Eine Skulpturensammlung mitten im Wald – das ist der Internationale Waldkunstpfad in Darmstadt, den die Kuratorin Ute Ritschel vor 22 Jahren ins Leben gerufen hat. Alle zwei Jahre lädt sie KünstlerInnen aus der ganzen Welt ein, sich bei einem dreiwöchigen Symposium vom Kultur- und Naturraum Wald inspirieren zu lassen. Meist entstehen die Arbeiten im Rückgriff auf Materialien, die vor Ort vorhanden sind: Holz und Steine, Blätter und Moos, Wind und Wasser, Licht und Schatten, Klang und Stille. So ist mit der mittlerweile 12. Biennale ein abwechslungsreicher und weltweit beachteter Parcours entstanden.
Es ist ein Kunsterlebnis im ständigen Wandel. Manche der Arbeiten haben sich, der Witterung und dem – eingeplanten – natürlichen Verfall geschuldet, im Lauf der Zeit bis zur Unkenntlichkeit verändert oder sie sind ganz verschwunden. Fast drei Dutzend von ihnen aber lassen sich seit diesem Sommer besichtigen und gruppieren sich in lockerer Folge zu einem gut einstündigen Spaziergang, der auch über die eigentliche Ausstellung im Sommer mit ihren vielen Veranstaltungen hinaus Vergnügen macht.
Klangwelt Wald
Dabei gibt es Themen, die immer wieder auftauchen. Die Lust zum Beispiel, den Wald zum Klingen zu bringen. So wie es die interaktive „Soundwave“ von Volker Staub tut, mit der man dem Geräusch von Wind und Regen den sanften Klang aneinander stoßender Hölzer, Steine und Metallobjekte hinzufügen kann.
Für technikaffine SpaziergängerInnen erweitert sich der analoge Erfahrungsraum um eine digitale Tonspur: Auf den Hörbänken von Sabine Maier sind unter anderem Experteninterviews zum Thema „Wasser“ zu hören.
(Un)Heim Wald
Und natürlich gibt es Häuser in allen möglichen Zuständen und Variationen. Da ist die boden- und schwerelose Hütte von Anne Berlitt, die in luftiger Höhe über dem Boden schwebt. Ein „Luftschloss“ für Bescheidene – oder ein Bild für die Unbehaustheit jener, denen ihre Heimat genommen wurde?
Die riesigen Vogelhäuschen von Fredie Beckmans tragen die Namen ihrer sehr unterschiedlichen Bewohner schwarz auf weiß – dort hat sich eine offenbar friedliche Vollversammlung über alle Artengrenzen hinweg eingenistet.
Ein offenes Haus ist auch der Baldachin von Barbara Beisinghoff. Sein durchbrochenes Dach formt mitten am Tag eine Art Sternenzelt und macht die Themen und Orte des Kunstpfads auf poetische Weise lesbar.
Vom Wald zum Meer
Auch Boote sind ein wiederkehrendes Motiv auf dem Waldkunstpfad. Von den Darmstädtern besonders geliebt und schon ikonisch ist das U-Boot von Roger Rigorth aus dem Jahr 2004, das volle Kraft voraus aus dem Waldboden aufzutauchen scheint. Ein paar Jahre später war es so baufällig geworden, dass es abgebaut werden musste. Dank einer Spendenaktion konnte das Lieblingsobjekt nicht nur vieler Kinder (beinah) für die Ewigkeit gerettet werden.
Boote und Schiffe mitten im Forst? Ja! Schließlich waren es Wälder, die seit alters das Material für die Seefahrt lieferten – die Tannen des Schwarzwalds, auf dem Rhein nach Rotterdam geflößt, die Wälder der Apennin-Halbinsel, die für die Kriegsflotte des Alten Rom kahl gerodet wurden. Auch an solche kriegerischen Verwendungen erinnert Rigorths U-Boot.
Die gewaltsame Aneignung von Natur lässt das zwitterige Flecht-Boot von Ernest Daetwyler ganz vergessen – aus Ästen lose geflochten und zur Seefahrt untauglich, erscheint es wie ein hintersinniges Geschenk des Waldes: es vereint die Phantasien vom Aufbruch weit übers Meer mit der ortsbeständigen Luftigkeit eines Nestes.
Den weltweit fortschreitenden Raubbau am Über-Lebensraum Wald und seine Auswirkungen auf das weltweite Klima hat Ute Ritschel mitgedacht, als sie die Biennale 2024 mit dem Motto „Kunst-Natur-Wasser“ überschrieb.
Waldbleiche
Mein persönlicher Höhepunkt der 12. Waldkunst-Ausgabe ist Kim Rathnaus „Forest Bleaching“.
Wie eine Gruppe graziler Tänzerinnen stehen die nackten Baumskelette da. Es ist ein durchaus unheimliches Ballett, das sie aufführen. Gespenstisch weiß gekalkt, erinnern sie nicht nur an den uralten Schrecken der nächtlichen Wälder. Sie ähneln auch Korallenstöcken und sprechen so vom Schrecken einer Gegenwart, in der die globale Erwärmung per Korallenbleiche immer öfter zum Absterben dieser ursprünglich farbenfrohen Groß-Organismen führt.
Das alles und noch viel mehr ist zu entdecken auf dem rund zweieinhalb Kilometer langen Rundweg, der am Waldparkplatz hinter dem Darmstädter Polizeipräsidium, Klappacher Straße beginnt. Für ihr – gegen nicht wenige Widerstände anarbeitendes – jahrelanges Engagement ist die Kulturanthropologin und Waldkunstpfad-Erfinderin Ute Ritschel inzwischen mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden.
Eine Skulpturensammlung mitten im Wald – das ist der Internationale Waldkunstpfad in Darmstadt, den die Kuratorin Ute Ritschel vor 22 Jahren ins Leben gerufen hat. Alle zwei Jahre lädt sie KünstlerInnen aus der ganzen Welt ein,Kunst unter Bäumen – der Internationale Waldkunstpfad in Darmstadt – Ruth Fühner