde verfremdet. Im Impressionismus erschienen Gesichter durch den lockeren Skizzencharakter zuweilen verwischt, im Kubismus wurde die dargestellte Person fragmentiert, wie Pablo Picasso in seinen vielen Frauenporträts zeigte. Im Expressionismus wurde es von elementarer Bedeutung, was die Künstler sehen und wie sie die Person interpretieren.
Das Experimentieren mit der Darstellung des Gesichts führte bei Marianne von Werefkin zu leuchtenden Farben wie beispielsweise rotglühende Augen. Bei Alexej von Jawlensky führte die zunehmende Reduzierung bis zur grafischen Andeutung von Augen und Mund.
Bei der Neuen Sachlichkeit hingegen kehrte man wieder zur Mimesis zurück, wie bei den Bildern von Lotte Laserstein oder Christian Schaad, oder überzeichnete diese zuweilen ins Fratzenhafte wie bei Otto Dix und George Grosz. Käthe Kollwitz offenbarte in erschreckend realistischen Porträts die Abgründe des durch Krieg entstehenden Leides.
Die zunehmende Abstraktion sowie die Minimal Art drängen nach dem Zweiten Weltkrieg in der westlichen Welt die Rolle des Porträts in der bildenden Kunst zurück.
Das ändert sich in den 1960er Jahren mit der Pop-Art, wo allen voran Andy Warhol das Porträt wieder relevant werden lässt. Auch Alex Katz wird durch seine Porträts bekannt. Bei beiden Künstlern werden die Porträts großformatiger.
Lucian Freud und Francis Bacon verleihen ihren Porträts wieder mehr seelischen Ausdruck, entweder durch pastös aufgetragene Farbstrukturen oder durch entfremdende Verformungen. Alice Neel gilt ebenfalls als ‚Seelenmalerin‘ und wurde mit ihren psychologischen Porträts erst im hohen Alter wirklich wahrgenommen.
Das Genre Porträt taucht ab den 1970er Jahren zunehmend als Selbstporträts auf, als Auseinandersetzung mit dem eigenen Ego, der eigenen Verletzlichkeit, z.B. bei Martin Kippenberger. Außerdem nutzt die Kunst auch die Fotografie zur Darstellung von Gesichtern und Menschen.
So nähte die Collagekünstlerin Annegret Soltau Fotofragmente von Gesichtern zusammen und erzeugte so eine verstörend intime Art der Porträtmalerei. Rineke Dijkstra zeigt ab den 1990er Jahren großformatige Bilder von Jugendlichen. Damit weist sie auf gesellschaftliche Zustände hin, wie auch Thomas Struth es mit präzise arrangierten Fotos von Familien macht. Die Bilder verdeutlichen, wie wichtig kulturelle und soziale Kontexte sind.
9. Porträt ohne Mensch?!
Auch Gegenstände vermögen eine Person zu repräsentieren und gelten dann auch als Porträt im erweiterten Sinn: Kleidung, ein Haus, die Inneneinrichtung, ein Musikinstrument, etc.
Welche schönen Beispiele kennt Ihr? Ich freue mich auf Feedback.
10. Das Selbstporträt
Übrigens: Das Selbstporträt stellt nochmal eine eigene Gattung dar und würde den Platz hier sprengen. Darüber in einem nächsten Artikel mehr: Vom ersten Selbstporträt der Kunstgeschichte zur Selfie-Kultur von heute: Wieviel Narzissmus steckt dahinter?
Und heute?
Ist das Genre Porträt in der bildenden Kunst noch bedeutsam? Eine besonders große Rolle spielt diese Gattung in der Kunst heute nicht mehr, allerdings: Das Porträt erzählt auch heute noch Geschichten über den jeweiligen Menschen und seine sozialen und gesellschaftlichen Umstände, über die sich technisch rasant verändernden Umstände, über die Verortung des Menschen in der Gesellschaft. Allerdings beziehen sich diese Aussagen weniger auf das Modell im Porträt, sondern eher auf die jeweiligen Künstler*innen.
Dieser Artikel ist in ähnlicher Form, anlässlich der Ausstellung ‚About Portraiture‘ im Studiospace Lange Strasse 31, bereits erschienen.
Das waren 10 Fakten über Porträts. Wer noch mehr wissen möchte: Hier gehts zu einem kurzen Artikel über das Bild des Menschen von Ruth Fühner.
Quellen:
- Face to Face, Die Kunst des Porträts, 2014
- Porträtkulturen, Jörn Glasenapp (Hg.), 2019
- Uni Münster, URL: https://www.uni-muenster.de/NiederlandeNet/nl-wissen/kultur/malerei17jhd/portrait.html, aufgerufen am 9.3.22