Die Künstlernachlässe Mannheim bewahren und pflegen die Werke regionaler Künstler:innen, die das kulturelle Erbe der Stadt prägen. Seit 2005 hat die Stiftung sechzehn Nachlässe gesichtet, dokumentiert und sicher verwahrt. Ein engagiertes Freiwilligenteam kümmert sich um diese künstlerischen Schätze.
Jetzt präsentieren sie das Lebenswerk von Edgar Schmandt, einem Künstler, dessen Bedeutung für die Mannheimer Kunstszene unbestritten ist. Er hat zahlreiche renommierte Stipendien erhalten, darunter einen Aufenthalt in der Villa Massimo in Rom. Im Laufe seiner Karriere erhielt er viele Auszeichnungen, u.a. den Erich-Heckel-Preis des Künstlerbundes Baden-Württemberg. Dennoch ist es überraschend, dass er nicht so bekannt ist, wie man erwarten würde.
Die Ausstellung in der coolen Location S 4, 17 mit ehemaligem Industrie-Charme ist in der Innenstadt von Mannheim und präsentiert ausgesuchte Werke aus seiner gesamten Schaffensperiode von den 1960er Jahren bis zu seinen letzten Arbeiten.
Vom Kriegskind zum Künstler: Die facettenreiche Welt von Edgar Schmandt
1929 in Berlin geboren, wurde Schmadt noch mit dem ‚letzten Aufgebot‘ in den Zweiten Weltkrieg eingezogen, überlebte jedoch, weil er sich verstecken konnte. Auch danach im Kalten Krieg machte er traumatische Erfahrungen: 1955 wurde er in Ostberlin wegen des Verdachts auf Spionage zu Unrecht für zwei Jahre inhaftiert.
Nach einer Ausbildung zum Retuscheur und einer Tätigkeit als Baumaler studierte er an Kunsthochschulen in Berlin und Mannheim. Nebenbei erlernte er das Geigenspiel. Letztendlich entschied er sich für eine Karriere als Künstler und begann seine Laufbahn mit Porträtstudien und figürlichen Zeichnungen im zerbombten Berlin. In Mannheim schloss er 1958 sein Studium an der Freien Akademie ab. Schmandt war ein vielseitiger Künstler: Maler, Graphiker, Autor, Musiker – und er realisierte Kunst am Bau-Projekte sowie unzählige Werbeplakate und -prospekte. Einiges davon kann in der Ausstellung angeschaut werden.
Francis Bacon – Einfluss und Inspiration
1962 besuchte Schmandt die spektakuläre Ausstellung von Francis Bacon in der Mannheimer Kunsthalle. Die Malerei von Bacon hatte einen großen Einfluss auf ihn.
Der englische, in Dublin geborene Maler kam 20 Jahre vor Schmandt auf die Welt und wurde nicht nur Zeuge der menschlichen Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges mit, sondern auch schon der Schrecken und Wirren des Ersten Weltkrieges sowie der gewaltsamen Unabhängigkeitsbestrebungen Irlands von Großbritannien. Früh erlebte Francis Bacon Gewalt und Zerstörung. Außerdem erfuhr er aufgrund seiner Homosexualität Ausgrenzung: Seine Eltern verwiesen ihn, nur sechzehnjährig, aus dem Haus. All das löste starke Gefühle aus, die sich in Bacons Malereien wiederfinden.
Entsprechend verstörend wirken sechs Studien der schreienden Päpste mit ihren verzerrten Gesichtern: Dunkle Hintergründe, viel kirchliches Lila und verstörende Darstellungen der geistlichen Würdenträger inspirierten Schmandt. Das Leben der beiden Künstler war geprägt von Gewalt und repressiven Systemen und Beide drückten das auch in ihrer Kunst aus.
Großformatige Malerei in den 1960er Jahren
Die ersten beiden großen Bilder im Ausstellungsraum zeigen deutlich, dass Schmandts Malstil von Francis Bacon beeinflusst war: Auch Schmandt verwendet eine dunkle Farbpalette, besonders im Hintergrund seiner Gemälde, und setzt die Farbe Lila dominant ein. Einige seiner Werke zeigen amputierte Körper als Symbole für Zerstörung und Versehrtheit.
