Kunst-Ausstellung Alpenliebe in Österreich
Auf dem Weg nach Italien ist die Großglockner-Hochalpenstraße eine der spektakulärsten Strecken – selbst wenn, wie bei unserer Fahrt, das Wetter so schlecht ist, dass der größte Gletscher Österreichs, die immer mehr schmelzende Pasterze, vom Nebel gänzlich verschluckt ist. Und so nehmen wir statt des steilen Pfads von der Kaiser-Franz-Josefs-Höhe hinunter zum Gletscher nichtsahnend den Gamsgrubenweg. Und uns erwartet eine Überraschung. Der Weg ist nämlich eine Kette von Tunneln, an deren Beginn das ehemalige Büro der Bergbaugesellschaft zur Installation geworden ist. Es sieht aus, als hätte der Ingenieur gerade seinen Arbeitsplatz verlassen – und in der Zwischenzeit ein (leider anonymer) Künstler das komplette Büro mit roter Farbe besprüht.
Der weitere Weg mutet erst mal an wie eine Geisterbahn. Kein Wunder, denn mit sparsamsten Mitteln – Licht, Geräusche (darunter zwei Klanginstallationen, in denen das von den Wänden tropfende Wasser eine Art Orgelpfeifen zum Klingen bringt), rohbehauener Stein und beschrifteten Stelen – werden hier zwei Geistergeschichten erzählt. Die eine erklärt die umliegenden Gipfel als versteinerte Gestalt einiger Bauern, die einer armen Frau eine Butterkugel (!) verweigerten und von ihr verflucht wurden. Die andere erzählt vom Glocknerwirt, dem alles Gold der Berggeister (um 1500 wurden in der Region 10% des Goldes weltweit gefördert – und das nach der Entdeckung des El Dorados Südamerika!) nicht half, Frau und Kind zu halten – zu schweigen von seiner schuldenbelasteten Wirtschaft.
Richard Strauss’ Alpensinfonie
Auf dem Rückweg aber stolpern wir eher zufällig im Besucherzentrum über eine der sinnfälligsten Kunstausstellungen, die ich in letzter Zeit gesehen habe. Alpenliebe heisst sie, ins Leben gerufen 2014 zum 150. Geburtstag des Komponisten Richard Strauss. Ihm hat der kantige Volksmusikant Hubert von Goisern ein eigenes alpines Musikprogramm, genannt „Steilklänge“, zusammengestellt, das die Räume beschallt.
Darunter natürlich Straussens Alpensinfonie und von Goiserns eigene eigenwillige Interpretationen älplerischer Musik.
Martin Kippenberger und Thomas Bayrle in den Alpen
Aber auch und vor allem ist es die bildende Kunst, die überrascht. Der berühmteste Name hier ist wohl Martin Kippenberger, abgebildet in einer Folge von Fotos, auf denen er ein eher minderes Gipfelchen in Anzug und Haferlschuhen erklommen hat. Die rechten Bergbezwingerposen missglücken, die ganze Angelegenheit ist eine eher ironische Reverenz an die Kunst- (und Kunstgewerbe-)geschichte seit Caspar David Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer.
Der Frankfurter Thomas Bayrle ist vertreten mit einem dreidimensionalen Geflecht, in dem sich Autostraßen und Alpenansichten kreuzen und übereinanderfalten. Ausgeschnitten Bergpanoramen aus Ansichtskarten zeigt ein Video so, dass man zuerst tatsächlich glaubt, mit der Drohne über die Landschaft zu fliegen. Von Roman Signers Leidenschaft fürs Zündeln zeugt eine Fotoserie, bei der ein Tisch mit aufmontierten Feuerwerkskörpern vor Alpenlandschaft in die Luft steigt.
Dazu sind in kostbar wirkenden kleinen Vitrinen wie in einer Wunderkammer allerlei vermischte Fundstücke präsentiert – ein Säckchen Reis für die Göttinnen von Nepal, das eine Bergsteigerin als Glücksbringer dorthin mitnahm, indische Bonbons namens Alpenliebe, bronzene Kuhfladen von Not Vital, ein verschlossenes Glasgefäß, das den Duft der Alpenrosen enthalten soll, und schließlich ein veritabler Baumstamm mit Miniatur-Kitschlandschaft und anmontierten Rucksackträgern. Über all dem wacht ein Hirsch mit gefühlt 124 Geweihenden, ironischer Kommentar eines amerikanischen Künstlerpaars auf die im alpinen Österreich allgegenwärtigen Trophäen und das Jägerlatein.
Das Gold der Alpen
In einem golden (!) übermalten Raum lädt Katharina Lackner dazu ein, die eigene Anwesenheit durch Rubbeln der Oberfläche und Grafitti zu dokumentieren – und damit eine tiefere Schicht der Wandbearbeitung, nämlich ein collagiertes augenzwinkerndes Alpenpanorama freizulegen.
Heiter und ironisch wird die Rechnung aufgemacht mit dem grellen Tourismusgeschäft der Region, das wirklich aus Nichts (und aus Gottes schöner Natur) Gold zu machen versteht. Und manchmal auch ein bisschen böse – wie bei Lois Hechenblaikner mit seiner Zigarettenschachtel-inspirierten Warnung vor der touristischen Disneylandisierung seiner Heimat. Oder im Video jenes Komponisten, der sich für einige Zeit in einer verfallenden Berghütte niedergelassen hatte. Tagsüber komponierte er elektronische Klänge, die nachts im Radio ausgestrahlt wurden. Der eigentliche Budenzauber aber fand an der einsamen Hütte statt – die verwandelte sich im Dunkeln in ein grellbunt blinkendes Disco-Party-Ungetüm im Nirgendwo.
What Duchamp Abandoned for the Waterfall
Am meisten aber faszinierte uns What Duchamp Abandoned for the Waterfall, ein Foto-Projekt von Caroline Bachmann und Stefan Banz. Die hatten sich am Genfer See genau dort eingemietet, wo vor Jahren Marcel Duchamp von einem Wasserfall namens La Forestay so fasziniert war, dass er ihm eins seiner letzten Werke widmete. Und dabei vollkommen das Schauspiel in seinem Rücken vernachlässigte: die schier unendlichen Wandlungen des Sees und seines Gebirgshorizonts. Wir standen davor und konnten kaum glauben, dass alle Fotos exakt denselben Landschaftsausschnitt zeigen: das mit dem gelben Sonnenfleck, der die Bildfläche in zwei gleiche glatte Flächen, oben hellblau, unten hellgrün teilte.
Das in Schwarz-Weiss, bei dem man nur ahnen kann, dass es auch noch Farbe in der Welt gibt. Die vielen, auf denen die Berge im Vordergrund durch eine Einbuchtung geteilt erscheinen – und dahinter nichts. Und die ebenso vielen, die zeigen: hinterm Horizont geht’s weiter – mit der nächsten Gebirgskette nämlich. Und natürlich die vielen flammenden – und kitschverdächtigen – Sonnenuntergänge. Wir standen und staunten und konnten uns nicht sattsehen.
Schade, dass es keinen Katalog zur Ausstellung gibt.
Serpentine am Grossglockner
Und es gibt noch mehr Kunst am Großglockner (für solche, die bei gutem Wetter reisen – uns war es zu regnerisch): Serpentine heisst eine weit verstreute Freilichtausstellung dieses Jahr, so wie die Serpentinen, die man hochfährt, aber auch wie eine berühmte Londoner Galerie. Das Konzept jedenfalls liest sich gut.
Alpinkunst am Großglockner – Kunstausstellung Alpenliebe in Österreich – Ruth Fühner