Berlin: Kunst im legendären Technoclub Berghain
britta kadolsky
Teil 1/2: Berghain – Studio Berlin – Main Dancefloor, Klobar, Unisex Toiletten.
Eine Ausstellung mit zeitgenössischer Kunst in einem der coolsten Clubs Deutschlands: das passt zusammen!
Wie allgemein bekannt und x-mal erwähnt: die Clubszene liegt seit Corona brach und die Clubs kämpfen ums Überleben. Da kam die alternative Nutzung gerade recht. Eine Kooperation zwischen der Boros Stiftung und dem Berghain mit einem Zuschuss des Senats, ermöglichen eine ungewohnte und exzellente Nutzung. Leider muss die Kultur im November erst mal wieder mit dem Shutdown zurechtkommen. Überaus bedauerlich!! Aber im Dezember geht’s weiter und es gibt bereits Tickets dafür auf der website von Studio Berlin. Mein Artikel beschreibt, warum es sich unbedingt lohnt!!
Die Liaison zwischen Boros und Berghain ist nicht neu: hatte der Technoclub doch seine Dancefloors in den 90er Jahren im Boros Bunker. Dort zeigen Christian und Karen Boros mittlerweile seit 2007 zeitgenössische Kunst. Die Ausstellung unter dem Namen Studio Berlin in dem berühmten Technoclub Berghain läuft seit Anfang September. (Der Name des Clubs leitet sich übrigens aus der Teilkombination Kreuzberg und Friedrichhain ab.) Und das Berghain ist momentan ein temporärer Ausstellungsort mit Werken von über 100 Künstlern. Mitte Oktober habe ich es endlich geschafft mir die Ausstellung anzuschauen.
Selbstverständlich hat mich neben der Kunst auch der Mythos dieses sagenumwobenen Clubs angezogen. Was gibt es nicht alles für Geschichten und Legenden, die sich um den Club der Clubs ranken: der Darkroom, die Fetischpartys, die Türpolitik und der berühmte Türsteher Sven Marquardt (der auch Fotograf ist und in der Ausstellung ein Video zeigt), die Musik, das Gebäude (ein ehemaliges Fernheizwerk) und und und …

Zuerst allerdings, trotz Ticket, die Einlasskontrolle. Die Taschen werden kontrolliert und die Handy-Kameras mit Punkten in Neonfarbe zugeklebt (wie im regulären Clubbetrieb auch: Fotografieren ist strengstens verboten!) Wir bekommen direkt dieses bange ‚komm-ich-auch-am-Türsteher-vorbei-Gefühl‘.
Wie ich bei meiner Recherche festgestellt habe, gibt es übrigens im Netz viele Seiten mit Tipps wie man in den weltbekannten Technoclub reinkommt…. Und: welche Farbe das Outfit hat ist egal: Hauptsache es ist schwarz!
Was wird im Berghain also alles an Kunst geboten?
Nachdem wir endlich im heiligen Inneren stehen, fällt der Blick zuerst auf ganz hübsch anzuschauende Malerei (mehr ist es leider nicht) von Norbert Bisky, die dort allerdings schon lange hängt. Bisky gehört zu den Freunden des Clubs.
Nach der Abgabe von Jacken und Taschen an der Garderobe muss man im Foyer dann den Kopf recken, um die Hochsee-Boje zu sehen. Sie schwebt Im Raum und hebt und senkt sich wie im Meer. Die Installation Die Mimik der Tethys von Julius von Bismarck lässt eine rot-weiße Boje im Wellengang des Atlantiks auf und nieder steigen: Verbunden mit einer Schwester-Boje, deren Bewegungen von der französischen Küste nach Berlin übertragen werden, bewegt sich die Boje synchron im Berghain bis zu 6 Meter auf und ab.
Der Konzeptkünstler thematisiert immer wieder die Naturgewalten in seinen Werken. Die Boje ist einerseits ein Readymade im Sinne Marcel Duchamps, aber auf der anderen Seite doch mehr: Durch die Verbindung mit dem Ozean macht sie diesen mit seinen wilden Wellenbewegungen direkt in der Ausstellung erfahrbar. Das Werk ist nicht ganz neu; vor knapp 2 Jahren stellte es das Palais de Tokyo in Paris bereits aus.
Die meisten Werke der Ausstellung im Berghain sind jedoch tatsächlich während der Pandemie entstanden, insbesondere die Werke der weniger bekannten Künstler*innen.
