Die Bundesbank zeigt ihre Kunst in Frankfurt
britta kadolsky
Ortswechsel – die neue Ausstellung im Museum Giersch
Das knallige Rot beleuchtet den Raum und wirkt fast magisch, der weiße Fleck in der Mitte des Bildes verstärkt diesen Effekt noch. Ich stehe vor Fred Thielers Rot 65 von 1965 im ersten Raum der historischen Villa des Museum Giersch der Goethe Universität. Hier zeigt Die Bundesbank ihre Kunst.

Hier gibt es in der Ausstellung Ortswechsel die wunderbare Gelegenheit, die bisher in den Büros, Fluren und Sitzungssälen der Deutschen Bundesbank in Frankfurt versteckte Kunst zu sehen. Die Bundesbank sammelte seit den 1950er Jahren moderne und zeitgenössische Kunst: Von Georg Baselitz über Anselm Kiefer oder Ernst Wilhelm Nay bis Marlene Dumas, Anne Imhof und Jorinde Voigt sind ca. 90 bedeutende Werke der deutschen Nachkriegszeit auf die drei Etagen des kleinen Museums verteilt: Über 70 Jahre Kunst größtenteils aus Deutschland.

Die Zentrale der Bundesbank, gebaut der Anfang der 1970er Jahre im Stil des Betonbrutalismus, wird gerade saniert. Alles muss raus. Auch die Kunst. Was für ein Glück, dass viele Bilder im wahrsten Sinne des Wortes einen Ortswechsel vorgenommen haben und ins Museum umgezogen sind. Bilder, die früher an einer getäfelten Holzwand in einem Büro hingen oder im Foyer neben einer Wandheizung, strahlen nun im musealen White Cube.

Aufgrund der kleinen Räume ergeben sich verdichtete Gegenüberstellungen von Kunstwerken, die so bisher nicht zusammen gesehen werden konnten. Unter Themen wie Farbe absolut, Körper und Identität oder Vielfalt und Gegenwart entstand eine überraschende Präsentation. „Der Ort, an dem die Kunst sich aufhält, beeinflusst ihre Wahrnehmung“, sagte Frau Dr. Sander, Leiterin des Museums, während der Pressekonferenz. Wie wahr!
Fred Thieler
Fred Thielers knallrotes Bild jedenfalls wirkt so frisch in dem weißen Raum, dass der Künstler für mich zur Entdeckung wird. Thieler gilt „als zentrale Figur des Informel in Deutschland“ und war Mitglied der Münchner Gruppe ZEN 49, seit 1992 erinnert die Berlinische Galerie an ihn mit dem Fred-Thieler-Preis.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Informel, die in Farbe gepackte Formlosigkeit, ein Gegenpol zur geometrischen Abstraktion. Dazu zählte auch Rupprecht Geiger, der ebenfalls in der Ausstellung vertreten ist, und mit anderem leuchtendem Rot arbeitet.
Cornelia Schleime

Eine weitere Entdeckung ist für mich Cornelia Schleime. Ihr Bild Braut zeigt das in Gelb gehaltene Spektakel einer Glamour-Frau. Irritierend zieht sich ein schwarzer Streifen mitten durchs Bild, durchs Gesicht, über den Körper, von oben nach unten. Die pompöse, barock anmutende Frisur, die das obere Drittel des Bildes einnimmt und in zartem Hellgelb gehalten ist, wird ebenso durchgestrichen wie das Hochzeitskleid. Thematisiert das Bild vielleicht die Teilung Berlins und die beiden Leben in der ehemals geteilten Stadt? Die in Ost-Berlin geborene Künstlerin war Sängerin einer Punkband und Experimentalfilmerin, malte jedoch auch viele Porträts. 1984 zog sie, nachdem ihr Ausreiseantrag genehmigt worden war, nach West-Berlin. Ihr früheres Werk aus Ost-Berliner Zeiten existiert fast nicht mehr, sie arbeitete jedoch weiter und erstellte ein umfangreiches Oeuvre. Und: 2004 bekam sie den Fred-Thieler-Preis! Erst bei der Recherche zu diesem Artikel stoße ich auf diesen Zusammenhang, er freut mich aber umso mehr.
Günter Fruhtrunk
Ich freue mich aber auch immer, ‚alte Bekannte‘ in einer Ausstellung wiederzutreffen! Hier ist es Günter Fruhtrunk.

