Fünf Graphic Novels, die Kunst neu erzählen

britta kadolsky

Graphic Novels verwandeln Kunst in Geschichten

Graphic Novels über Kunst sind ein junges, aber wachsendes Genre. Sie verbinden Erzählung, Zeichnung und Kunstvermittlung – ohne den belehrenden Ton klassischer Kunstgeschichte. Statt Theorie gibt es Geschichten und statt der Analysen Bilder. Seit den 2000er-Jahren erlebt das Format einen Boom. 

Was ist der Unterschied zum Comic? Der zielt (nur) auf Unterhaltung und erscheint oft in Serien. Die Graphic Novel ist ein abgeschlossenes Werk mit eigener Handschrift und erzählt Biografien, historische Ereignisse, Ideen der Philosophie – oft mit dokumentarischer Genauigkeit und gleichzeitig mit künstlerischer Freiheit. 

Fünf Bücher zeigen besonders eindrucksvolle Geschichten über die Kunst. Sie reichen von Überblick bis Hommage – und alle stellen dieselbe Frage: Wie lässt sich Kunst erzählen?

1. Blow Up! – Die explosive Geschichte der modernen Kunst

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Blow up! Robert Shore (Text), Eva Rossetti (Illustration), Christa Prummer-Lehmair und Rita Seuss (Übersetzung), C.H. Beck 2024

Blow Up! erzählt, wie die moderne Kunst in gut hundert Jahren die Welt auf den Kopf stellte – von Duchamps Urinal über Warhols Suppendose bis zu Maurizio Cattelans Bananen-Aktion. Der Text springt temporeich durch Epochen, Stile und Skandale und erklärt, warum jede Provokation auch eine Befreiung war.

Das 230 Seiten dicke Buch bebildert das mit einem Mix aus Pop-Art, Collage und grafischem Witz. Die Zeichnungen zitieren berühmte Werke, ohne sie zu kopieren. Das Buch streift Künstler_innen und Ereignisse wie: Niki de Saint Phalle und ihre Schießbilder, Madonnas Beziehung zu Jean-Michel Basquiat, David Hammons, der im winterlichen New York Schneebälle verkaufte, Elaine Sturtevants Wiederholungen von Warhols Siebdrucken und die (Un-)Wichtigkeit von Originalen sowie Linda Nochlin, die mit ihrem Essay über Künstlerinnen ein feministisches Statement setzte. Ein Who is Who der Kunstgeschichte ist dabei, und etwas Neues habe ich auch noch erfahren: Yayoi Kusama und Andy Warhol waren in New York befreundet und haben zusammengearbeitet.

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Die Geschichten sind spannend erzählt und pfiffig mit Ereignissen des Weltgeschehens kombiniert. Ich  finde es lustig, dass in Andy Warhols Sprechblasen meistens nur „Ähm“ steht und mag den Vergleich von Duchamps Urinal aus dem Bau-markt mit Warhols Kunst aus dem Super-markt. Schön finde ich auch den Hinweis auf Baroness Elsa von Freitag-Loringhoven als mögliche Erfinderin des Urinals, das Marcel Duchamp zugeschrieben wird.

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Die gezeichneten Seiten nehmen Motive der Künstler auf : Wir sehen beispielsweise Andy Warhol in 32 Bildern auf einer Doppelseite am Boden liegen, nachdem auf ihn geschossen wurde – alle in anderen Farben, ganz wie bei seinen Promi-Porträts. Fun Fact: Warhol druckte auch 32 Suppendosen. 

Blow up! funktioniert wie ein Crashkurs in Kunstgeschichte – nur lebendiger und mit Humor.

2. Jackson Pollock – Streng vertraulich!

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Pollock streng vertraulich, Onofrio Catacchio, Martina Panzer (Übersetzung), Midas 2021

Die Graphic Novel erzählt Pollocks Geschichte als Agententhriller. Ausgangspunkt ist, dass die CIA in den 1950er-Jahren abstrakte Kunst als Symbol westlicher Freiheit förderte und dafür sorgte, dass sie in West-Europa ausgestellt wurde. Weiterlesen.

Mitten im Kalten Krieg erhält der junge CIA-Agent Dan Adkins den Auftrag, Jackson Pollock zu überwachen. Er folgt den Spuren des Künstlers und rekonstruiert sein Leben. In seiner Akte erscheint Pollock als widersprüchliche Figur: genial und selbstzerstörerisch, alkoholkrank. Pollocks Frau Lee Krasner war ebenfalls Künstlerin – leider geht die Graphic Novel nur mit einem Halbsatz darauf ein. 

Visuell verdeutlicht die Graphic Novel Pollocks Action-Painting über der auf dem Boden liegenden Leinwand. Gleich vier „Pollocks“ bewegen sich im Atelier und illustrieren, wie seine Drippings entstanden. 

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Die Buchseiten wechseln zwischen seitenfüllenden Motiven, schmalen nebeneinanderliegenden Panels und kleinen Kästchen mit viel Hintergrund – eine Gestaltung, die Pollocks Drip Painting nachempfindet. Zitate wie „Es gibt keinen Zufall, keinen Anfang und kein Ende“ geben Einblick in Pollocks Denken.

Ich war überrascht zu erfahren, dass bei Pollocks Autounfall zwei Frauen mit im Wagen saßen: Seine Freundin starb, die andere wurde schwer verletzt. Entgegen der Vermutung, dass der Unfall ein Selbstmord war, zeigt die Graphic Novel ihn als selbstzerstörerische Handlung (mmh. Der unterschied ist schwer zu verstehen. Kannst du das deutlicher machen?).

