Die Privatsammlung Hoffmann in Berlin ist in einer ehemaligen Nähmaschinen-Fabrik in den Sophie-Gips-Höfen untergebracht. Im 3. und 4. Stockwerk des alten Backsteingebäudes befinden sich auf 1.500 Quadratmeter sowohl die umfangreiche Sammlung aus Kunst und Designermöbel als auch das großzügige Wohnloft der Hoffmanns. Angeregt durch ihre Besuche bei der documenta und in engem Austausch mit der Kölner Kunstszene sammelte das Ehepaar Erika Hoffmann-Koenige und Rolf Hoffmann nach persönlichem Geschmack seit den 1960er Jahren. Rolf Hoffmann, der das Textilunternehmen van Laack von seinem Vater übernahm, aufbaute und 1986 wieder verkaufte starb 2001. Seither pflegt Erika Hoffmann-Koenige ihre Leidenschaft für das Sammeln und Präsentieren von Kunst alleine weiter.
Jeden Samstag ist die Kunstsammlung in Berlin Mitte im Rahmen von Führungen zu besichtigen.
Bereits im Erdgeschoss treffe ich auf eine Skulptur von Anthony Gormley: ein menschlicher Körper, der mit unzähligen Nägeln über und über gleichmäßig bestückt ist, und eine große, konvexe Stahlplatte von Richard Serra. Wie so oft bei Serra, beeindrucken mich das rostige Material und die Form, die die Stabilität verleiht, einfach so zu stehen – es sieht großartig aus. Im 3. Stock angekommen, steige ich erst mal in riesige Filzpantoffel, die den Parkettboden schützen sollen – schließlich schlurfe ich durch die repräsentativen Privaträume von Frau Hoffmann.
Ein paar besondere Kunstwerke der Sammlung porträtiere ich hier nun.
Kaviar auf der Leinwand
Georg Herold ist mir hauptsächlich durch den kleinen Skandal aus dem Frankfurter Städel bekannt: Der Ziegelneger von 1981 hat neben seinem rassistischen Titel auch ein bewusst provokantes Motiv. Hier gibt’s mehr Infos dazu.
In der Sammlung Hoffmann hängen jedoch seine sogenannte Kaviarbilder. Der aus Jena stammende Herold nutz für seine Kunst häufig untypische, anti-ästhetische Materialien: Ziegelsteine, Schnüre, Unterhosen, Dachlatten, Topflappen etc. Ab 1988 schmiert Herold puren Luxus auf seine Leinwände: Beluga-Kaviar. Auch provokant. Und ein bisschen eklig: Wie dreckige Krümel wirken die einzelnen Fischeier. Schellack konserviert den schwarzen Fischrogen. Faszinierend finde ich die Malerei aus Luxus-Lebensmitteln schon. Wolkig sind die Fischeier auf die weiße Leinwand aufgetragen. Wären die Farben invers, also weiße Kügelchen auf schwarzem Grund, könnte man auch an die Milchstraße denken. Vielleicht hat Herold das Bild daher nach dem Astronomen Friedrich Wilhelm Herschel, der auch Komponist und Musiker war, benannt?
Herold wurde bei seinem Versuch, aus der DDR zu fliehen, festgenommen und saß im Gefängnis. Die BRD kaufte ihn damals frei. Er studierte u.a. bei Sigmar Polke. Vielleicht ist seine Kunst auch durch diesen Werdegang von Witz und Ironie geprägt? Und natürlich erinnert Kaviar auch an ein beliebtes Exportgut aus der ehemaligen Sowjetunion – beliebter als das exportierte politische System der DDR, in der es Kaviar kaum zu kaufen gab.
Ein Film unten am Boden
Irritiert durch Geräusche, die ich nicht einordnen kann, laufe ich durch den Raum mit Kunstwerken von Isa Genzken und suche nach der Quelle der weiblichen Stimme.
