Meine persönlichen Favoriten auf der 60. Biennale für zeitgenössische Kunst – Teil 2: Die Länderpavillons
Die Länderpavillons auf der Biennale in Venedig und die ewige Diskussion darum, ob sie in der heutigen Zeit voller Globalisierung, der bestehenden Feindschaften und Kriege noch zeitgemäß sind, finde ich heuchlerisch. Schließlich fragt man sich das bei der Olympiade, der Fußballweltmeisterschaft, der Tour de France oder dem Eurovision Song Contest auch nicht! Nein, da spricht man von der verbindenden Möglichkeit, die solche internationalen Großereignisse haben können. Ich finde, das trifft auch auf die Kunstshow in Venedig zu. Es geht weniger um Wettbewerb, was bei den sportlichen Events und dem Musikcontest sehr im Vordergrund steht, als und eine Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Es geht weniger um Nationalstolz als um eine Debatte über kulturelle Identität.
Jedes vertretene Land lotet für sich aus, wie es damit umgehen möchte. Das finde ich erfrischend und lobenswert. Natürlich lösen das nicht alle Länder mit Bravour, aber so ist es bei den Mammut-Sportveranstaltungen doch auch.
Dieses Jahr haben sich viele Länder das Motto der diesjährigen Biennale Foreigners Everywhere auf ihre künstlerische Fahne geschrieben: Indigene und/oder queere Künstler:innen repräsentieren ihr Land.
1 – Der australische Pavillon
Der Goldene Löwe ging an den australischen Pavillon. Dort hat sich Archie Moore, der 1970 als Sohn einer Aborigine-Mutter und eines britischen Vaters geboren wurde, mit der Geschichte der australischen Urbevölkerung beschäftigt. Der Ausstellungsraum im würfelförmigen, schwarzen Pavillon von Australien ist dunkel. In der Mitte sieht man ein halbhohes Plateau. Darauf sind hunderte von weißen, unterschiedlichen hohen Papierstapeln: Dokumente, die von Unterdrückung und staatlichen Verbrechen erzählen. Es sind Protokolle von ungeklärten Todesfällen von über 500 indigenen Menschen in Gefängnissen. Eine Kommission stellte die Berichte kolonialer Rassismus-Erlebnisse zusammen – Moore bereitete es künstlerisch auf.
Beeindruckend ist auch das Netz aus Namen an den Wänden, das sich bis unter die Decke erstreckt: Ein schier unendlicher, riesiger Stammbaum. Moore, der zwei Monate brauchte, um das Geflecht aus weißen Kästchen mit Kreide auf die dunklen Wände zu zeichnen, zeigt auf woher er kommt: Von den Ureinwohnern Australiens auf der einen Seite und den Menschen aus Großbritannien andererseits. Darüber hinaus bildet der Stammbaum über 65.000 Jahre ab und verbindet letztlich ihn selbst mit allen Menschen und zusätzlich den Tieren bis hin zu den Sternen: Sehr spirituell. Moore setzt ein Denkmal für alle Lebewesen, die je auf der Erde gelebt haben. Wie passend, ist doch die Kultur der Ureinwohner Australiens eine der ältesten der Welt.
Der australische Pavillon gefiel mir besonders gut, nachdem ich mehr über die Hintergründe erfahren hatte. Wie so oft trifft auch hier mein Credo zu: “Wer mehr weiß sieht mehr“.
Dieses Video von Vernissage TV zeigt besser als meine Fotos, wie es im australischen Pavillon aussieht:
2 – Ganz ohne Hintergrundwissen bestaune ich hingegen den Pavillon der USA
Ich erkenne den symmetrischen, zweiflügeligen US-amerikanischen Pavillon kaum wieder, so bunt und fröhlich sieht das neoklassizistische, an Palladios Architektur angelehnte, Gebäude aus. Alles – Dach, Wände und große Formen im Hof davor – ist grell und farbig bemalt und kratzt damit knapp am Kitsch vorbei. Der Künstler Jeffrey Gibson stammt von den Cherokee und Choctaw ab. Das ist eine absolute Premiere: Gibson ist der erste indigene Künstler, der die USA auf der Biennale repräsentiert, und er ist auch noch queer.
Sein Projekt, mit dem Titel The space in which to place me, erzählt eine Geschichte von Unterdrückung und Freiheitskampf – ohne belehrend oder nostalgisch zu sein. Traditionelle Handwerkskunst mit buntem Stoff und Perlen, riesige farbenfrohe, abstrakte Gemälde mit politischen Botschaften und Zitaten aus der Kultur der Dakota und von Nina Simone sind zu sehen.
Die Performance einer Tänzerin auf den neun Videoschirmen zu den House Beats einer First Nation Electronic Dance Group lädt mich sofort zum Tanzen ein. Eine coole Mischung aus Pop-Kultur und Folklore: Entspannt, schrill, bunt.
3 – Ein verrückter Coup: Der Vatikan und ein Skandalkünstler
Der Vatikan ist schon seit einigen Jahren auf der Kunstbiennale präsent – dieses Jahr hat er sich eine besondere Location ausgesucht: Das Frauengefängnis auf der Insel Giudecca. Und der italienische Skandalkünstler Maurizio Cattelan ist einer der vertretenen Künstler. Wir erinnern uns: Cattelan hat 1999 die Skulptur La Nona Ora erstellt – Papst Johannes Paul II. von einem Meteoriten niedergestreckt – ein Riesen-Eklat. Außerdem gibt es Werke der seit kurzem – endlich – bekannt werdenden Pop-Art-Nonne Sister Corita Kent.