3. Magritte – Dies ist keine Biografie

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Magritte Dies ist keine Biografie, Vincent Zabus (Text) und Thomas Campi (Zeichnung), Marion Herbert (Übersetzung), Carlsen 2017

Der Kniff, mit dem hier über den belgischen Künstler René Magritte erzählt wird, ist raffiniert: Die Biografie, die keine sein soll, folgt dem unscheinbaren Angestellten Charles Singulier, der Magrittes Bowler-Hut kauft – und plötzlich in eine surreale Welt gerät.

Daraus entwickelt sich eine Reise durch Magrittes Gedanken. Der Autor verbindet Realität und Traum, Alltagslogik und absurde Wendungen – und taucht dabei in Magrittes Kompositionen ein. Der Illustrator übersetzt das in eine Malerei mit weichen Aquarelltönen, in denen Magrittes bekannteste Bildmotive wie der Apfel, der Mond, die Wolken, die Pfeife und das verhüllte küssende Paar immer wieder auftauchen. Der Protagonist begegnet Georgette, Magrittes Frau und großer Liebe, die seine Muse und wichtigste Bezugsperson war. 

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Zitate wie: „Die Malerei ist kein passiver Spiegel der Realität, sondern sie verwandelt sie“,spicken die Geschichte mit kunsthistorischen Erkenntnissen, die denen Magrittes sehr ähneln.

Diese Graphic Novel verdeutlicht Magrittes Ideen und Gedanken. Wer sie liest, hat am Ende weniger biografische Daten im Kopf – aber ein Gefühl dafür, wie es ist, die Welt ständig neu zu sehen.

4. Mein magisches Museum und Vincent van Gogh

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Mein magisches Museum und Vincent van Gogh, Anne Funck (Text) und Daniel Sulberg (Illustration), Léman Publishing 2025

In Mein magisches Museum trifft Vincent van Gogh auf eine junge Museumsführerin, die plötzlich in seine Bilder hineingezogen wird. Das Buch bewegt sich zwischen Kinderbuch, Comic und Graphic Novel und lässt sich keiner Kategorie eindeutig zuordnen. Es enthält deutlich mehr Text als klassische Graphic Novels und wirkt fast wie eine illustrierte Erzählung. Die Bilder begleiten die Handlung nicht nur, sie öffnen eigene Perspektiven auf Van Goghs Leben und Werk. 

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Inhaltlich spricht das Buch Kinder ebenso an wie Erwachsene: Es hält Aufgaben bereit, etwa zu Farberkennungen und Farbmischungen, und fordert durch Fragen zum Suchen und dadurch längerem Betrachten der Bilder auf. Es erzählt von Kunst, Einsamkeit, Kreativität und Selbstzweifeln – und zeigt Van Gogh nicht als tragische Legende, sondern als lebendigen, suchenden Menschen. Die leuchtenden Farben und ruhigen Bildfolgen schaffen einen Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Kunstwerk und Betrachter.

5. Dantes Göttliche Komödie – Eine Graphic Novel

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Dante, Die göttliche Komödie, Seymour Chwast (Text und Illustration), Reinhard Pietsch (Übersetzung), Knesebeck 2012

Zum Schluss ein Klassiker – und zugleich ein Brückenschlag zwischen Literatur, Grafikdesign und Kunst. Dantes „Göttliche Komödie“ erscheint in einem neuen Format: schwarz-weiß, übersichtlich, modern. In Dantes über 700 Jahre alter Geschichte reist der Dichter durch die Hölle, das Fegefeuer und das Paradies, begleitet von Vergil, dem römischen Dichter der Antike, und Beatrice, seiner unerfüllten Liebe. 

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Dante trägt Sonnenbrille, Hut und raucht Pfeife, wie ein Detektiv. Vergil sieht mit seiner Melone auf dem Kopf aus wie ein britischer Gentleman. Die Graphic Novel zeichnet die Schrecken der Hölle und des Fegefeuerseindrücklich, und das Paradies ähnelt einem geometrischen Traum. Die enormen Kürzungen sorgen dafür, dass die umfangreiche, als Auseinandersetzung mit Moral, Verantwortung und menschlicher Existenz angelegte Erzählung zeitgemäß daherkommt. Die klaren Linien und Wiederholungen ziehen den Blick an. Die Schrift steht durchgehend in Großbuchstaben, ist aber zugleich in Überschriften auch verspielt und formt so die Sprache mit.

Fazit: Was diese Bücher gemeinsam haben

Alle fünf Graphic Novels erzählen nicht nur von Kunst, sie arbeiten selbst mit künstlerischen Mitteln. Die Zeichnungen ahmen den Stil der porträtierten Künstler nicht nach, sondern reagieren darauf – mit Rhythmus, Material, Farbe oder Humor. So entstehen visuelle Essays über Kreativität, keine bloßen Biografien. Die Bücher zeigen, wie gut sich die Graphic Novel eignet, um über Kunst zu sprechen: Sie erzählt mit Bildern – persönlich, experimentell und sinnlich – und macht sichtbar, was Worte allein nicht fassen können.

Vielen Dank an die Verlage für die zur Verfügung gestellten Rezensionsexemplare. Dies ist keine bezahlte Werbung.

Weiterlesen:

Alfred von Meysenbug: Comic-Autor, Maler, Illustrator und Plattencover-Gestalter von Udo Lindenberg

Frauen in der Kunst bespricht sieben Bücher zu diesem Thema, inklusive einer Graphic Novel


Fünf Graphic Novels, die Kunst neu erzählen – Britta Kadolsky

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