Schließlich geht mein Blick nach unten: Ein Loch im Parkett, kaum größer als ein Golfball. Ich sehe eine Frau, die mich durch das Loch anschaut und auf italienisch ‚aiutami‘ ruft: ‚Hilf mir‘. Bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass sie unter der Dusche steht. Sofort beginnt das Kopfkino: was ist der Frau passiert? Braucht sie wirklich Hilfe oder ist es nur ein alberner Scherz? Der Film, der unterm Parkettboden läuft, ist sehr farbenfroh und wirkt fröhlich und irgendwie auch sinnlich. Lustig finde ich das experimentelle Video und sinniere, was Pipilotti Rist, die schweizerische Künstlerin damit aussagen will. Sie verbindet soziale und feministische Themen mit Komik und Humor und nimmt oft verrückte Perspektiven ein – im wahrsten Sinne des Wortes: wer schaut schon von oben in eine Dusche?
Aufgrund eingeschränkter Bildrechte der Sammlung Hoffmann habe ich leider nur ein Foto eines anderen Videos von Pipilotti Rist einer älteren Ausstellung.
Ein Kunstwerk ganz anderer Art hat Pipilotti Rist übrigens an der Schweizer Botschaft direkt neben dem Bundeskanzleramt, geschaffen. Inmitten der spröden Betonarchitektur des Erweiterungsbaus der Botschaft von Diener & Diener flattern Blätter aus Pipilotti Rists Installation ein Blatt im Wind. Unterschiedliche Blätter – Ahorn, Ginkgo, Eiche – schweben im luftigen Eingangsbereich zu Boden. Ein jedes davon mit einer Botschaft in den Sprachen der Schweiz: Deutsch, Französisch, Italienisch oder in der Weltsprache Englisch bedruckt. Ein Satz wie Geburtsort ist Zufall steht beispielsweise auf dem Ginkgoblatt. Wind oder Schuhe verbreiten die Botschaft – grenzenlos und schön.
Bonbons und dunkle Ecken
Die minimalistischen Werke von Félix Gonzáles-Torres finde ich immer wieder berührend. Seine konzeptuelle Kunst beschäftigt sich mit der Vergänglichkeit. Insbesondere, als sein Lebenspartner an Aids erkrankt und schließlich im Sterben liegt, thematisiert der homosexuelle Gonzáles-Torres den Tod. Der in Kuba geborene und in Puerto Rico aufgewachsene Künstler ging mit Anfang 20 nach New York und studierte Kunst. 1996 starb auch er mit 38 Jahren an Aids. Nur ein Jahrzehnt blieb ihm für seine Konzeptkunst. Durch die von ihm gewählten einfachen Materialien wirken seine Werke erstmal gefällig. Gonzáles-Torres wollte bewusst nicht mit provokanten Bildern auf die homosexuelle Liebe aufmerksam machen – im Gegensatz zur queeren Künstlerszene der 1980er und 90er Jahre in den USA, die zumeist eindeutig sexuelle Motive thematisierte.
Einige Bonbon-Arbeiten von Gonzáles-Torres sind recht bekannt. Beispielsweise das Werk Untitled (Ross). Unzählige, in buntes Zellophan eingewickelte Bonbons sind in einer Ecke aufgehäuft – ein ganz besonderes Porträt seines Partners Ross Laycock: Die Besucher*innen sind ausdrücklich eingeladen, sich ein Bonbon zu nehmen und damit langsam zum Verschwinden der Skulptur beizutragen. So wird das Kunstwerk immer kleiner, weniger, leichter – so wie sein an Aids erkrankter und letztlich verstorbener Partner. Ursprünglich entsprach das Gewicht aller Bonbons 175 Pfund, dem Gewicht seines Lebensgefährten.
Die Sammlung Hoffmann zeigt eine Arbeit mit Bonbons in Goldpapier: Untitled (Placebo Landscape for Roni), von denen ich mir selbstverständlich eines nehme. Gonzáles-Torres verkauft die Idee, das Konzept an die Sammler*innen, nicht das Kunstwerk an sich.
Aufgrund der harmlosen Materialien ist der gesellschaftspolitische Bezug nicht erkennbar. Die Arbeiten repräsentieren jedoch intime Körperlichkeit, Homosexualität und die Stigmatisierung aller an HIV Erkrankten. In einem schmalen Raum sind die Süßigkeiten von Wand zu Wand verteilt. Das Rechteck glänzt golden und wirkt wie ein wertvoller Teppich.
