David Hockney - Zwischen Licht und Linie
britta kadolsky
Türkis, Sonne, Swimmingpool – David Hockneys kalifornischer Traum
Es beginnt mit einem Platschen. Ein Moment eingefrorener Bewegung: eine spritzende Fontäne, eingefasst in Türkis und Azur.
David Hockneys Poolbilder sind nicht nur Gemälde – sie sind Fenster in eine Welt, in der Wasser zur Farbe wird und der Schatten abwesend ist. In der Sonne Kaliforniens fängt Hockney die flirrende Hitze mit klaren geometrischen Formen ein, Los Angeles ist ein Sehnsuchtsort und verkörpert Freiheit, Lifestyle und Moderne.
Mit A Bigger Splash gelingt Hockney der Durchbruch. Heute hängt das Bild in der Tate Britain in London und wurde glücklicherweise nach Paris ausgeliehen. Dort – in der Fondation Louis Vuitton – wird David Hockney mit einer umfangreichen Retrospektive geehrt.

Als ich vor A Bigger Splash stehe, fühle ich mich in das Bild hineingezogen, als wollte ich selbst gleich ins Wasser springen. Das Bild ist riesig – fast zweieinhalb Meter im Quadrat – und der Pool nimmt die gesamte untere Hälfte des Bildes ein. Ein helles Sprungbrett ragt von der rechten unteren Ecke ins Bild: Von hier ist offensichtlich jemand ins Wasser gesprungen und komplett untergetaucht. Das spritzende Wasser erzählt, was gerade geschehen ist. Allerdings ist kein Mensch auf dem Gemälde zu sehen. Der Regiestuhl am hinteren Beckenrand ist verlassen.
Der Himmel über dem Bungalow ist noch türkiser als das Wasser. Die rostrote Fassade des Flachbaus ist ein wunderbarer Kontrast zum Blautürkis und bringt es zum Leuchten. Als organische Ergänzung stehen hinter dem Haus zwei ikonische Hollywood-Palmen mit sehr langem Stamm und kleinem grünen Wipfel, wie sie für L.A. typisch sind. Direkt an der Hauswand wächst niedriges Gebüsch.
Hockney, der die kalifornische Sonne malt, malt zugleich gegen die englische Melancholie an. In diesen Bildern liegt Leichtigkeit, trotz der geometrisch präzisen Linien. Ein fast unverschämter Optimismus und flache Farbflächen lassen sofort an Pop Art denken.
Hockney malt auch Menschen
Ein weiteres monumentales Bild – zwei mal drei Meter – ist Mr. and Mrs. Clark and Percy von 1971. Hier malt David Hockney nicht nur das Porträt eines glamourösen Paares, mit dem er befreundet ist, sondern er inszeniert ein feines Kammerspiel über Nähe, Rollenbilder und das leise Vibrieren von Spannung. Das Bild entstand nach der Hochzeit des Paares und ist ein Hochzeitsgeschenk.

Celia Birtwell steht links im Bild, aufrecht, fast wie eine Erscheinung zwischen weißen Lilien, die in der Kunstgeschichte als Symbol für Reinheit gelten, und hellem Tageslicht. Ossie Clark sitzt lässig auf einem Freischwinger von Thonet – die nackten Füße im Flokati: eine Pose zwischen Intimität und Abwehr. Beide schauen uns direkt an. Percy, die weiße Katze, sitzt auf dem Schoß des Mannes, schaut auf den Balkon hinaus und dreht uns damit ihren Rücken zu. Hockney gibt ihr sogar einen Platz im Titel: Percy. In der Kunstgeschichte symbolisiert eine Katze häufig Freiheit und Unabhängigkeit – ob der Künstler und Freund des Paares diese Anspielung machen wollte?
Rechts unten, beinahe beiläufig, steht ein weißes Telefon auf dem Boden – Symbol einer möglichen Verbindung nach draußen oder auch der Störung von innen? Zwischen den beiden Figuren öffnet sich mittig ein Balkon, der den Blick auf die Bäume hinter der Balustrade öffnet – eine Art gedanklicher Fluchtpunkt. Doch niemand tritt hinaus. Hockney komponiert diesen Moment mit einer formalen Strenge, die von der minimalistischen Einrichtung im Stil der 1960er Jahre unterstrichen wird. Das Gemälde zeigt auch eine emotionale Offenheit – ein Stück Wirklichkeit das zugleich in der Schwebe bleibt: wie frisch verliebt kurz nach der Hochzeit wirken die beiden jedenfalls nicht. Jedenfalls wurde die Ehe 1974 geschieden, unter anderem wegen Ossies homosexueller Affären.
Celia Birtwell, eine bekannte Textildesignerin, gehört zu den Personen, die Hockney häufig porträtiert hat.
Hockneys Porträts: Nähe in Farbe und Linie
In einem anderen Saal der Retrospektive, die die Fondation Louis Vuitton dem vielleicht berühmtesten noch lebenden britischen Künstler ausrichtet, hängen 60 Porträts: Natürlich Celia Birtwell, seine Mutter, Freunde, Sammler, Liebhaber, lebendige Gesichter vor leerem Hintergrund, berühmte und unbekannte Personen auf Stühlen oder Sesseln: Hockneys Porträts sind Begegnungen und jeder Pinselstrich atmet Zuneigung.

