Beltracchi und der gefälschte Campendonk
Seit Langem hege ich den Plan, einen Artikel über Kunstfälscher zu schreiben. Nun bietet mir der wohl größte Kunstfälscherskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte um Wolfgang Beltracchi einen aktuellen Anlass: Das gefälschte Werk Mädchen mit Schwan, das angeblich vom Expressionisten Heinrich Campendonk stammen soll, ist aufgetaucht! Das Museum of Art in Kochi, Japan, hat mitgeteilt, dass es das Bild besitzt. Und: Es wird nicht die letzte Fälschung von Beltracchi sein! Daher möchte ich einige Hintergründe rund um den Beltracchi-Skandal beleuchten.
Die Presse hat Beltracchi mit vielen, meist schmeichelhaften, Namen bedacht: Meisterfälscher, Eulenspiegel, Filou, Jahrhundertfälscher, lebende Legende. Oft wird er sogar mit Robin Hood verglichen. Doch die einzige Gemeinsamkeit mit letzterem besteht darin, dass beide von den Reichen nehmen. Während allerdings Robin Hood das Geld an die Armen verteilte, füllte Beltracchi seine eigenen Taschen – und zwar üppig! Er besaß eine große Villa mit Park in Südfrankreich, die er allein für 5 Millionen Euro sanieren ließ. In Freiburg lebte er mit seiner Frau Helene auf einem riesigen Anwesen. Beltracchi hatte zudem eine Wohnung in Andorra, einem Steuerparadies, wo er auch eines seiner Konten führte, seine Kinder besuchten Eliteinternate.
Der Fall Beltracchi vor Gericht
Wolfgang Beltracchi fälschte über Jahrzehnte hinweg Gemälde von mehr als 50 Künstlern des frühen 20. Jahrhunderts, darunter Max Ernst, Max Pechstein, Georges Braque und Heinrich Campendonk. Zusammen mit seiner Frau und zwei Komplizen verkaufte er die Fälschungen für Millionenbeträge. Kunstexperten, Auktionshäuser und Kunsthändler, die die Werke als echt bestätigten und weiterverkauften, trugen dazu bei, dass der Betrug lange unentdeckt blieb.
Die polizeilichen Ermittlungen begannen, als 2006 das Heinrich Campendonk-Gemälde Rotes Bild mit Pferden von (angeblich) 1914 für 2,88 Millionen Euro verkauft wurde. Der Käufer wurde misstrauisch; eine Untersuchung ergab: Es ist gefälscht! Das Bild enthielt Titanweiß – ein Pigment, das es zur angeblichen Entstehungszeit des Gemäldes noch nicht gab. Weitere Ermittlungen zeigten, dass auch der Herkunftsnachweis gefälscht war.
Im September 2010 wurden das Ehepaar Beltracchi und zwei Komplizen verhaftet. Man schätzt, dass sie etwa 300 Kunstwerke fälschten. Beltracchi wurde jedoch nur für 14 Fälschungen verurteilt: Viele Bilder wurden nicht gefunden oder der Betrug war verjährt. Der Prozess im Oktober 2011 dauerte nur neun Tage – vermutlich ein Deal mit dem Gericht; so kam nicht viel über weitere Fälschungen heraus. Beltracchi brüstete sich damals mit der Aussage, dass noch viele unerkannte Fälschungen von ihm in den Museen hingen.
Wolfgang Beltracchi wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt, seine Frau Helene zu vier Jahren – beide im offenen Vollzug, d.h. sie mussten nur die Nächte im Gefängnis verbringen. Beide wurden außerdem vorzeitig entlassen.
Die systematischen Fälscher-Methoden der Beltracchis
Die Beltracchis behaupteten, die Bilder seien wiederentdeckte verschollene Werke. Sie erfanden die “Sammlung Jäger” und belegten die Herkunft der Bilder mit gefälschten Fotos und Dokumenten. Sie kauften alte Leinwände auf Flohmärkten, bevorzugt solche mit wenig Farbe darauf, die abgeschmirgelt wurde: So passte das Alter der Bilder auch im Falle einer wissenschaftlichen Prüfung zum Alter der gemalten Fälschungen. Die erforderlichen Alterungsprozesse erzeugte Beltracchi künstlich im Ofen oder in der Sonne.
Außerdem gelang der Verkauf der gefälschten Bilder auch deshalb so gut, weil Beltracchi, um ihnen eine seriöse Herkunft zu attestieren, auf der Rückseite der Bilder gefälschte Etiketten anbrachte. Unter anderem instrumentalisierte er dabei den Namen des durch das NS-System verfolgten jüdischen Galeristen Alfred Flechtheim. Der hatte nur einen Teil seiner Bilder bei seiner Flucht vor den Nazis mitnehmen können – der Verbleib der anderen war, günstig für Beltracchi, ungeklärt. Das gefälschte Etikett mit dem Schriftzug „Sammlung Flechtheim“ und dem grob skizzierten karikaturhaften Konterfei des Galeristen trug zur Aufklärung der Fälschungen bei.
Was der Fälscher gerne verschweigt: Mit einigen Fälschungen scheiterte er auch. Das System funktionierte folgendermaßen: Ein Komplize Beltracchis ging zu einem Auktionshaus und gab vor, dass er ein Bild auf dem Dachboden seines Großvaters gefunden habe. Das Auktionshaus prüfte daraufhin das Bild. Erkannte es das eingereichte Gemälde als unecht, konnte der Komplize unauffällig mit dem Werk verschwinden, ansonsten gab es die Echtheitsexpertise. Darüber hinaus fälschte Beltracchi keine Künstler der „ersten Garde“ wie Pablo Picasso oder Salvador Dalí, sondern eher weniger bekannte Künstler, die trotzdem ordentliche Preise auf dem Kunstmarkt erzielten.
