Hans Haacke: Politische Kunst mit Tiefgang
britta kadolsky
Hans Haacke: Eine Legende politischer Konzept-Kunst
in der Schirn Kunsthalle Frankfurt
Frustriert verließ ich diese großartige Ausstellung. Ein Widerspruch? Keineswegs! Ich war schlicht zu naiv: Kunst begeistert mich immer, egal, ob sie aus einer institutionellen Stiftung stammt oder in Museen über Jahre hinweg gesammelt wurde, ob sie Diversität repräsentiert oder einheitlich wirkt, ob sie epochenübergreifend ist oder sich auf eine bestimmte Kunstrichtung konzentriert. Als leidenschaftliche Kunstliebhaberin freue ich mich über jede Begegnung mit Kunst.
Doch in der Ausstellung von Hans Haacke, der Ikone der politischen Konzeptkunst, in der Schirn Kunsthalle Frankfurt erkannte ich die bittere Wahrheit: Viele Kunststiftungen existieren letztlich, um Vermögen zu vermehren. Der kapitalistische Grundsatz, aus Geld noch mehr Geld zu machen, spielt einfach die ausschlaggebende Rolle – oft unterstützt durch Steuervergünstigungen oder öffentliche Förderungen. Trotz und gerade wegen dieser ernüchternden Einsicht war die Ausstellung von Hans Haacke natürlich beeindruckend.
Von der Schokofabrik zur Kunststiftung und dem Beigeschmack von Ungerechtigkeit

Das Werk „Der Pralinenmeister“ von 1981 zeigt die Betätigungen von Peter Ludwig, dem ein Schokoladenimperium unterstand (u.a. Trumpf, Lindt, de Beukelaer, die ‚Aldi-Schokolade‘ Regent uvm.) Ludwig war auch begeisterter Kunstsammler und -stifter. Haacke stellt seine Recherchen über die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen, darunter erzwungene Kündigungen schwangerer Arbeiterinnen, meist Gastarbeiterinnen, und das Leben in eingezäunten Wohnheimen mit vom Lohn abgezogener Miete dar. Er beleuchtet Steuererleichterungen für Kunstmäzene und Ludwigs Einfluss auf Kunstmarkt und Kulturpolitik in Städten wie Köln, Aachen und Wien.
Auf vierzehn Plakaten formuliert Haacke im Dokumentarstil diese unrühmlichen Vorgänge. Er rahmt den Text mit Schwarzweiß-Fotografien von Herrn Ludwig oder den Arbeiterinnen und kombiniert sie mit den farbenfrohen Verpackungen seiner Schokoladen-Produkte.
Das Museum Ludwig kaufte diese Arbeit von Haacke 2018 und stellte sich damit auch seiner Geschichte: Gut 40 Jahre zuvor hatte das Museum nicht den Mut besessen, eine Arbeit Haackes rund um ein Stillleben von Manet und dessen Käufer auszustellen. (Weiter unten dazu mehr).
Waffen und Kunst: Von Bally-Schuhen bis zur Weltpolitik
Das Kunstwerk Buhrlesque von 1985 beleuchtet die Geschichte des Schweizer Rüstungskonzerns Oerlikon-Bührle, zu dessen Holdinggesellschaft auch die Textil- und Schuhfirma Bally gehörte. Dietrich Bührle lieferte, trotz internationaler Embargos, Waffen an das Apartheid-Südafrika und andere autoritäre Regime und wurde dafür auch verurteilt.
Gleichzeitig ist Bührle Kunstsammler und -stifter. Haacke zeigt die Verflechtungen von Politik, Profitstreben und ethischen Konflikten in der Unternehmensgeschichte auch von Bally.
Haacke als investigativer Künstler in New York
Zensur erlebte erlebte Hans Haacke 1971, als seine geplante Ausstellung im Guggenheim Museum in New York sechs Wochen vor der Eröffnung abgesagt wurde.

Der Grund für die Absage: Das Werk Shapolsky et al. Manhattan Real Estate Holdings, A Real-Time Social System, as of May 1, das undurchsichtige Immobiliengeschäfte offen legte. In akribischer Recherche hatte Haacke in öffentlichen Registern Informationen über die dubiosen Immobiliengeschäfte der Shapolsky-Immobiliengesellschaft in New York gesammelt. Er fand ein riesiges Netzwerk aus systematischer Ausbeutung und Verstrickungen im Immobilienmarkt.