Mitten an einer Wand mit Petersburger Hängung befindet sich das erst vor zwei Jahren erstellte Porträt des britischen Sängers und Songwriters Harry Styles. Der 31-jährige Popstar, der seit 2017 in den internationalen Charts auftaucht, verleiht der Porträtwand zusätzlich zeitgenössisches Promi-Flair. Das Gemälde zeigt Styles in einem Korbstuhl mit einer gelb-orange-gestreiften Strickjacke, Jeans, Ringen an den Fingern und einer Halskette – sein Markenzeichen. Hockney war sich, heisst es, gar nicht über den Status des Sängers bewusst, als er ihn malte, während Styles schon länger Hockney-Fan ist.
Darüber hängen zwei Porträts von Krankenschwestern in blauen Uniformen: Lewis Dube und Sonia Mathews – die beiden Pfleger:innen, die sich um David Hockney kümmern, seit er, infolge jahrzehntelangen Rauchens, an Lungenproblemen leidet.
Auch Norman Rosenthal hängt an dieser Wand. Er hat die Show in Paris zwei Jahre lang mit kuratiert, ist Autor des Katalogs zur Ausstellung und seit über 60 Jahren mit Hockney befreundet. Für das Porträt an dieser Wand saß er standesgemäß Modell mit Orden um den Hals und am Revers.
Rechts oben neben Harry Styles sitzt Hockneys Schwester Margaret in einem gepolsterten Stuhl. Sie hat ihre Hände in den Schoß gelegt und schaut uns direkt an. Ihre Pose zeigt, dass auch sie bereits mehrfach für ihren Bruder stillgesessen hat. David Hockney hat drei Brüder und eine Schwester, und die Geschwister stehen sich alle sehr nahe. Zu Margaret, einer Krankenschwester im Ruhestand, hatte er schon immer eine besondere Beziehung.

David Hockney hat zahlreiche Selbstporträts gemalt – schließlich ist der Künstler für sich selbst ein stets verfügbares Modell. In Paris sind einige Selbstporträts aus dem Jahr 2012 streng geometrisch angeordnet. Sein Markenzeichen ist eine runde, auffällige Brille. Sie ist längst mehr als ein Sehhilfsmittel – sie ist ein Teil seines künstlerischen Blicks geworden. Der Künstler als Beobachter und als Gesehener: Er malt sich selbst im Spiegel, seine Lebenslinien des Älterwerdens, sehr aufrichtig. Ein Mann, der uns mal ernst und mal heiter, mal mit Zigarette im Mundwinkel und sogar mit Grimassen anschaut. Sympathisch und menschenfreundlich sieht er immer aus.
Hockneys Landschaftsbilder