Entgegen seiner Behauptung, er habe nie existierende Bilder im Stil der Künstler gemalt und damit deren Oeuvre komplettiert, fälschte er oft tatsächlich existierende Gemälde, die von den Nazis zerstört wurden oder in den Wirren des Zweiten Weltkriegs verschwanden. Das Ehepaar suchte akribisch nach Beschreibungen solcher Bilder oder alten Schwarzweiß-Abbildungen, die Beltracchi dann abmalte: Er eignete sich also Motiv, Komposition, Stil, Pinselgestus sowie die Farbpalette an – handwerklich gut, aber nicht so innovativ und kreativ, wie er sein Können gerne verkauft.
Bei seinen Fälschungen von Bildern von Max Pechstein nutzte er Zeichnungen, die von dem Blaue Reiter-Maler noch existierten, und kopierte sie vermutlich vergrößert auf Leinwände, um sie dann auszumalen. Bei der Razzia von 2010 wurde im Atelier ein Projektor gefunden, der zu diesem Zweck gedient haben könnte. Auch Bilder von Fernand Léger hat Beltracchi nahezu identisch kopiert, wie beispielsweise Der Radfahrer. Beltracchi verschweigt auch, dass seine Fälschung eines August Macke-Bildes entlarvt wurde – in seiner Autobiografie schrieb er lediglich, dass er diesen Künstler nicht möge.
Kunstexperten und Auktionshäuser: Mitverantwortung im Skandal
Werner Spies, ein renommierter Kunstexperte insbesondere für die Kunst von Max Ernst, erklärte sieben gefälschte Max-Ernst-Gemälde von Beltracchi für echt. Trotz eines problematischen Farbanalysenberichts nahm er die Werke in das Werksverzeichnis auf und erhielt hohe Provisionen. 2013 wurde er in Frankreich dafür zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Kölner Auktionshaus Lempertz, das das gefälschte Campendonk-Gemälde für knapp 2,9 Millionen Euro 2006 verkaufte, wurde später zu Schadensersatz verurteilt – wegen Unterlassung einer ausreichenden Echtheitsanalyse. Auch Beltracchi musste den Käufer entschädigen und den Preis zurückzahlen. Getilgt wurde dieser Betrag durch den Verkauf seiner Luxus-Immobilien.
Kunstfälschung in Deutschland: Rechtliche Lücken
In Deutschland gibt es keinen speziellen Straftatbestand für Kunstfälschung – Fälle wie dieser werden als Urkundenfälschung, Urheberrechtsverletzung und Betrug beurteilt. Betrug verjährt nach fünf Jahren, schwerer Betrug nach zehn Jahren. Im Beltracchi-Prozess 2011 wurden nur Wolfgang und Helene Beltracchi und die Komplizen verurteilt, nicht jedoch die Kunsthändler oder Sachverständigen. In Ländern wie Frankreich und Großbritannien sind die Gesetze strenger und die Verantwortung der Experten einklagbar.
Pikant in diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache, dass Beltracchi bereits in jungen Jahren wegen Fälschungen (Bilder des Malers Johannes Molzahn) gesucht wurde – damals noch als Wolfgang Fischer, so sein eigentlicher Name, bevor er den Namen seiner Frau annahm (vielleicht auch um unterzutauchen?) Die Polizei war bereits auf seiner Spur, der Arm der deutschen Justiz reichte jedoch nicht bis nach Südfrankreich, wohin Fischer bzw. Beltracchi damals floh.
Ein ungelöstes Rätsel: Der Verbleib gefälschter Kunstwerke
Der Verbleib vieler gefälschter Bilder von der Hand Beltracchis ist ungeklärt. Vermutlich hängen einige auch in deutschen Museen – möglicherweise mit Steuergeldern bezahlt. Das Bild Mädchen mit Schwan von Campendonk, das nun in Japan als gefälscht aufgeflogen ist, war allerdings bekannt. Es steht auf einer Liste der beiden Journalisten Stefan Koldehoff und Tobias Timm, die sich umfangreich mit dem Fall Beltracchi beschäftigten (Alles nachzulesen in dem Buch Falsche Bilder Echtes Geld, erschienen 2013 bei Kiepenheuer & Witsch).
Auch Beltracchi selbst hat das besagte Bild in seiner selbstbeweihräuchernden Biografie erwähnt und sogar abgebildet (siehe unten). Vielleicht wollte man in Japan nicht so genau hinschauen und hat das Bild lieber im Depot gelassen?! Dass der Fall um die Welt ging, beweist die US-amerikanische Zeichentrick-Serie “The Simpsons”: Season 25, Episode 15 nimmt den Fall Beltracchi auf. Wikipedia hat Artikel über Beltracchi in 10 verschiedenen Sprachen veröffentlicht.
Fazit
Beltracchi ist weder der smarte Außenseiter, der Fehler im System aufzeigen wollte, noch ein wirklich kreativer Maler. Es ging ihm um das Geld und den Luxus, der Schaden für die Kunst sowie die Reputation der echten Künstler:innen sind ihm gleichgültig. Die Kunstwelt ist daher nicht gut auf den Fälscher zu sprechen: So hat die wichtigste Kunst-Messe Art Basel Beltracchi vor einigen Jahren nicht auf ihr Gelände gelassen, um seine eigene Kunst auszustellen. Und: In keinem angesehenen Museum hängt ein ‚echter‘ Beltracchi.
Der Skandal um den Kunstfälscher Beltracchi – britta kadolsky