Ausstellung im Arp Museum Bahnhof Rolandseck, Remagen
Die mit pompöser Federboa auf dem Kopf und schmuckvoll drapiertem Kleid kostümierte Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven blickt uns am Eingang der Ausstellung mit extravaganter Pose entgegen. Die gebürtige Deutsche, die nach New York auswanderte, war ein wandelndes Kunstwerk und pfiff auf gesellschaftliche Erwartungen: Sie erschien auf den Straßen New Yorks entweder nackt, mit kahl rasiertem Kopf oder in exzentrischer Kleidung. Sie war laut, extravagant und provokant und trug ungewöhnliche Accessoires wie Christbaumschmuck, einen Penis aus Gips, Konservendosen oder Teesiebe.
Lange Zeit geriet die Baroness, wie sie in Kunstkreisen genannt wurde, in Vergessenheit. Vor einigen Jahren rückte sie jedoch wieder ins Rampenlicht: Es ging um die Urheberschaft des berühmten Readymades Fountain, das bisher Marcel Duchamp zugeschrieben wurde. Elsa von Freytag-Loringhoven erklärte ebenfalls gefundene Alltagsgegenstände zu Kunstwerken, und zwar schon vor Duchamp. 1913 erhob sie einen auf der Straße gefundenen eisernen Ring zum Kunstwerk Enduring Ornament.
Zusammen mit Marcel Duchamp ersann sie allerlei dadaistische Kunst. Möglicherweise hatte sie auch die Idee, ein Urinal zu kaufen und es um 90 Grad gekippt als Kunstobjekt auf ein Podest zu stellen. Der Dokumentarfilm Alreadymade der niederländischen Künstlerin und Filmemacherin Barbara Visser untersucht diese Theorie und zeigt seltene alte Aufnahmen der Künstler. Der Film wird in der Ausstellung gezeigt. So viel sei vorweggenommen: Trotz Vissers intensiver Recherche bleibt die Frage der Autorenschaft ungeklärt.
Ein Exkurs: Was genau ist eigentlich dADa?
Dada oder Dadaismus ist eine avantgardistische und subversive Kunstbewegung, die 1916 während des Ersten Weltkriegs in Zürich entstand. Sie breitete sich schnell nach Deutschland, Frankreich und in die USA aus. Die Dadaisten kritisierten die Grausamkeit des Krieges, das Militär, den Spießbürger, die Kirche, die Politik und die etablierte Kunst. Sie nutzten absurde, chaotische und provokative Mittel, um die Absurdität des Krieges und des Lebens insgesamt zu reflektieren.
Dada war eine “Anti-Kunst”-Bewegung, die unkonventionelle Materialien und Techniken wie Collagen und Ready-mades verwendete. Und: Die Werke waren humorvoll, satirisch oder zynisch. Sie hatten einen spielerischen, manchmal kindischen Charakter. Ihre Performances bestanden aus bizarren Geräuschteppichen, absurden Gesängen, unsinnigen Gedichten sowie Bewegungen oder Tänzen mit Masken, Kostümen und Puppen – ein Spektakel.
Die Bewegung wirkt bis heute nach. Dada hatte einen großen Einfluss auf die Kunst, und die über 100 Jahre alten Arbeiten wirken auch heute noch modern und zeitgenössisch.
Die Dada-Frauen
Frauen haben schon immer Kunst geschaffen – also auch im Dadaismus. Künstlerinnen wie Sophie Taeuber-Arp, Emmy Hennings, Angelika Hoerle, Sonia Delaunay, Hannah Höch, die bereits erwähnte Baroness und Martha Hegemann spielten eine entscheidende Rolle. In der Ausstellung im Arp Museum Bahnhof Rolandseck stehen sie gleichberechtigt neben ihren männlichen Kollegen.
