Julius von Bismarcks Kunst ist immer monumental. Und wie immer, wenn ich vor riesigen Kunstwerken stehe: Ich bin beeindruckt.
Und gleich vorweg: Er ist verwandt mit Otto von Bismarck (1815 – 1898). Der erste deutsche Reichskanzler ist der Urururgroßonkel des zeitgenössischen Künstlers mit dem langen Rauschebart. In jedem zweiten Interview wurde er nach dieser Verwandtschaft gefragt und so setzt sich Julius – er möchte zur Abgrenzung nur beim Vornamen genannt werden – nun mit seinem berühmten Vorfahr auseinander. Insbesondere thematisiert er die Folgen des deutschen Kolonialismus in Afrika. Außerdem ist auch jetzt, wie seit Jahren in seiner Kunst, die Natur und was wir Menschen mit ihr machen, sein Hauptthema.
Unbedingt wollte ich die Ausstellung in der Berlinischen Galerie sehen. Bisher kannte ich nur einzelne Werke von ihm, die mir alle schon gefielen.
Wenn Plattitüden Gestalt annehmen
Die Ausstellung heißt When Plattitudes Become Form.
Gleich am Anfang erwartet mich mitten im Raum ein riesiges, neun mal zwölf Meter großes Tuch. Es ist mit welligen schwarzen Strichen bemalt und bewegt sich sanft. Die abstrahierte Wellenform stellt die Bewegung des Wassers der sogenannten Bismarcksee in der Nähe von Papua-Neuguinea im Pazifischen Ozean dar, für die Otto von Bismarck Namensgeber war. Wenn ich direkt vor dem Tuch stehe, scheint mir die stilisierte Malerei nichts mit einem Meer gemein zu haben. Erst aus der Ferne kann ich die wellenförmige Struktur genau erkennen. Ist das vielleicht schon eine wichtige Metapher? Aus der Ferne ist alles gut erkennbar, erst von Nahem und bei genauerem Hinsehen wird das Ganze undeutlich und nicht greifbar.
An der Wand daneben hängt ein Foto, das ebenfalls die Bismarcksee zeigt – allerdings mit genau diesem Tuch, das auf der Oberfläche schwimmt. Faszinierend, denn ich komme erst gar nicht darauf, dass ich das Tuch sehe und nicht die See.
Der Ort ist von der deutschen Kolonialherrschaft geprägt und bekommt, wie das nahe gelegene Bismarck-Archipel, die Bismarck-Bergkette und das Kaiser-Wilhelm-Land deutsche Namen. Außerdem wird auch an die heutige Realität Ozeaniens erinnert, wo Inseln aufgrund des Klimawandels vom ansteigenden Meeresspiegel bedroht sind.
I like the flowers
In diesem Raum hängen riesige gepresste Pflanzen, die durch das Pressen flach wirken und ihre dritte Dimension verloren haben. Ich erinnere mich daran, dass ich früher als Kind auch gerne Blumen und Blätter zwischen Büchern gepresst habe, wie Gänseblümchen oder die herbstlich gefärbten Blätter des Ahornbaumes. Hier handelt es sich jedoch um ganze Palmen, eine Monstera mit riesigen Blättern und andere exotische Pflanzen samt Wurzel.
Die sehr ästhetische Darstellung lässt mich zum einen an die heutzutage üblichen dekorativen Zimmerpflanzen denken, erinnert aber in ihrer flachen Form auch an ein Herbarium, das wissenschaftlichen Methoden zur Katalogisierung dient. Auch hier thematisiert Julius die Kolonialisierung einer „exotischen“ Welt: Die Pflanzen wurden damals von deutschen Forschern untersucht, eingeordnet und bekamen Namen – wie beispielsweise die Bismarckpalme. Dabei hatten die Pflanzen natürlich schon zuvor Namen: Diejenigen der Einheimischen. Die meisten sind inzwischen in Vergessenheit geraten.
Die Giraffe und das Reiterdenkmal
Der nächste Raum mit dem Titel The Elephant in the Room ist überraschend: Eine lebensgroße Giraffe und eine verkleinerte Version eines berühmten Reiterstandbilds von Otto von Bismarck empfangen mich. Das Ungewöhnliche ist: Die Figuren sind in Einzelglieder zerlegt, die mit Schnüren miteinander verbunden sind. Wie bei dem Kinderspielzeug, der Drückfigur, bei dem man den Boden eindrückte, um die Teile in sich zusammenfallen zu lassen. Hier geschieht das in einem sehr langsamen und sorgfältigen Prozess. Julius‘ Team, bestehend aus Ingenieuren und Künstlern, hat sich eine ausgeklügelte Technik überlegt: Immer wieder neigen sich die einzelnen Teile der Figuren in Slow Motion, wie auseinanderfallend zum Boden und richten sich dann allmählich wieder auf.
Die fünf Meter hohe Giraffe wirkt in ihrer aufgerichteten Form unheimlich realistisch. Sie steht als Synonym für Afrika und den dramatischen Wandel des Wildtierbestandes in dem ehemals kolonialisierten Kontinent.
Mit dem in sich zusammenfallenden Bismarck-Denkmal stürzt Julius zumindest symbolisch den Kolonialisten. Insgesamt wird die Zahl der Bismarck-Denkmäler in Deutschland auf 700 geschätzt. Allein in Berlin gibt es fünf. Und in Hamburg steht ein 34 Meter hohes brachiales Standbild mit Schwert in der Kritik. Abreißen geht nicht, da es unter Denkmalschutz steht, und so rief Hamburg einen Wettbewerb aus – mit inspirierenden Ideen:
Geh aus mein Herz
Der dunkle Raum zeigt eine Videoarbeit. Anders als üblich sitzt man nicht auf einer Bank, sondern liegt auf Kissen am Boden. Das Video wird auf die Decke des Raumes projiziert. Gemütlich liege ich dort und schaue auf eine schöne Landschaft aus Bäumen und Büschen. Eine Umkehrung: Ich schaue von unten auf die Baumwipfel.
Ein Chor singt das geistliche Sommerlied Geh aus mein Herz. Ich lese später, dass Julius dafür seine eigenen Familienmitglieder beim Singen aufnahm. Es hört sich schön an.
Meine Entspannung weicht einem leichten Unbehagen, weil sich zunächst die Blätter der Bäume und später die Bäume insgesamt unter einem schweren Wind gebeutelt hin- und her wiegen. Die Kamera steigt höher und es dauert, bis klar wird, dass die stürmischen Böen von einem Helikopter verursacht werden. Erneut wird klar: Menschliches Handeln beeinflusst die Natur, die zerbrechlich ist.
Fazit
Eigentlich möchte ich gar nicht immer so beeindruckt von den überwältigenden Dimensionen von Kunst oder Architektur sein. Es ist jedoch einfach menschlich und natürlich, sich angesichts eines riesigen Größenunterschieds, der also ein Aufschauen erfordert und daher ein körperlicher Ausdruck für Bewunderung sein kann, das Monumentale so zu empfinden. Egal: Die Ausstellung von Julius von Bismarck hat mir trotzdem gut gefallen. Ich mag es, wie Julius uns seine Perspektive auf Natur, Geschichte und Kunst zeigt.