So empfängt uns im 1. Stock auf dem Main-Dancefloor eine Sound-Installation von Emeka Ogboh. Der Künstler, der in Lagos, Nigeria und in Berlin lebt, geht bei seinen Spaziergängen mit seinem Aufnahmegerät durch die Stadt und nimmt die Geräusche des alltäglichen Lebens auf. Für die Ausstellung im Berghain hat er Stimmfetzen und Verkehrslärm aus Lagos mit coolen Klängen gemischt: eine stimmige Musikkulisse!
An der Wand hängt eine Uhr mit arabischen Zahlen und einem Zeiger, der sich recht flott gegen den Uhrzeigersinn dreht. Die Uhrzeit ist von uns nicht lesbar. Das Werk One Hour is Sixty Minutes and Vice Versa, stammt von dem syrischen Konzeptkünstler Khaled Barakeh. In der westlichen Welt mit seinem lateinischen Alphabet lesen wir von links nach rechts, in anderen Kulturen werden Schriften allerdings von rechts nach links gelesen. Diese Normen, die in die Sprache eingebettet sind, macht Barakeh anhand des alltäglichen Gegenstandes sichtbar.
In einem blinden Fenster in der 1. Bar läuft ein Video des legendären Türstehers Sven Marquardt. In Isolation filmt Marquardt unter anderem bei sich zuhause Blumen in Nahaufnahme. Der bekannte Bouncer mit den vielen Tattoos im Gesicht ist auch Fotograf; Seine Fotos sind derzeit in Berlin im Friedrichstadtpalast zu sehen:
Und nochmal Blumen: Auf der Theke steht eine weiße Vase mit einem ehemals üppigen, mittlerweile jedoch stark verwelkten Blumenstrauß. Alle paar Wochen gibt es frische Blumen. Ein Florist fertigt den Strauß nach den Vorgaben des niederländischen Konzeptkünstlers Willem de Rooij an. Das Werk Buquet No 9 des Künstlers, der auch als Professors an der Städelschule Frankfurt unterrichtet, ist vergängliche Kunst. Eine Kunst, die nicht wertsteigernd ist und damit eine Kritik am Kunstmarkt darstellt. Seit Jahren stellt de Rooij seine Blumen-Arrangements aus; Sie konnten unter anderem auch schon in Frankfurt im MMK – Museum für moderne Kunst und in der Schirn Kunsthalle bestaunt werden. Diese sympathische Kunst-Idee ist daher mittlerweile überraschungsfrei.
Neu und daher überraschend war für mich jedoch, dass es mittlerweile ein Medikament – PrEP – gibt, das vor einer HIV-Übertragung beim Sex schützt. Es schützt jedoch nicht vor anderen Geschlechtskrankheiten, wie beispielsweise Syphilis. Dies ist Thema von Simon Fujiwaras vielteiliger Installation mit Kraken unter einem Schiff (aus dem 3D Drucker), antiken, nackten Adonissen darauf, Büsten von Künstlern, die wie er selbst an Syphilis litten und einem Kettenhemd mit Apothekenrechnungen des Medikamentes PrEP. Insgesamt wird die schwule Szene mit ihren Attributen Sex und Freiheit, die auch für das Berghain gelten, hier benannt.

Sex sells
Weiter geht es im Rundgang: Selbst auf der Toilette des Berghain ist Kunst zu bewundern. Hier hat DJ Sam Barker, der normalerweise im Club auflegt, ein Klavier hingestellt. Eine Art Klöppel schlägt automatisch nacheinander jede Taste einmal an. Diese Töne erfüllen den Toilettenvorraum.
Überhaupt wird in vielen Kunstwerken Sex thematisiert. Liegt es daran, dass es im Clubbetrieb auch um Sex geht? Oder ist es einfach nur ein Spiegelbild der Medien, der Werbung und der Gesellschaft überhaupt? Eines ist klar: Sex sells!
Weiter hinten ein Tattoo auf der metallenen Wand der Toilette. Zu erkennen ist es nur, wenn es angestrahlt wird. Cyprien Gaillard hat einen Ausschnitt aus Pieter Bruegels The Land of Cockaigne (Schlaraffenland) auf die Klowand übertragen. In Anlehnung an den Titel des Alten Meisters hat Gaillard es Land of Cocainegenannt. Diese Anspielung auf den Drogenkonsum im Club wird also eines der wenigen Werke sein, das dauerhaft im Berghain verbleibt.
Noch mehr Kunst im Berghain: Ich erzähle von noch viel mehr großartiger Kunst im Berghain
Berlin: Kunst im legendären Technoclub Berghain
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