Gonzáles-Torres Arbeit Untitled (dark corner) besteht aus zwei Wänden, die mit einer schwarz changierenden Tapete beklebt sind. Die Hoffmanns kauften die Rechte an einem Druck der Tapete für ein Zimmer, egal wie groß. Einzige Vorgabe: Das dunkelste Schwarz musste in die dunkelste Raumecke geklebt werden. Mit diesem Konzept im Kopf stimmt dieser Raum selbstverständlich traurig. Das dunkle Gefühl ist spürbar – der Verlust auch.
Eine andere Arbeit hingegen mutet erstmal fröhlich an: Die von der Decke hängende Lichterkette bildet sie ein Rechteck, als ob der Tanzboden eines Dorffestes beleuchtet würde. Die Arbeit heißt Untitled (Last Light). Fast kann ich mir vorstellen, wie junge Paare gemeinsam das Tanzbein schwingen. Allerdings: Eine Glühbirne hat nur eine bestimmte Lebensdauer und ist daher vergänglich wie das Leben.
Auch hier stellt Gonzáles-Torres frei, wie das Kunstwerk konkret installiert werden soll, und überlässt diese Entscheidung den Käufer*innen. Gonzáles-Torres sagt: „I don’t necessarily know how these pieces are best displayed. I don’t have all of the answers—you [the owner] decide how you want it done. Whatever you want to do, try it. This is not some Minimalist artwork that has to be exactly two inches to the left and six inches down. Play with it, please. Have fun. Give yourself that freedom. Put my creativity into question …“
Malerei im Wohnzimmer
Einmal im Jahre wechselte die Auswahl der gezeigten Kunstwerke in der Sammlung Hoffmann. Immer unverändert an ihrem Ort bleibt Katharina Grosses metergroße Wandmalerei im Wohnzimmer der Hoffmanns. Die Farbverläufe erstrecken sich neben dem Kamin und über zwei Wände und geben durch Aussparungen die Möglichkeit, Werke anderer Künstler*innen in das abstrakte Werk zu integrieren. So hängt ein farbenfrohes Werk aus der Werkserie Moby Dick von Frank Stella, der ja eher für seine minimalistischen schwarzen Strukturen bekannt ist, an der einen Wand.
Nur noch bis Jahresende
+++ Update: Die Sammlung Hoffmann bleibt voraussichtlich noch bis zum Sommer 2023 in Berlin +++
Als 1989 die Mauer fiel, wollten die Hoffmanns die kulturelle Zukunft aktiv mitgestalten und planten bereits damals, in Dresden eine Kunsthalle zu bauen, um ihre Sammlung auszustellen – doch die Pläne stießen auf politischen Widerstand. Nun, über 30 Jahre später, wird die Sammlung mit 1.200 Werken nun doch nach Dresden umziehen. Ein großer Verlust für Berlin! Noch kann man sich dort jedoch für eine Führung anmelden. In der jetzigen Ausstellung hängen außer den von mir erwähnten Kunstwerken auch Fotos der Holländerin Rineke Dijkstra, Arte-Povera Kunst von Jannis Kounellis, wunderschöne Fotos von Marike Schuurmann, Richard Deacans Skulptur, die an eine Carrerabahn aus Holz erinnert, und soooo viel mehr.
An der Ostseite des Gebäudes lese ich oben kurz unterm Dach den Spruch: ‚Milk and Honey taken far far away‘ und darunter in Deutsch: ‚Milch und Honig weit weit weggebracht‘. Die Wort-Skulptur des amerikanischen Konzeptkünstlers Lawrence Weiner wird wohl in Berlin verbleiben und alle Vorbeigehenden dürfen weiter grübeln, was es wohl bedeuten könnte.
Ein lohnender Besuch in einer Fabrikarchitektur mit viel Kunst der Nachkriegsmoderne!
Sammlung Hoffmann in Berlin – nur noch kurze Zeit – britta kadolsky