In seinem querformatigen Werk Abendmahl sitzen unheimliche menschliche Gestalten um einen langen violetten Tisch. Die dunklen Figuren heben sich wenig vom fast schwarzen Hintergrund ab. Auf dem Tisch liegt ein Fantasiewesen – dargeboten wie eine Opfergabe. Es scheint halb Mensch und halb Tier zu sein und es fließt rotes Blut aus einer Wunde. Eine der Gestalten greift an eine weiße Stelle des bis auf das Skelett offenen Körpers: Ist dort das Herz oder die Seele verortet?
Beim hochformatigen Werk Römische Treppe ist der Hintergrund ebenfalls dunkel gehalten. Ein imaginärer Raum mit Treppe öffnet sich lilafarben längs über die Mitte des Bildes. Im unteren Drittel scheint sich der Raum unversehens in eine unendliche Tiefe zu öffnen. Es ist nicht klar, ob der vom unteren Bildrand angeschnittene Körper in das Loch hinunterfällt oder aus ihm emporsteigt. In der Bildmitte steigen menschliche Wesen mit einem unförmigen grauen Rümpfen die Treppe hinauf. Am oberen Bildende deutet ein breiter gelber Streifen Licht an, die weißen Treppenstufen sind hell erleuchtet. Eine weitere, sich auflösende Figur ist vom Lichtstrahl erfasst und die Figur gleitet hinauf – vielleicht in den Himmel?! Obwohl Schmandt Atheist war, weisen die Titel und die Motive auf religiöse Themen hin.
Schmandts abstrakt-figurative Malerei der Köpfe
Schmandts Köpfe geben Rätsel auf: Die Gesichter sind fast unkenntlich gemacht – kräftige Striche, Linien oder Blitze und Raster durchkreuzen oder überlagern die Köpfe. Mit Mühe erkenne ich den Kopf auf dem Ausstellungsplakat, aber dann entdecke ich das Gesicht: Es scheint bandagiert zu sein – ist es verletzt oder deformiert? Ein Pfeil zeigt auf das Gehirn – die zentrale Schaltstelle. Für Schmandt lagen Geist und Seele in diesem Zentrum – dem Kopf.
Die anderen Köpfe dieser Serie sind mit gerüstartigen Linien und unscharfen Strukturen überlagert. Sie vermeiden jede Form von Illustration und wirken, als ob ein chaotisches Inneres zum Vorschein kommt. Die relevanten Fragen wie ‚was ist normal, was unnormal‘ oder ‚was ist krank und was gesund‘ stellt Schmandt hier.
Auch bei der Bilderserie Für Prinzhorn werden wir damit konfrontiert. Hier verstört zusätzlich die Farbe Giftgrün. Inspiration bekam Schmandt, wie der Titel es bereits formuliert, von der Sammlung Prinzhorn in Heidelberg – einem bedeutenden Konvolut künstlerischer Werke von Psychiatriepatienten.
Collagen aus Paris
Extrem erschreckend finde ich die in den 1980er Jahren entstandenen Arbeiten auf Papier, die sich mit Suizid beschäftigen. Die Serie der Köpfe überklebt Schmandt in Teilen mit weißen, fast transparenten Plastiktüten. Fast beiläufig erklärt Schmandt in einem Filmausschnitt, dass mit Hilfe einer über den Kopf gezogenen Plastiktüte ein Selbstmord verübt werden könne.
Landkartenbilder
Die großen Landkartenbilder von Anfang 2001 gefallen mir besonders gut. In der Serie Und Gott sah, dass es gut war, nimmt Schmandt Schullandkarten als Malgrund. Darauf malt er Menschen mit Gewehren, Panzer und Kampfjets, wobei die Umrisse der Länder und Kontinente unter der Malerei noch erkennbar sind.