Ich gebe es zu: Landschaftsbilder berühren mich selten. Zu oft erscheinen sie mir wie Kulissen – ganz schön, aber langweilig. Auch Hockneys Naturansichten blieben mir zunächst fremd, zu laut in ihrer Farbigkeit, zu konstruiert in ihrer Geometrie. Und doch stehe ich plötzlich staunend vor A Bigger Grand Canyon von 1998. Ein monumentales Panorama, zerteilt in mehr als sechzig Einzelbilder – das Raster aus einzelnen Leinwänden ist erst auf den zweiten Blick erkennbar.
Die Farben leuchten nicht nur, sie schreien: knallrot, grellorange und violett sind hier mit grünen Büschen und einer schmalen blauen Himmelslinie am oberen Bildrand komplementiert. Die Tiefe ist keine Illusion, sondern ein Zustand, den man körperlich spürt. Die Monumentalität des Bildes umfängt mich, wie in einem Imax-Kino. Es ist, als hätte Hockney den Canyon nicht gemalt, sondern neu zusammengesetzt. Ich sehe nicht nur Landschaft, ich sehe vor allem Weite.
Viel Freude am Experimentieren

Ich habe versucht, mich den iPad-Bildern zu nähern – mit offenem Blick, mit Neugier. Und doch bleiben sie mir fremd. Zu glatt, zu leuchtend, zu schnell. Es fehlt mir die Haptik der Farbe, das Zögern des Pinsels, das Geräusch von Acryl auf Leinwand. Und dennoch: Ich bewundere Hockney dafür, dass er nicht stehen bleibt. Während andere Künstler sich im eigenen Ruhm ausruhen, experimentiert er weiter, immer auf der Suche nach neuen Formen des Sehens. Er hat das Digitale nicht als Bedrohung, sondern als Einladung verstanden.
Das bunte Leben von David Hockney
David Hockney wurde 1937 in Bradford geboren – ein Kind des nordenglischen Arbeitermilieus, das sich früh für das Sehen interessierte. Die graue Industrieästhetik seiner Heimat kontrastiert scharf mit der Farbigkeit seiner Werke, doch sie erklärt vielleicht seine Disziplin, seine Klarheit im Aufbau, sein Interesse an Strukturen.

Schon früh rebelliert er gegen Konventionen – nicht laut, aber konsequent. Als junger Mann malt er homosexuelle Liebe, lange bevor es akzeptiert ist. Er macht das Intime öffentlich, ohne es zu verraten. In den 1960er Jahren zieht es ihn nach Los Angeles – das Licht, die Weite, die Schwimmbäder: Dort findet er den Stil, mit dem er bekannt wird.
Und Hockney erfindet sich immer wieder neu: Collagen aus Polaroids, Bühnenbilder für Opern, Experimente mit iPads und Digitalzeichnungen. Ihn treibt die Sehnsucht nach immer neuem Sehen und künstlerischen Experimenten an. „Ich bin ein Künstler, weil ich sehen will“, sagt er einmal.
Und tatsächlich – seine Werke zeigen nicht nur, was da ist, sondern wie es gesehen werden kann: Er forscht an der Perspektive, an der Zeit im Bild, an der Bewegung in der Fläche.
Fazit
Der mittlerweile 88-jährige David Hockney sitzt im Rollstuhl und bleibt ein neugieriger Beobachter, der sich nie auf einen Stil festgelegt hat. Seine Arbeiten reichen von klaren Poolbildern über psychologisch dichte Porträts bis zu digitalen Experimenten. Nicht jedes Werk überzeugt mich, aber die Offenheit, mit der er sich immer wieder neu erfindet, beeindruckt. Seine Kunst zeigt weniger ein fertiges Weltbild als einen fortlaufenden Versuch, genau hinzuschauen.
Die Ausstellung in der Fondation Louis Vuitton in Paris ist großartig und die größte Retrospektive von Hockneys Oeuvre seit 25 Jahren. Noch bis 31. August 2025 – unbedingt vorher online einen Besuchs-Slot buchen.
David Hockney und Lucian Freud waren befreundet und haben sich auch gegenseitig gemalt. Hier gehts zum Artikel über den ‚anderen‘ großen britischen Maler: Lucian Freud.

Zwischen Licht und Linie – David Hockney – Britta Kadolsky – Fondation Louis Vuitton
Titelbild: wesley-tingey-9-OCsKoyQlk-unsplash
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