Er visualisierte seine Ergebnisse mit Fotografien der jeweiligen Häuserfronten, Stadtplanauszügen von Manhattan, auf denen die Immobilien gekennzeichnet sind, sowie Registerauszügen. Einige wenige Akteure – alle aus der Shapolsky-Familie oder nahe Freunde – erzielten durch Spekulation und Vernachlässigung von Wohnimmobilien enorme Gewinne – auf Kosten der Mieter und der urbanen Gemeinschaft. Haackes präzise Darstellung von Eigentumsverhältnissen und Finanzstrukturen macht sichtbar, wie Macht und Kapital in der Stadtlandschaft wirken und soziale Ungleichheit fördern.
Der Museumsdirektor fand das Werk zu brisant, was zeigt, dass er den politischen Inhalt sehr ernst nahm.
Ein Gemälde, viele Besitzer: Von Manet über Liebermann bis zu Hermann J. Abs

Haacke stellte sein Manet-Projekt ’74 im Rahmen einer geplanten Ausstellung im Wallraf-Richartz Museum Köln vor. Das Werk beschäftigt sich mit der gesellschaftlichen und ökonomischen Bedeutung der Personen, denen das Spargel-Stillleben von Édouard Manet von 1880 einmal gehörte.
Neben einer Reproduktion des Gemäldes ist auf Tafeln die Geschichte des Bildes zu lesen: Seine früheren jüdischen Besitzer – darunter Max Liebermann und seine Erben – sowie deren Enteignung und die Verkaufspreise. Dabei hob Haacke die zentrale Rolle von Hermann J. Abs beim Erwerb des Bildes für das Museum hervor. Das Museum verweigerte jedoch die Nennung von Abs‘ Verbindungen zur Deutschen Bank und seiner Beteiligung an der „Arisierung“ während der Nazizeit (Anm.: Die USA verwehrten Abs übrigens die Einreise bis zu seinem Tod 1994). Letztendlich durfte Haacke das Kunstwerk nicht in der Ausstellung zeigen. Eine Galerie gegenüber dem Museum stellte die zensierten Tafeln jedoch aus. Erneut legte Haacke die Verflechtungen von Kunst, Macht und Wirtschaft offen.
Dem geschenkten Gaul …
… kann man in der Rotunde der Frankfurter Schirn umsonst ins Maul schauen, bzw. auf den Oberschenkel. Hier steht Haackes riesiges, stilisiertes Skelett eines stolzierenden Pferdes mit einer Schleife um den Oberschenkelknochen. Eine elektronische Anzeige auf dem umlaufenden Band fungiert als Ticker für Börsenkurse.
Haacke entwarf die Arbeit für den Trafalgar Square in London, auf dem unter anderem die Reiterstatue des Königs George IV. steht. Dort liefen über das Geschenkband Börsenkurse der London Stock Exchange. Die Installation wurde international gezeigt und passt die Börsenticker jeweils an die Leitbörsen der Ausstellungsorte an, so wie nun in Frankfurt mit dem Live-Ticker der Deutschen Börse. Haacke verbindet historische Reiterstandbilder mit moderner Kapitalismuskritik.

Grüner Hügel
Und was hat es auf sich mit dem kleinen grünen Hügel, der komplett mit Gras bewachsen ist und mitten im zweiten großen Raum der Ausstellung steht? Das perfekte Fotomotiv Grass Grows von 1967-69, entstand in der Anfangsphase von Haackes künstlerischem Schaffen, bevor seine Werke explizit politisch wurden. In diesem Raum stehen, hängen und liegen spielerische Arbeiten, die sich mit Naturphänomenen beschäftigen: Es wächst, blubbert und bewegt sich.

So schön wie bei Haackes Ausstellung sieht dieser Raum übrigens selten aus: Das riesige Panoramafenster lässt herrliches Tageslicht hinein. Normalerweise vertragen das die Kunstwerke, insbesondere bei Malerei und Graphik, nicht.

DER BEVÖLKERUNG – Ein lebendiges Kunstprojekt im Reichstag
Im Lichthof des Berliner Reichstagsgebäudes stehen am Boden die Worte „DER BEVÖLKERUNG“ geschrieben. Der Schriftzug lehnt sich stilistisch an die Inschrift „DEM DEUTSCHEN VOLKE“ am Giebel des Reichstags an – allerdings ist das eher national verstandene „Volk“ durch den inklusiven Begriff „Bevölkerung“ ersetzt. Abgeordnete bringen Erde – und damit Samen – aus ihren Wahlkreisen mit, die um die Buchstaben herum verteilt wird.

Aus den Samen wachsen Pflanzen, die sich ohne Eingriffe entfalten dürfen. Eine Website zeigt Fotos des Hofes, informiert über die Abgeordneten und dokumentiert die Veränderungen von einer Legislaturperiode zur nächsten. In der Kunsthalle Schirn sind neben Fotos der Installation auch Videos mit den Reden einzelner Politiker:innen aus der Debatte über die Abstimmung zu Haackes Kunstwerk zu sehen und zu hören: Teilweise erschreckend nationalistische Argumentationen.
Fazit
Ich erkenne erneut die Wichtigkeit der Kunst: Das kann Kunst! Hans Haacke prägte künstlerische Institutionskritik. Er klärt politisch auf und gestaltet seine wissenschaftlichen Recherchen auch noch ästhetisch ansprechend. Mich hat die Ausstellung sehr zum Nachdenken gebracht und sie hallt noch immer nach. Die Schirn Kunsthalle Frankfurt zeigt die Ausstellung von Hans Haacke noch bis 9. Februar 2025.

Hans Haacke: Politische Kunst mit Tiefgang – britta kadolsky

1993, Courtesy der Künstler und Paula Cooper Gallery, New York,
© Hans Haacke / VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: Hans Haacke
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