Ja genau: der mit der Aldi Tüte! Die Tüte mit dem von Fruhtrunk 1970 designten Logo für Aldi Nord ist vermutlich das am meisten verbreitete Kunstwerk in Deutschland. Die Legende erzählt, dass der Documenta 4-Künstler und Teilnehmer an der 34. Venedig Biennale sein Design für den Discounter bereut haben soll.
In der Ausstellung hängt sein annähernd quadratisches Bild Grüne Intervalle von 1963. Rhythmisch angeordnete geometrische Formen, Farbe und Linie – sehr rational, auf den ersten Blick. Vertikale Streifen in Schwarz, Blau und Grün wechseln sich in unterschiedlichen Breiten auf weißem Grund ab. Das scheinbar horizontal in der Mitte geteilte Bild irritiert genauso wie die beiden Kreise, die die schwarzen und grünen Balken wie durch ein Brennglas verschieben und unterbrechen. Sie wirken wie eine optische Täuschung, sind jedoch reine Malerei, die „sich aus den Endungen und Rundungen der links und rechts liegenden konkreten Horizontalen“ ergibt. (Zitat Katalog) Die strenge und formale Geometrie ist handgemalt und der Titel verweist auf seine Musikleidenschaft – in diesem Werk soll das strukturelle Prinzip des Intervalls in Form und Farbe abgebildet sein.

Günter Fruhtrunk litt unter seiner schweren Kopfverletzung aus dem Zweiten Weltkrieg und an seinen Depressionen. 1982 nahm er sich das Leben.
Marlene Dumas
Das schlanke hochformatige Bild einer nackten Rückenfigur mit langen Haaren ist von Marlene Dumas: Magdalena from behind strahlt viel Kraft aus.

Die langen Haare gehen bis zum Po des leicht breitbeinigen und erhobenen Haupts fest auf dem Boden stehenden Figur. Gemalt mit groben und breiten Pinselstrichen hebt sie sich in hellen Grautönen vom dunklen Hintergrund ab. Diese selbstbewusste Magdalena unterscheidet sich entschieden von der flehentlich zum Himmel schauenden Sünderin in der älteren Kunstgeschichte. Nur der Titel verrät uns wer die Dargestellte ist.
Dumas malte das Thema häufiger – auch die hier ausgestellte Magdalena ist an Naomi Campell, das berühmte Fotomodell aus den 1980ern, angelehnt: Vermixt mit ihrer Physiognomie, um Magdalena als moderne Frau darzustellen.

Die Südafrikanerin Dumas ist bekannt für ihre eher beunruhigenden Porträts. Grund dafür sind ihre Vorlagen: Dumas hat im Laufe der Jahrzehnte ein riesiges Archiv an Fotos aus Zeitungen und Zeitschriften zusammengesammelt. Die Fotos handeln oft von Schrecken, Gewalt und Tod. Weiteres fotografisches Bildmaterial wie Postkarten und eigene Fotos dienen als Grundlage für die Abbildung bekannter Gesichter, Celebrities und auch Ikonen aus der Kunstgeschichte. Sie malt jedoch nie ab, sondern wählt Ausschnitte, vergrößert oder komponiert neu. Ihre Bilder wirken immer zart wolkig, wie Aquarellmalerei, auch wenn Dumas oft in Öl arbeitet.
Die Frankfurter Anne Imhof und Michael Riedel
Die riesige Lackfläche von Anne Imhofs I promised to be good II ist total zerkratzt. Man sieht die vorangegangene Performance quasi vor sich. Ich spiegele mich in der glänzenden Oberfläche des Lackes, jäh unterbrochen von der brutalen Geste, die die stumpfe untere Schicht hervorbringt. Die aus Frankfurt stammende ehemalige Türsteherin und Gewinnerin des Goldenen Löwen der Venedig Biennale 2017 hat ein Bild dieser Serie auch in Berlin in der Boros Collection – mein vorletzter Artikel berichtete.
Der Frankfurter Künstler Michael Riedel ist auf eine besondere Weise mit der Bundesbank verbunden – durch Geld.

Nicht durch Euros, sondern durch eigenes Kunst-Geld: die Riedels! Eine Glasvitrine mit Bündeln voller Riedels steht im Raum. Sie sind auf original Banknotenpapier gedruckt, sehen aber ganz anders aus. Der Wechselkurs zum Euro schwankt nie und ist immer 1 : 1.

Wie für den Künstler üblich, arbeitet er auch hier mit Zeichen und Schrift aus einem anderen Kontext. Den E-Mail-Verkehr mit seiner New Yorker Galerie transformierte und reproduzierte Riedel in Wiederholungsprozessen, bis eine nicht mehr lesbare Grafik entstand. Die Scheine konnten damals bei der Ausstellung in der Bundesbank aus einem eigens dafür aufgestellten Geldautomaten abgehoben, also gekauft, werden: Gebührenfrei mit jeder beliebigen EC-Karte. Ein Geldautomat steht in Riedels Atelier und kann voraussichtlich Ende November 2022 bei einem Event des Museums besichtigt werden.
Neben den hier beschriebenen Kunstwerken, sind noch viele bekannte Künstler*innen mit ihren Arbeiten zu entdecken. Spannend sind außerdem die Fotos der Kunstwerke in ihrer früheren Büroumgebung, die in einem Raum des Museums gezeigt werden. Die Ausstellung Ortswechsel ist noch bis Januar 2023 zu sehen.
Die Bundesbank zeigt ihre Kunst in Frankfurt. Ortswechsel – die neue Ausstellung im Museum Giersch – britta kadolsky
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