Über eine Landkarte, die die USA abbildet, setzt Schmandt die Umrisse eines Starfighters. Fast prophetisch wirkt dieses Werk: Kurze Zeit später führten die Ereignisse von 9/11 zu einem schrecklichen Krieg. Auch für diese Reihe recherchierte und sammelte er umfassendes Material, Bilder aus Zeitschriften der Bundeswehr und Fotos von Soldaten. Zur Vorbereitung entwarf er viele Skizzen. Krieg ist auf der Welt immer gegenwärtig. Dem titelgebenden Genesis-Zitat widerspricht Schmandt mit seinen Darstellungen ausdrücklich. Im Oktober 2001 präsentierte er diese Arbeiten in der Galerie Falzone, Mannheim.
Graphik
Erst nach Schmandts Tod kamen die vielen Plakate, Prospekte und die unzähligen dazugehörigen Skizzen zum Vorschein. Die Gestaltungen zeigen seine Fähigkeit, zwischen figurativer und abstrakter Kunst zu wechseln und sind originell und humorvoll. Schmandts Illustration für die gesellschaft für neue musik in Mannheim ist noch heute ihr Logo.
Kunst-am-Bau
Schmandt realisierte auch viele Kunst-am-Bau-Projekte. Dank der seit den 1950er Jahren geltenden Richtlinie, die besagt, dass bei öffentlichen Neubauten 1-2 % der Baukosten für Kunst am Bau verwendet werden müssen. Diese Projekte waren besonders während der Wiederaufbauzeit nach dem Zweiten Weltkrieg wichtig, da sie Hoffnung und Zuversicht nach all der Zerstörung vermittelten. Auch Mannheim war stark zerstört, und Edgar Schmandt konnte als Wettbewerbsgewinner viele seiner Entwürfe verwirklichen.
Für das Dienstgebäude für Vermögen und Bau gestaltete er 1968 eine Außenwand aus Glas, die den Blick auf das Treppenhaus über fünf Stockwerke freigibt. Von innen versah er die Wand mit spiegelnden Flächen, sodass Besucher:innen sich selbst sehen können. Mitte der 1970er Jahre wurde das Landesinstitut für Emissions-, Arbeits- und Strahlenschutz in Karlsruhe gebaut, bei dem Schmandt die zweigeschossige Eingangshalle gestaltete. Auch hier nutzte er Spiegeleffekte, die zusammen mit einer entsprechenden Farbauswahl die Halle größer wirken lassen: Kunst und Funktion gehen hier Hand in Hand. Wie auch bei den Schulen, bei denen er Wände künstlerisch gestaltete, die gleichzeitig eine schalldämpfende Funktion hatten.
Seine Werke zeichnen sich durch reduzierte Farben, meistens grau, weiß und schwarz, sowie grafische, dynamische, abstrakte und dekorative Formen aus. Schmandt konnte zahlreiche weitere Kunst-am-Bau-Projekte realisieren, darunter oft Decken- oder Wandmalereien, sowohl im Innen- als auch im Außenbereich. Einige seiner Werke können heute noch betrachtet werden.
Literarische Arbeit
Ohne es inhaltlich bewerten zu können, will ich doch auf Schmandts Bücher hinweisen. Die meisten veröffentlichte er im Selbstverlag. Darin kritisiert er gesellschaftliche Verhältnisse und menschliche Dummheiten , wobei er oft ironisch, ja zynisch wirkt. Er illustrierte seine Bücher mit abstrakten Figuren und schrieb ohne Kommas, was den sehr verkopften Ansatz zeigt.
Fazit:
Krieg, Gewalt, Ungerechtigkeit und erlebte Repression spielen eine zentrale Rolle in Schmandts Werk. Ich bin beeindruckt von seiner Vielseitigkeit und begreife nicht, warum er nicht über die regionalen Grenzen Mannheims hinaus bekannter wurde. Seine Werke bringen Geschichte zum Ausdruck: Zeitgeschichte, Kunstgeschichte, Kulturgeschichte und auch Mannheims Stadtgeschichte. Die Ausstellung läuft einen Monat: hingehen!
Edgar Schmandt – Ein künstlerisches Vermächtnis in Mannheim – britta kadolsky