Kurz bevor das Jahr zu Ende geht, muss ich natürlich noch über Joseph Beuys sprechen. Wie hinlänglich bekannt, wäre dieses Jahr sein 100. Geburtstag gewesen. Posthum hat der Künstler daher unglaublich große Aufmerksamkeit bekommen: Über 20 Ausstellungen widmeten sich 2021 seinem Werk und unzählige Artikel erschienen in den Medien. Hier also mein kurzer Beitrag über DEN deutschen Jahrhundertkünstler, Scharlatan, Mitbegründer der Grünen, Weltverbesserer, Performancekünstler und Schamanen.
Quasi jede*r kennt Beuys, lange nicht jede*r mag ihn, geschweige denn versteht ihn oder sein Werk. Egal was Beuys machte: es provozierte. Er provozierte! Jede seiner Aktionen stieß mindestens auf Unverständnis, oft schlug ihm jedoch auch Empörung und Hass entgegen.
Ob er nun 7000 Eichen in Kassel pflanzen wollte, riesige Quader aus Fett zur Schau stellte, eine Honigpumpe installierte, eine Zitrone als Batterie für eine gelbe Glühlampe nutze, einem toten Hasen die Kunst erklärte, mit einem Kojoten lebte oder die deutsch-deutsche Mauer um 5 cm erhöhen wollte – immer stehen Besucher*innen rätselnd bis empört vor seinem Werk. Und das passiert auch noch 35 Jahre nach seinem Tod.
Beuys und Warhol
Was verbindet Beuys und Warhol? Beuys hat den Kunstbegriff verändert. Er hat sich selbst zur Kunst erhoben, genauso wie Andy Warhol. Die beiden trafen sich übrigens 1979 in Düsseldorf. Warhol porträtierte Beuys ein Jahr später in seinem bekannten Pop-Art Stil. Während Warhol die Liebe zum Konsum thematisierte, kam Beuys eher als Schamane daher, der mit einem mystischen und naturphilosophischen Ansatz arbeitete. Seine Materialien sind entweder kühl wie Stein oder warm wie das von ihm so gerne eingesetzte Fett und Filz. Im zweiten Weltkrieg stürzte er mit seinem Flugzeug über der Krim ab und konnte nur dank Filz und Fett, von den Krimtataren warm eingepackt, überleben. Dass es sich hierbei um eine geschickte Legendenbildung handelt, ist mittlerweile hinlänglich bekannt. Beuys verstand es, wie Warhol auch, mit medienwirksamen Kunstaktionen immer wieder in die Schlagzeilen zu kommen.
Jeder Mensch kann Künstler sein
Sein berühmtes und oft missinterpretiertes Zitat: Jeder Mensch kann Künstler sein, entstammt einem Interview von 1984 mit dem Spiegel: „Jeder Mensch ist ein Träger von Fähigkeiten, ein sich selbst bestimmendes Wesen, der Souverän schlechthin in unserer Zeit. Er ist ein Künstler, ob er nun bei der Müllabfuhr ist, Krankenpfleger, Arzt, Ingenieur oder Landwirt. Da, wo er seine Fähigkeiten entfaltet, ist er Künstler. Ich sage nicht, daß dies bei der Malerei eher zur Kunst führt als beim Maschinenbau …“
Konsequenterweise nahm Beuys als Professor an der Kunstakademie in Düsseldorf mehr als 100 Studierende auf, die durch die Aufnahmeprüfung gerasselt waren. Er wurde rausgeschmissen und die Studierenden protestierten für ihn mit einem medienwirksamen Spektakel: In einem selbst gebauten blauen Einbaum überquerten sie den Rhein.
Beuys ein Nazi?
Selbstverständlich thematisieren fast alle Beuys -Artikel dieses Jahres auch seinen „Werdegang im Nationalsozialismus“; Seine Kunst sei keine Aufarbeitung dieser dunklen Geschichte, sondern ihre Verdrängung (z.B.: Monopol). Als Mitglied der Hitlerjugend und Freiwilliger bei der Luftwaffe muss zumindest hinterfragt werden, wie sehr er dem völkischen Gedankengut verfallen war. Eindeutig beantwortet wurde dies jedoch bisher nicht.
Ist das Kunst oder kann das weg?
Und woher kommt nun das Zitat: „Ist das Kunst oder kann das weg?“
Zweimal wurden Kunstwerke von Beuys unbeabsichtigt entsorgt: 1973 reinigten zwei SPD-Politikerinnen bei einer Feier im Museum für Gegenwartskunst in Morsbroich in Leverkusen eine Wanne, die eine Kunstinstallation von Beuys war. 1986 wurde die, auch deswegen berühmt gewordene, Fettecke in der Düsseldorfer Kunstakademie irrtümlich vom Hausmeister oder einer Putzfrau entsorgt. Beide Male verlangte Beuys Schadensersatz und kam damit wiederum in die Medien.
Heute wird der Satz benutzt, wenn ein Kunstwerk nicht als ein solches anerkannt wird.
Auch heute noch gilt Beuys als umstrittenster und einflussreichster Künstler Deutschlands. Er wollte die Welt mit seiner Kunst heilen – und hat erreicht, dass viel über Kunst, seine Kunst und den Kunstbegriff als solchen nachgedacht wird.
Hier noch zwei Filme über Beuys:
Ausstellung im Belvedere 21, Wien, mit Erklärungen einzelner Aktionen von Beuys:
Zwirner, der seine Erfahrung mit der Beuys Aktion einem toten Hasen die Kunst zu erklären:
Ist das Kunst oder kann das weg? – Joseph Beuys zum 100. Geburtstag – britta kadolsky