Warum wurden so viele Künstlerinnen vergessen? Die Geschichte behandelte Frauen oft ungerecht. Männliche Kunsthistoriker berichteten selten über sie, und die männlichen Dada-Mitglieder schrieben sich selbst in die Geschichte ein. Dabei werteten sie das Können der Künstlerinnen ab oder erwähnten sie gar nicht. Frauen hatten es ohnehin schwer in der Kunstwelt, an Akademien und bei Ausstellungen.
Der Anfang von Dada in Zürich
Im Februar 1916 gründeten Künstler:innen, die vor dem Krieg in die neutrale Schweiz geflohen waren, im Club Voltaire in Zürich die Gruppe Dada. Eine bedeutende Figur dieser Bewegung war Emmy Hennings. Sie wuchs unter schwierigen Bedingungen auf und lernte in München Hugo Ball kennen und lieben. Gemeinsam emigrierten sie in die Schweiz und gründeten zusammen mit Hans Arp und Tristan Tzara die Dada-Gruppe. Hennings tanzte und trug Prosa vor, während Ball das Publikum mit seinen Lautgedichten irritierte.
Emmy Hennings’ Lebensgeschichte fand ich besonders bemerkenswert: Sie gab ihre Kinder bei der Mutter ab, wurde von ihren Männern betrogen, zur Prostitution gezwungen und morphiumsüchtig. Wegen Diebstahls saß sie im Gefängnis und war aufgrund ihrer Armut und ihres Lebensstils immer wieder krank. Trotzdem schrieb sie unermüdlich Gedichte und Bücher, oft mit autobiografischen Elementen. Nach Hugo Balls frühem Tod kümmerte sie sich um seinen Nachlass und „beeinflusste mit ihren autofiktionalen Geschichten die Rezeption seines Werkes.“ (Zitat Katalog) Eine enge Freundschaft zu Hermann Hesse und seiner Frau half Hennings in schwierigen Zeiten. Ihre Tochter Annemarie Schütt-Hennings veröffentlichte nach dem Tod ihrer Mutter den Briefwechsel mit Hesse.
In der Ausstellung sind Fotos, Zeichnungen und ein gemaltes Porträt der Künstlerin zu sehen. Wie später auch Sophie Taeuber-Arp und Hannah Höch, fertigte Emmy Hennings Marionetten und Masken, die sie in ihren Performances im Club Voltaire verwendete.
Dada in New York
In New York revolutionierten emigrierte Künstler:innen die Kunst mit radikalen Ideen, parallel zur Entwicklung in Zürich. Die Ausstellung im Arp Museum hebt die Rolle der Frauen hervor, doch Marcel Duchamp bleibt eine zentrale Figur im Dadaismus: Er erscheint in Filmen und auf Fotos.
Der Untertitel der Ausstellung, Unordnung der Geschlechter, passt zu den Crossdressing-Fotografien von Man Ray. Marcel Duchamp posiert als bürgerliche Dame Rrose Sélavy. Auf einem Foto trägt er einen tief ins Gesicht gezogenen Hut mit gemusterter Schärpe und einen weichen Fellkragen. Seine beringten Hände halten zart den Pelz unter dem Kinn zusammen. Geschminkte Augen und Lippen vervollständigen das Bild einer Frau – scheinbar. Das Spiel mit den Geschlechtern erregt auch heute, über 100 Jahre später, noch Aufmerksamkeit. Der Name Rrose Sélavy spielt auf den französischen Ausspruch „Eros, c’est la vie“ – „Liebe, das ist Leben“ – an.
Man Ray fotografierte auch die Baroness: Sie trägt schlichte Männerkleidung mit Strohhut und Jackett, ihr Blick ist entschlossen und schmallippig. Diese Verkleidung war damals gefährlich, da sie für Frauen verboten war. Die Baroness wurde im Herrenanzug und rauchend sogar verhaftet. Mit der Inszenierung ihrer Körper brachen die Dadaist:innen radikal mit den stereotypen und gesellschaftlich anerkannten Geschlechterrollen.