Ende April besuchte der Papst den Pavillon des Heiligen Stuhls (so der offizielle Titel). Ein Novum: Noch nie war ein Papst auf der Biennale in Venedig. Für eine Führung muss man sich vorher auf der Seite Vatikan News anmelden: An einem Tag werden vier Gruppen von 25 Personen eingelassen. Das habe ich dieses Mal leider verpasst, da die Führungen stark ausgebucht sind.
Ich versuche mein Glück im Sommer wieder. Aber das Mural von Cattelan an der Außenfassade ist berührend schön und ich rätsle, was die eindrücklich gemalten Füße an der Gefängnismauer bedeuten sollen.
4 – Der Pavillon von Benin
Der Pavillon von Benin folgt direkt auf die Hauptausstellung im Arsenale. Der westafrikanische Staat ist zum ersten Mal auf der Biennale.
Auffällig empfängt mich ein Iglu-ähnlicher Bau. Von außen ist nicht erkennbar, was von innen sofort sichtbar ist: Die runde Kuppel ist aus Benzinkanistern gebaut. Man riecht es auch ein wenig. Romuald Hazoumè hat die Kanister mit den Griffen nach innen auf- und nebeneinander gestapelt und durch den Schattenwurf wirken die Kanister wie Masken. Ich werde gefühlt hundertfach angestarrt – eine starke Arbeit. Das Schmuggeln von Benzin in Kanistern aus dem Nachbarland Nigeria ist im Benin üblich.
Begeistert bin ich auch von dem riesigen Wandteppich. Eine Schwarzweiß-Fotografie war die Vorlage: Unzählige Frauen, Kriegerinnen, die barbusig und mit geschulterten Gewehren aufgereiht vor einer Palmenkulisse stehen; stolz ihr Volk verteidigen zu können. In der Mitte der Tapisserie platziert Ishola Akpomit groben, roten Stichen den Oberkörper einer afrikanischen Frau, bekleidet mit einem blauen Gewand und Federschmuck auf dem Kopf. Sie blickt mich selbstbewusst an. Die Collage thematisiert die Macht der Frauen und mir gefällt der Feminismus des Künstlers. Akpo ruft die vergessene Geschichte der großen Königinnen des afrikanischen Kontinents in Erinnerung. Daneben hängen drei Malereien von Moufouli Bello, auf denen souveräne Frauen in Blau vor knallgrünen Pflanzen abgebildet sind: Eine großartige Farbkombination.
Von Chloé Quenum sind die farblosen Glasarbeiten, die traditionelle afrikanische Musikinstrumente zeigen. Sie wurden in Italien hergestellt und spielen so auf das ‚koloniale Glas‘ an, mit denen die Afrikaner in Form von Perlen zum Tausch gegen wertvolle Ressourcen übervorteilt wurden. Von 1805 bis 1960 war Benin (mit kurzen Unterbrechungen) französische Kolonie; heute ist es eines der ärmsten Länder der Welt. Aus den westlichen Schlagzeilen kenne ich Benin aufgrund der langen Diskussionen um die Rückgabe der sogenannten Benin-Bronzen. Precios Is Fragile – Alles Kostbare Ist Zerbrechlich, so der Titel, ist ein gelungener Auftakt. Und ich habe nun ein bisschen mehr Wissen über das kleine afrikanische Land.
5 – Der Pavillon von Großbritannien
John Akomfrah zeigt politische und poetische Videoarbeiten, die immer auf mehreren Screens gleichzeitig laufen und sich beim Geschichten-Erzählen ergänzen. Toll! Wie auch in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt, wo einige seiner Arbeiten Anfang dieses Jahres noch zu sehen waren, fühle ich mich berührt aber auch bedrückt von seinen Bildern über die Krisen dieser Welt. Allerdings braucht es auch einige Zeit die Videos zu schauen, die ich mir nicht ausreichend gönne, obwohl ich weiß: Es lohnt sich!
Deutscher Pavillon – extra Artikel
Die Mischung aus Vergangenheit und Zukunft ist sehr spannend und wird daher in meinem Artikel besprochen, den ich ausschließlich dem Deutschen Pavillon widme. Auch diesmal musste tatsächlich wieder ein künstlerischer Eingriff in die Architektur erfolgen . . .
Fazit
Es gab noch mehr sehenswerte Länderpavillons – vielleicht Stoff für einen Artikel im Sommer. 87 Länder nehmen bei der diesjährigen Biennale in Venedig teil, und ich habe auch nicht alle angeschaut. Die Biennale ist ein wahres Fest der Kunst – bereichernd und inspirierend und ich bin froh, dass ich die Gelegenheit hatte, dabei zu sein.
Hier gehts zum 1. Teil meiner Top 10 der Biennale.
Die Top 10 der Biennale in Venedig 2024 Meine persönlichen Favoriten auf der 60. Kunstbiennale für zeitgenössische Kunst – Teil 2: Die Pavillons – Britta Kadolsky