Dada in Berlin
In Berlin entwickelte sich Dada ab 1918 zu einer besonders politischen und radikalen Kunstbewegung. Geprägt von den Schrecken des Ersten Weltkriegs und den gesellschaftlichen Umwälzungen der Weimarer Republik, wandten sich die Berliner Dadaisten gegen Militarismus, Kapitalismus und die bürgerliche Gesellschaft. Sie suchten mit einer aggressiven, subversiven Ästhetik nach neuen, revolutionären Ausdrucksformen.
Hannah Höch gehörte zu den prominentesten Vertreterinnen dieser Bewegung. Sie kritisierte die Absurdität und den Wahnsinn der Zeit durch Collagen, Fotomontagen und satirische Texte. Ich habe erst in der Ausstellung gelernt, dass Hannah Höch auch Marionetten herstellte – ein Sinnbild für willenlose, anonyme Menschen in der wachsenden Großstadt? 1921 trat sie selbst als Puppe auf und bezeichnete sich als eine von Raoul Hausmann, ihrem Arbeits- und Liebespartner, zerlegte Puppe.
Mehr zu Hannah Höch und ihrer Collage Der Schnitt mit dem Küchenmesser.
Dada in Hannover
Weil ich das Lied „A-N-N-A” von Freundeskreis 1997 wunderschön fand, bin ich in der Ausstellung ganz begeistert von Kurt Schwitters Gedicht An Anna Blume. Schwitters, ein Werbegraphiker, den die Berliner Dadaisten wegen seines Brotjobs nicht anerkannten, plakatierte die gesamte Stadt mit seinem Gedicht. Er baute Anna Blume zur Marke auf, indem er ihren Namen in seine Collagen klebte und weitere Texte nach ihr benannte.
Das Gedicht, das zunächst dadaistisch wirkt, enthält merkwürdige Komplimente, wie „Dein Name tropft, wie weiches Rindertalg“ oder paradoxe Aussagen: „Blau ist die Farbe Deines gelben Haares“. Es entpuppt sich jedoch als Liebesgedicht. Und das griff die deutsche Rap-Band Freundeskreis in ihrem melancholischen Liebessong auf.
Fazit
Die Ausstellung im Arp Museum Bahnhof Rolandseck beleuchtet die oft unterschätzte Rolle der Frauen im Dadaismus und zeigt die Genderfluidität dieser Kunstbewegung. Bereits damals diskutierten die Dadaist:innen über ein modernes Menschenbild, das ohne starre Kategorien auskommt und die Zweigeschlechtlichkeit als überkommenes Konstrukt entlarvt. Sie setzten sich für Freiheit ein. Mit ihrer subversiven Kunst erreichten sie teilweise diese Ziele, konnten jedoch die patriarchalen Strukturen selbst nicht vollständig überwinden.
Die Ausstellung umfasst rund 180 Werke, darunter Gemälde, Papierarbeiten, Fotografien, Filme und Texte, und zeigt die Vielfalt des Dadaismus. Besucher:innen können zudem eine Ausstellung über das Künstlerpaar Sophie Taeuber-Arp und Hans Arp im obersten Geschoss besuchen.
An verschiedenen Standorten der Ausstellung stehen ‚Stuhlhockerbänke‘ aus massiver Eiche, gestaltet von Yvonne Fehling und Jennie Peiz, die hervorragend zur Dada-Ausstellung passen.
Auch die Architektur ist beeindruckend. Über dem Entree, einem klassizistischen Bahnhofsgebäude am Rhein, erhebt sich majestätisch der weiße Museumsneubau des renommierten Architekten Richard Meier: Ein einzigartiges Kunstensemble.
Die Ausstellung im Arp Museum Bahnhof Rolandseck bietet einen umfassenden Einblick in die wilde Kunstbewegung des Dada und ist noch bis zum 21. Januar 2025 zu sehen. Ein Besuch lohnt sich unbedingt!
Der Die dADa – Unordnung der Geschlechter – Britta Kadolsky